Sie waren auch in der Terrornacht im Einsatz. Wie haben Sie das erlebt?
Ich war zu Hause. Mein Telefon hat geläutet und mein ehemaliger Chef hat zu mir gesagt: „Ich kann dir noch nicht genau sagen, was da abgeht, aber es gibt Tote und Verletzte im 1. Bezirk. Komm bitte sofort ins Büro.“ Wir haben am Fleischmarkt geparkt. In diesem Stadtteil war es plötzlich ungewöhnlich leise. Ich habe meine eigenen Schritte am Kopfsteinpflaster gehört. Zuvor habe ich auch noch nie bemerkt, wie unausgeleuchtet diese Viertel eigentlich ist. Keine Menschenseele, außer Kollegen, die überall schweigend mit Langwaffen gestanden sind. Die Situation war trotz der Stille massiv angespannt. An einigen Plätzen sind die Toten gelegen, die Verletzten wurden durch unsere Bergeteams rasch abtransportiert. Zu diesem Zeitpunkt wusste ja keiner von uns, ob möglicherweise weitere Täter, irgendwo in Häusern verschanzt, auch auf uns schießen werden. Keiner von uns hat jemals zuvor so einen Terroranschlag erlebt. Mir ist bewusst geworden, wie wichtig die Blaulicht-Organisationen sind. Wer soll denn in so einen Ausnahmezustand direkt reingehen – außer wir und gleich danach die Rettung.
Bald jährt sich der Terroranschlag zum ersten Mal. Ist das für Sie ein spezielles Datum?
Dieses Datum wird uns in Erinnerung bleiben. Aber wir haben diese Tragödie sehr intensiv im Jetzt erlebt.
Haben Sie Ihren beruflichen Weg eigentlich bewusst eingeschlagen?
Schon mein Großvater und Urgroßvater waren Polizisten. Es liegt wohl in meinen Genen. Ich habe eigentlich den Beruf der zahnärztlichen Assistentin gelernt. Als dann im Jahre 1991 auch Frauen bei der Polizei ausgebildet wurden, sprang ich auf’s Pferd. Zur Mordkommission war’s dann noch ein langer Weg. Ein damals „legendärer Mordkiberer“ und in Folge mein Gruppenführer, hat mich ins ehemalige Sicherheitsbüro geholt.
Aber warum Mord? Hat man da nicht einen gewissen Respekt?
Man braucht unbedingt die nötige Distanz, das lernt man. Wieso tote Menschen? Ich frage mich oft, warum wird man Krankenschwester. Dieses ganze Leid. Ein Toter hat keine Schmerzen mehr. Oder stellen Sie sich einen Arzt vor, der operiert – der hat wirklich die Verantwortung über Leben und Tod. Bei mir ist schon alles vorbei. Als Zahnarzt-Assistentin habe ich mit den Patienten mitgefühlt.
Was ist das Beste an Ihrem Job?
Wir erleben ständige Adrenalinschübe, vermutlich wollen wir das. Wir tauchen intensiv in andere Leben ein. Mord geht durch alle Schichten, betrifft die Randgruppen genauso wie die High Society. Wir sind in dieser Zeit in anderen Welten „zu Hause“. Es ist eigentlich ein Rollentausch, das macht es interessant und erweitert den Horizont.
Und das Schlimmste?
Angehörigen zu sagen, dass jemand, der ihnen sehr nahe steht, tot aufgefunden worden ist. Und im nächsten Schritt mitteilen zu müssen, dass diese Person durch fremde Hand gestorben ist. Es ist für die Angehörigen ein großer Unterschied, ob jemand bei einem Unfall ums Leben kommt oder ob ein Gewaltverbrechen vorliegt. Der Tod hat viele Gesichter.
Wie gehen Sie damit um?
Man muss sich abgrenzen und darf niemals die Balance verlieren. Die Ermittlungen sind für uns vordergründig, aber hinter der Tragödie stehen Personen, die gerade einen geliebten Menschen verloren haben und dabei oft in ein tiefes Loch fallen. Wir sind uns bewusst, dass wir eine große Verantwortung tragen.
Was treibt Sie bei Ihrer Arbeit an?
Als ich mich bei der Polizei beworben habe, habe ich bei dem Bewerbungsgespräch gesagt, dass ich einen massiven Gerechtigkeitssinn habe. Man hat mich damals belächelt und mir gesagt: „Der wird dir schnell vergehen. Da wirst du oft enttäuscht werden.“ Aber er ist mir geblieben.
