Ein Jahr Operation Luxor: "Raus! Hände hoch!"
Es war 5 Uhr Früh, als es an der Haustür der Familie E. in Wien heftig pochte. Familienvater Mamdouh E. erwachte erschrocken aus dem Schlaf. Durch die Fenster schien Licht. "Es brennt!", schoss ihm durch den Kopf. Er riss die Tür auf – und stand plötzlich vor vermummten, schwerbewaffneten Personen. "Raus! Hände hoch!", schrien sie ihm zu.
Morgen jährt sich dieser Vorfall zum ersten Mal. Am 9. November 2020, wenige Tage nach dem Terroranschlag in Wien, wurden im Zuge der Operation Luxor 60 Hausdurchsuchungen in ganz Österreich durchgeführt. Mehr als 100 Beschuldigte standen im Verdacht, Anhänger und Unterstützer der Muslimbruderschaft bzw. der Terrororganisation Hamas zu sein. Mamdouh E. war einer dieser Verdächtigen. Die Staatsanwaltschaft Graz stufte ihn sogar als "Führungsperson" ein.
Zitternd
Ein Jahr später sitzt Mamdouh E. in der Kanzlei seines Rechtsanwalts Andreas Schweitzer in Wien. Gerade erst hat er einen Beschluss des Landesgerichts Graz erhalten: Die Ermittlungen gegen ihn werden eingestellt (nicht rechtskräftig, Anm.)
Freuen kann sich der Religionslehrer und Imam darüber nicht wirklich. "Ich habe vor 30 Jahren Ägypten verlassen, weil dort solche Sachen passieren. Aber hier?" Für seine Kinder ist die Hausdurchsuchung noch sehr präsent, schildert die Tochter: "Wir sind alle zitternd im Wohnzimmer gesessen. Meine jüngere Schwester durfte nur bei offener Tür aufs WC. Als ich meine Mutter beruhigen wollte, hat man mich angeschrien: ,Kein Arabisch! Hier wird Deutsch gesprochen!’"
Sämtliche Handys, Computer und Datenträger wurden eingepackt. Auch die der Kinder. "Wir hatten da gerade Distance Learning. Und wir konnten nicht erzählen, warum wir plötzlich nicht mehr teilnehmen konnten."
Bankkonten wurden gesperrt. "Wir wussten nicht mehr, wie wir unsere Rechnungen bezahlen sollten." Der Arbeitgeber von Mamdouh E. wurde informiert, der Religionslehrer daraufhin freigestellt. Und noch am selben Tag der Operation Luxor wurde sein Name im ägyptischen Fernsehen genannt. Und auch, dass ihm Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und kriminellen Organisation, Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche vorgeworfen wurde. "Das war eine politische Aktion", ist er sich sicher.
Doch woher kam der Verdacht? Mamdouh E. hatte im Jahr 2013 eine Veranstaltung in Wien besucht. Dort waren auch internationale Größen der Muslimbruderschaft anwesend. "Ja, ich war da", sagt er. "Aber ich habe so eine Veranstaltung nur ein Mal besucht." Einmal wurde er in der Sache einvernommen und zu seiner Weltanschauung befragt. Etwa, ob seine Töchter Kopftuch tragen oder welche Meinung er zur Kinderehe habe. "Und dann ist nichts mehr passiert."
Das sah die Staatsanwaltschaft anders. Als Mamdouh E. mit Anwalt Schweitzer einen Einstellungsantrag einbrachte, argumentierte die Staatsanwaltschaft: "Der Verdacht hat sich erhärtet."
Tatverdacht entkräftet
Erst Ramses, dann Luxor
Ursprünglich hätte die Operation Ramses am 3. November stattfinden sollen (einen Tag nach dem Terroranschlag in Wien). Eine Woche später fand die Aktion unter dem Namen "Luxor" statt. 1.000 Polizisten waren vor allem in Wien und Graz im Einsatz. Im Vorfeld wurde 21.000 Stunden observiert
Ziel
Mutmaßliche Unterstützer der Muslimbruderschaft (die in Österreich nicht verboten ist) und der Terrororganisation Hamas waren das Ziel
Gutachter
Kürzlich wurde bekannt, dass 25 Beschuldigte mit einer Beschwerde gegen beide Gutachter in der Causa abgeblitzt sind. Sie hatten ihnen vorgeworfen, befangen und nicht fachkundig zu sein
Doch sogar das Landesgericht konnte das nicht nachvollziehen. Schließlich habe auch die Auswertung der sichergestellten Gegenstände nichts Belastendes zutage gefördert. Das Gericht spricht sogar von einem "nahezu mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entkräfteten Tatverdacht". Somit sei das Verfahren gegen Mamdouh E. einzustellen.
"Die Hausdurchsuchungen passierten ohne Augenmaß", sagt Anwalt Schweitzer. Schon das Oberlandesgericht hat sie zum Teil als rechtswidrig eingestuft. "Und bei den Ermittlungen geht nichts weiter. Manche Beschuldigte wurden noch nicht einmal einvernommen." Schweitzer, der auch weitere Beschuldigte vertritt, will weitere Einstellungsanträge einbringen. "Und wir überlegen Amtshaftungsklagen. Mandanten von mir mussten sogar Konkurs anmelden."
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