Ein Jahr KPÖ-Stadtchefin Kahr: Anders, aber keine Revolution

Was gab es da nicht für halblustige Scherzchen am Wahlabend im September: Stalingraz.
Wo können Kommunisten noch reüssieren? In China, Nordkorea – und Graz.
Die Aussicht auf eine KPÖ-Bürgermeisterin brachte ein lokales Kommunalwahlergebnis schlagartig in alle internationalen Medien. Allerdings, so staunte die New York Times, überraschte der Wahlerfolg der KPÖ in der steirischen Landeshauptstadt alle außerhalb der Stadtgrenzen – bloß die davon betroffenen Grazer kaum.
Geschichte geschrieben
Am Donnerstag jährt sich Elke Kahrs Kür durch den Grazer Gemeinderat zum ersten Mal. Am 17. November 2021 wurde die damals 60-Jährige mit den Stimmen ihrer KPÖ, jenen der Grünen und der SPÖ zur Stadtchefin gekürt und schrieb damit drei Mal Geschichte.
Sie ist die erste Frau in dem Amt überhaupt, die erste Kommunistin und die erste Bürgermeisterin einer Landeshauptstadt, deren Vize ebenfalls weiblich ist, Judith Schwentner von den Grünen nämlich.
Zeit für eine Nachschau: Wenn auch die Grundfeste der etablierten Parteipolitik erschüttert wurden – die KPÖ-geführte Regierung brachte einen Umbruch, aber keine Revolution.
Seit 1945
Die Ausgangslage: Der Wahlerfolg der KPÖ Ende September 2021 – sie stieß die ÖVP vom ersten Platz, Langzeitbürgermeister Siegfried Nagl musste gehen – kam nicht plötzlich. Im Gegensatz zu vielen anderen Städten saßen die Kommunisten seit 1945 permanent im Grazer Gemeinderat.
Ihr eigentlicher Aufstieg begann in den 1980ern mit Ernest Kaltenegger: Er konzentrierte sich auf die Nische (Gemeinde-)Wohnungspolitik sowie Mieter-Notruf und füllte das Vakuum, das die allmählich zu schwächeln beginnende SPÖ hinterließ. 2003 schaffte die KPÖ dann auch den Sprung in die Stadtregierung.

Von Kaltenegger stammt die Direktive, die von anderen Parteien süffisant als „Almosenpolitik“ bekrittelt wird: Alle KPÖ-Funktionäre, die Geld aus ihrer politischen Tätigkeit beziehen, müssen den Großteil dieser Gage in den parteieigenen Sozialtopf einzahlen. Dessen Inhalt wird unprätentiös verteilt, eine Waschmaschine da, eine Mietnachzahlung dort. Das kommt natürlich gut an. Die KP-Einkommensgrenze für politische Gehälter liegt bei 2.300 Euro netto, auch für Kahr (der 9.000 Euro monatlich als Stadtchefin zustehen).
Ohne Konsequenzen
Image: Kahr betont gern, die KPÖ würde gewählt, nicht weil sie kommunistisch sei, sondern obwohl. Doch gleich nach den Wahlen machte sie wieder Schlagzeilen, diesmal allerdings wegen ihrer Jugoslawien-Nostalgie im Interview mit einem serbischen TV-Sender. Später bereiteten ihr Parteifreunde mit deren offenkundiger Sympathie für russlandtreue Separatisten in der kriegsgebeutelten Ukraine Probleme.
Von deren Aktionen distanzierte sich Kahr zwar persönlich, forderte von den Mandataren aber keinerlei Konsequenzen. Geschadet zu haben schien es ihr nicht: Jüngste Umfragen steirischer Medien bescheinigten, dass rund 65 Prozent der Grazer eine „gute Meinung“ von ihr hätten, vor der Wahl waren es zehn Prozentpunkte weniger. Zudem beendete Kahr bald nach Kriegsbeginn die seit 2001 mit St. Petersburg bestehende Städtepartnerschaft.
Budget-Probleme
Kompetenz: Gerade stolperten die Kommunisten, die erstmals auch in Finanzagenden führend sind, über ihr erstes Budget.
Es müsse nachgebessert werden, sonst drohe Zahlungsunfähigkeit, warnte der Stadtrechnungshof. Die KPÖ verweist aber darauf, der Schuldenberg von 1,6 Milliarden Euro stamme von der Vorgängerregierung aus ÖVP und FPÖ zu zudem setze die Teuerung allen kommunen zu.
Toleranz
Gestaltung: Abseits von Sozialpolitik kommt wenig, die Verkehrsagenden samt massivem Aus-und Umbau des öffentlichen Verkehrs wird von den Grünen propagiert. Sowohl Wirtschaftskammer als auch Industriellenvereinigung vermissen Gestaltungsideen der KPÖ über das Sozialwesen hinaus. Derzeit betreibe die Koalition keine aktive Wirtschaftspolitik, heißt es. Wobei angemerkt wird, dass auch keine negativen Tendenzen gegenüber Konzernen oder Großunternehmen aus dem Rathaus zu vernehmen seien. Offen murrt kein Wirtschaftstreibender über das dunkelrote Graz, man toleriert einander.
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