Ein artgerechtes Leben im Zoo: Eine Frage der Haltung
Einst hielt man Tiere in kleinen Käfigen, später zog man ihnen zur Belustigung Hosen an. Heutzutage geht es um Artenschutz und darum, ob Tiere einen Namen haben sollen.
Es war fast, als wäre ein Nationalheiligtum bedroht: Die Schlagzeile, Schönbrunn wolle den Tieren ihre Namen nehmen, wurde, vorsichtig formuliert, nicht gut aufgenommen.
„Ja, ich habe das ein wenig unterschätzt“, sagt Tiergartendirektor Stephan Hering-Hagenbeck zu den heftigen Reaktionen. Und betont: „Es geht mir nicht darum, den Österreichern die Namen der Tiere wegzunehmen.“ Vielmehr habe er zum Nachdenken anregen wollen: darüber, dass jeden Tag Tierarten für immer aussterben – und der Mensch dafür verantwortlich ist. Es gehe ihm um Artenschutz anstatt um die Vermarktung einzelner Tiere und deren Namen.
Gerade in Schönbrunn, dem ältesten Zoo der Welt, habe man die Verantwortung, Debatten anzustoßen. „Hier sieht es ja auch nicht mehr so aus wie zu Kaisers Zeiten. Es sind zwar dieselben Gebäude, aber wir halten den Tiger nicht mehr in einem kleinen Gitterkäfig“, sagt Hering-Hagenbeck.
Tatsächlich hat sich der Blick der Menschen auf die Tiere im Lauf der Jahrhunderte stetig verändert. Als es noch nicht möglich war, weit zu reisen, wurden exotische Tiere als Sensation vorgeführt. Ihre Haltung war aber kaum ein Thema – wähnte sich der Mensch doch über der Natur stehend.
Auf die Tiere herabsehen
Zur Zeit von Kaiser Franz Stephan wurde der Kaiserpavillon in Schönbrunn auf einem Podest errichtet. Nicht, damit er die Tiere besser sieht – sondern damit die Tiere zu ihm aufsehen können. Heute können die Löwen von ihrer Felsenlandschaft im Gehege auf den Kaiserpavillon herunterschauen. Denn man weiß: Raubtiere, die ihre Bäuche voll haben, legen sich gerne auf eine erhöhte Position, um ihr Rudel zu überblicken.
Auch Tierzucht gestaltete sich früher ganz anders als heute: Anfang des vorigen Jahrhunderts gab es viele aus heutiger Sicht widernatürliche Kreuzungsversuche, zum Beispiel von Tigern und Löwen. Lange erfreute man sich auch an der Vermenschlichung der Tiere: In den 1960er-Jahren wurden den Orang-Utans noch Hosen angezogen und man hat sie gemeinsam an einen Tisch gesetzt.
Seit es Menschen gibt, gibt es wohl auch die Faszination an exotischen Tieren. Und die Frage: Wie geht man am besten mit ihnen um? Eine Geschichte im Zeitraffer:
Ältester Zoo der Welt: Tiere wurden etwa schon im alten Ägypten ausgestellt. In Europa stieg das Interesse vor allem seit den Entdeckungsreisen nach Übersee. In Herrscherhäusern galten Exoten als lebende Trophäen. Daher hielten auch Kaiser Franz I. Stephan und Maria Theresia allerlei Tiere in der Menagerie im Schlosspark. Daraus wurde 1752 der Tiergarten Schönbrunn – der älteste Zoo der Welt.
Vergnügen für Massen: Einst war das Betrachten der Tiere den Herrschern vorbehalten. Ab 1778 öffnete Schönbrunn seine Pforten für das Volk, allerdings nur für„anständig gekleidete Personen“ und nur an Sonntagen. Ab Ende des 19. Jahrhunderts strömten bereits die Massen in die Zoos. Die Besucher bestaunten die exotischen Tiere, die oft in kleinen, vergitterten Käfigen gehalten wurden.
Haltung und Ethik: Ebenso lange gibt es aber Debatten über die richtige Tierhaltung: Bereits in den 1870er-Jahren empörten sich Intellektuelle über die „altmodischen Anlagen“. Die Debatte über artgemäße Haltung wird bis heute geführt, die Gestaltung der Zoos obliegt mittlerweile Spezialisten. Manche Kritiker monieren, dass das Ausstellen von Tieren ethisch gar nicht vertretbar ist,
Zwei heftige Debatten: Jüngst löste ein kleiner Affe eine große Diskussion aus: Dass der Zoo Schönbrunn verkündete, die Namen der Tiere künftig nicht mehr offensiv zu kommunizieren, sorgte für Schlagzeilen. Ebenso wie der Antrag des Zoodirektors, Schusswaffen für mehr Sicherheit im Tiergarten anzuschaffen. Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit verlief in beiden Fällen nicht reibungslos.
Nach und nach rückten Nachhaltigkeit und Umweltschutz in den Fokus, man wollte Zootieren bessere Lebensbedingungen bieten. Hering-Hagenbeck illustriert dies anhand seiner Erfahrung mit der Haltung von Elefanten im Zoo Hagenbeck in Hamburg (er ist mit Bettina Hagenbeck, Tochter des damaligen Zooleiters, verheiratet, Anm.).
Haltung der Elefanten wurde verbessert
Früher wurden afrikanische einfach neben asiatischen Elefanten gezeigt: „Es war somit keine Herde, sondern einfach eine Ansammlung von Elefanten.“ Ein trächtiges Weibchen wurde aus dem Gehege genommen und an eine Kette gelegt, die Geburt fand unter Kontrolle der Menschen statt. Und eine große Attraktion war das Reiten auf den Elefanten.