Ist es eine Genugtuung, wenn Sie einen Täter ausgeforscht haben?
Es ist eine große Erleichterung, aber der Weg bis zur Verurteilung ist noch weit. Erst danach atmen wir auf.
Nagt es an Ihnen, wenn Sie Fälle nicht aufklären?
Das tut natürlich weh. Seit 2004 waren das in meiner Gruppe allerdings nur zwei Fälle. Das Schlimmste aber ist, wenn wir überzeugt sind, den Täter zu kennen, es aber nicht ausreichend beweisen können.
Sie bearbeiten auch den Fall Leonie, der öffentlich ein sehr großes Thema ist. Stimmt es, dass Sie den Eltern versprochen haben, die Täter zu finden?
Wir haben gesagt, wir tun unser Möglichstes. Im Fall Leonie bin ich mir aber recht sicher, zumindest was das Ermittlungsverfahren seitens der Kripo betrifft. Vor Jahren hat meine Gruppe einen Mord an einem Taxifahrer bearbeitet. Sein achtjähriger Sohn wollte das Versprechen, dass wir den Mörder seines Vaters finden. Selbst in so einer traurigen Situation kann man nicht sagen, „ich verspreche dir das“. Wir versuchen wirklich alles, aber es kommt eben auch vor, dass wir den Mörder nicht finden können. Der Mord an dem Taxilenker zählt übrigens zu den beiden ungeklärten Mordfällen in meiner Gruppe.
Warum sind die ersten 48 Stunden nach der Tat für eine Mordermittlung so wichtig?
Weil sich auch der Täter in dieser Zeit neu orientieren muss. Und wir müssen aufpassen, dass er nicht zu viel Vorsprung bekommt.
Ist es in dem Job eigentlich ein Vorteil oder ein Nachteil, eine Frau zu sein?
Überall gibt es Vor- und Nachteile, aber ich denke, in erster Linie kommt es auf den Typ Frau an. Ich bin immer gut gefahren.
Gibt es gewisse Gruppen die Sie als Frau bei der Vernehmung ablehnen?
Ja, manchen ist die Verachtung ins Gesicht geschrieben, aber wir sind kein Wunschkonzert. Ich kläre die Gegebenheiten sehr verständlich in einem kurzen Vorwort, das wird dann auch akzeptiert.
Können Sie Ihre Fälle geistig im Büro lassen oder nehmen Sie sie mit nach Hause?
Natürlich nehme ich das mit. Mein Mann ist auch ein Kriminalbeamter, allerdings arbeitet er in einem anderen Bereich.
Schauen Sie privat Krimis?
Natürlich. Und auch der Tatort am Sonntag ist Pflicht, obwohl ich mich permanent ärgere. Warum geht ständig einer allein irgendwo ohne Rückendeckung rein? Das muss wohl wegen der Spannung so sein. Ich bespreche das auch mit den Regisseuren, die zu mir kommen.
Zu Ihnen kommen Regisseure?
Ja. Schauspieler, Regisseure oder Buchautoren holen sich Tipps.
Haben die eine reelle Einschätzung Ihres Jobs?
Die machen sich schon sehr viele Gedanken. Jene, welche das nicht tun, kommen ohnehin nicht.
Haben Sie eine Lieblings-Krimi-Figur?
Columbo!
Aber der stellt sich ja oft blöd ...
Absichtlich. Der Columbo-Effekt ist eine anerkannte Strategie, bei der man sich durch naives Auftreten ganz bewusst unterschätzen lässt – dabei erfährt man ganz viel.
Hat Sie der Job verändert?
Ich sag immer wieder: Die Leichtigkeit meines Seins ging irgendwann verloren.
Können Sie fremden Leuten unbefangen begegnen oder läuft da automatisch ein Check ab?
Wenn mir nachts in einem eher unbefahrenen und düsteren Straßenzug zwei Fremde am Gehweg entgegenkommen, gehe ich entlang der Fahrbahn weiter, Schlüssel oder Pfefferspray in der Hand. Ich fahre selten mit den Öffis, aber wenn, dann suche ich mir einen Platz mit Rückendeckung und versuche die Menschen im Zug zu scannen. Klingt paranoid, ist aber so.
Haben Sie einen Ausgleich für Ihren Job?
Die Natur, meine Freunde, mein Hund. Ich mag Gartenarbeit. Und wenn ich Rosen zwicke, da kommen mir die besten Ideen.
Kommentare