Eine Studie über den islamischen Religionsunterricht in Österreich geriet vergangene Woche ins Kreuzfeuer der Kritik: Sie sei „rassistischer Natur“ hieß es, auch Bildungsminister Martin Polaschek distanzierte sich von der Untersuchung. Der KURIER konnte nun mit Studienleiter Ednan Aslan, Professor für islamische Religionspädagogik, sprechen.
KURIER: Seit wann läuft die besagte Studie schon?
Ednan Aslan: Seit rund einem Jahr. Es ist ein Dissertationsprojekt einer Studentin, das ich betreue. Wir haben von den Bildungsdirektionen und Schulen breite Unterstützung bekommen. Es gibt den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen seit 40 Jahren und er wurde noch nie evaluiert. Ich habe vor dem Start die IGGÖ (Islamische Glaubensgemeinschaft Österreich, Anm.) kontaktiert und angeboten, das wir vor der Veröffentlichung über Ergebnisse der Studie sprechen können, aber uns keine Inhalte diktieren lassen. Wir haben zwei Stunden geredet, dann haben sie sich nie mehr gemeldet.
Wie haben Sie die Kritik an der Studie erlebt?
Was mich stört, ist die Reaktion des Herrn Minister. Ich habe ihm ein eMail geschrieben, er hat nicht geantwortet. Aber wenn Schüler bei einem Gebet fünfmal am Tag Gott bitten, dass er sie „vor dem Höllenfeuer schützen möge“, ist es berechtigt, zu fragen, wie die Schüler mit dieser veralteten Theologie umgehen. Zu fragen, ob im Unterricht alte Inhalte des Korans kritisch reflektiert werden. Wir wollen sehen, ob der Unterricht eine europäische Prägung hat. Ich bin überzeugt, der Minister weiß nicht, was im Religionsunterricht passiert. Es weiß auch nicht, dass Lehrerinnen unter Druck kommen, wenn sie das Kopftuch abnehmen wollen. Dass meine Absolventinnen ohne Kopftuch bei der IGGÖ nicht als Religionslehrerinnen beschäftigt werden.
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Kannte der Minister die genauen Inhalte der Studie?
Sicher nicht. Ich kann auch nicht erwarten, dass er sofort den Fragebogen mit 72 Fragen liest. Aber er hat eine Verantwortung und weiß, dass Aussagen Konsequenzen haben. Damit kapituliert er vor radikalen Positionen und verhindert einen innerislamischen Diskurs. Die Meldung wurde in Medien in der Türkei, Indonesien, im Iran usw. übernommen, nur noch extremer. Dort bin ich der Feind und Verräter.
Damit gerät auch die Forschung unter Druck?
Wir müssen ohne Angst forschen können. Wir haben nicht die absolute Wahrheit, aber versuchen, einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion zu leisten. Wenn man sich immer fürchten muss, was man sagt, kann man nicht forschen. Wir finden schwer junge Wissenschafter, weil sie Angst haben, als rassistisch oder islamophob zu gelten.
Was passiert mit der Studie?
Sie läuft weiter. Ich bin optimistisch, dass wir bis Juni 1.000 Befragungen schaffen. 300 fehlen. Aber die IGGÖ setzt per eMail Lehrer unter Druck, die bei der Studie mitgemacht haben. Das ist wie eine Hexenjagd.
Wie geht es der Dissertantin, die die Studie durchführt?
Wir haben sie auf Urlaub geschickt, nach der Aufregung und der Kritik des Ministers. Aus meiner Erfahrung ist das typisch: Diese Angst davor, Muslime kritisch zu betrachten, Gewohnheiten zu hinterfragen. Diese Anfeindungen beeinflussen die Forscher. Wenn man Mails mit schlimmen Inhalten und Drohungen bekommt – etwa, dass jemand „weiß, wo die Tochter arbeitet“. So wird die Freiheit eingeschränkt. Die Angst in den islamischen Ländern wird exportiert, wir sind davon infiziert.
Sie sagten in einem Interview, der Diskurs in Bagdad im 9. Jahrhundert war offener als der in Wien heute.
Das ist auch so. In den USA haben bei den Türkei-Wahlen 80 Prozent für die Opposition gestimmt, in Österreich waren 70 Prozent für Erdoğan. Das ist auch ein Bildungsproblem. Da wird wenig kritisch reflektiert. Erdoğan sagt, er schütze die Muslime vor den Ungläubigen, der Halbmond führt Krieg gegen das Kreuz. Diese Symbolpolitik begeistert die Menschen, nicht die Fakten. Keine gute Grundlage für die Demokratisierung kommender Generationen. Der Minister wäre gut beraten, in bestimmten Bezirken in den Städten Schulen zu besuchen und zu fragen, welche Erfahrungen sie dort täglich machen.
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Was haben wir bei der Integration falsch gemacht?
Wir haben nichts falsch gemacht – wir haben gar nichts gemacht. Wir haben Entwicklungen am Rand der Gesellschaft kaum wahrgenommen. Die MJÖ (Muslimische Jugend, Anm.) ist viel professioneller organisiert als so manche Partei. Die Moscheen mit ihren professionellen Infrastrukturen sind nicht mehr die alten Hinterhofmoscheen. Das nutzen andere Staaten, etwa die Türkei. Je professioneller die Struktur, desto besser können sie hier agitieren.
Was können wir tun?
Wir sollten vor antidemokratischen, islamistischen Ideologien nicht kapitulieren. Eine Antwort, die ich mir vom Minister wünsche, wäre: „Die Forschung kann Fehler machen – aber sie ist frei.“ Dass wir sehr zögerlich zu den eigenen Werten stehen, wird als Schwäche der demokratischen Kultur wahrgenommen.
Ihr Tipp für die Stichwahl?
Erdoğan wird 60 bis 70 Prozent machen. In der Stichwahl will er einen historischen Sieg schaffen, er muss Putin übertreffen. Aber ich hoffe, ich irre mich.
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