Da Elefanten in der Natur in Sozialsystemen leben, versuchte man ab den 1980er-Jahren, aus einer Gruppe eine Herde zu machen: „Dazu muss man Sympathien zwischen Tieren erkennen und die, die nicht hineinpassen, aus der Herde nehmen.“ Erstmals in einem Zoo kam es Anfang 2000 zu einer Herdengeburt, ähnlich wie in der Natur: Vier Tiere waren dabei, der Mensch griff nicht ein. „Damals gab es einen Aufschrei, wie wir das Jungtier so gefährden können“, erinnert sich Hering-Hagenbeck. Heute sei diese Form der Geburt üblich. Die Haltung der Elefanten wurde artgerechter, Ärger gab es nur bei den Menschen, weil das Elefantenreiten abgeschafft wurde.
Und was sind heute die Aufgaben eines Zoos? Moderne Tiergärten definieren Bildung, Artenschutz, Forschung und Erholung als zentrale Ziele.
Dass Artenschutz in den Fokus rückt, bestätigt auch Dirk Ullrich. Er ist Kurator im Innsbrucker Alpenzoo, in dem 2.000 Tiere leben, alles Arten aus dem Alpenraum. Seit gut zehn Jahren engagiere man sich verstärkt bei Artenschutz-Projekten außerhalb des Zoos, etwa der Wiederansiedlung der Bartgeier. „Wir haben mittlerweile viel mehr Kontakt zu Universitäten und Nationalparks.“ Und auch in die Bildung investiere man ständig: „Wir verbessern unsere Beschilderung, setzen Neue Medien ein, probieren viel Neues aus. Auch hier ist der Aufwand extrem gestiegen, personell wie zeitlich.“
Besser zu informieren, ist auch das Ziel in Schönbrunn. Etwa, Tier- nicht mit Artenschutz zu verwechseln. Tierschutz bezieht sich auf das Individuum und ist für Tiergärten eine Selbstverständlichkeit. Artenschutz hingegen sei „das Management von Populationen“. Oder Unterschiede zwischen domestizierten und wilden Tieren zu erklären: „Auch wenn ich einen Leoparden aufziehe und füttere, ist er nicht geeignet, gestreichelt zu werden und mit uns vor dem Fernseher zu liegen. Er ist ein Wildtier.“
Aber sind Tiernamen und Bildung ein Widerspruch?
Dirk Ullrich vom Alpenzoo sieht keinen: „Besucher haben nicht das Wissen, das wir haben. Wenn ich ihnen Fakten näherbringe, muss ich das einfach, subtil, nett uns sympathisch machen. Da tue ich mir leichter, wenn Tiere einen Namen haben.“
Nicht unbedingt, sagt auch Hering-Hagenbeck. Aber man wolle ein „innovativer Motor“ sein und Debatten anstoßen. Letzteres ist ihm gelungen.
Tierschützer: Fokus auf heimische Spezies und Information
Eisbären im Zoo? Geht gar nicht! Für Tierschützer sind die weißen Tiere hinter Glas ein Paradebeispiel des Leids ausgestellter Exoten. Denn in Freiheit wandern die Räuber alleine über die Weiten des ewigen Eises, ein begrenztes Gesellschaftsleben im mitteleuropäischen Tiergarten ist wider ihre Natur. Gerade sensible Spezies mit komplexen Sozialsystemen, großem Bewegungsbedarf und besonderen Klimaansprüchen sind in menschlicher Obhut fehl am Platz. Kritiker stoßen sich aber nicht nur an der Auswahl und Haltung so mancher Art, sie stellen auch Aufgaben, die sich zoologische Gärten auf die Fahnen heften, in Frage.
Die Argumente der Kritiker im Detail
Tierschützer sehen das Argument, man fördere die Bildung , kritisch: Die Vermittlung von Wissen und Emotionen muss nicht über Exoten laufen. „Besonders jüngere Besucher sind auch sehr begeistert von domestizierten und heimischen Wildtierarten“, sagt Yvonne Nottebrock von Vier Pfoten. Deren Beobachtung reiche durchaus, um für Naturschutz zu sensibilisieren. Exoten sollen bleiben, wo sie hingehören; nicht zuletzt weil die Gefangenen ein falsches Bild der wilden Verwandtschaft vermitteln. Den Lerneffekt erzielen Zoos, indem sie über jede Tierart umfassend informieren.
Ähnlich argumentieren sie beim Artenschutz: Die Rettung und Zucht bedrohter Spezies in Zoos haben wenig Sinn, wenn die Auswilderung an zerstörten Lebensräumen scheitert. „Wir sollten unsere ganze Anstrengung darin investieren, natürliche Lebensräume zu erhalten, das Massensterben soweit als möglich zu bremsen und Diversität in Freiheit zu erhalten“, sagt Heidi Lacroix vom Verein gegen Tierfabriken. Schutzprojekte vor Ort müssen Priorität haben. Zoos könnten Auffangstation für verletzte, verwaiste oder gequälte (Wild)Tiere sein.
Zum Thema Forschung: Tiergärten, die Besuchermassen anlocken müssen, sind mehr Wirtschaftsunternehmen denn Forschungseinrichtung, argumentieren die Zoo-Kritikerinnen. Wissenschaftliche Arbeiten können nur Ergebnisse über das tierische Leben in Gefangenschaft liefern.
„Besuchen Sie keinen schlecht geführten Zoo. Nehmen Sie nie an Foto- oder Streichelgelegenheiten mit Wildtieren teil“, appelliert Nottebrock an Schaulustige. Lacroix ergänzt: „Im Internet und TV warten spannende Dokus. Besuche in Wildtierauffangstationen sind lohnend. Auch ein Waldspaziergang bietet ein echtes Naturerlebnis.“
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