Die Stadt des würdevollen Vergessens: Oberwart will noch "demenzfreundlicher" werden

In Oberwart werden seit einigen Jahren Menschen mit Demenz besonders gut betreut – dank des Projekts „Demenz(im)Zentrum“ 
Welche Ansätze verfolgt werden, warum das Thema immer wichtiger wird und wie man die Situation für alle Betroffenen verbessern kann

Die Ankündigung des Landes, in Rechnitz das erste Demenzzentrum des Landes zu errichten, sorgte im nur wenige Kilometer entfernten Oberwart für etwas Erstaunen. Denn dort gibt es bereits seit 2017 das Projekt „Demenz(im)Zentrum“ von der Diakonie Südburgenland.

Seit Jahren wird dort mit vereinten Kräften versucht, das Krankheitsbild der Demenz neu zu zeichnen. „Würde bedeutet, einen Menschen ganzheitlich zu betrachten, mit Körper und Seele, das macht das Menschsein aus. Darum ist es wichtig, so lange wie möglich in der Gesellschaft leben zu können, akzeptiert und respektiert zu werden“, sagt Palliativmediziner Klaus Peter Schuh, einer der „Geburtshelfer“ des Oberwarter Projekts, das von Land, Stadt, beiden Kirchen, der Oberwarter Siedlungsgenossenschaft und weiteren ehrenamtlich tätigen Personen und Vereinen unterstützt wird.

Die Stadt des würdevollen Vergessens: Oberwart will noch "demenzfreundlicher" werden

Klaus Peter Schuh, Palliativmediziner

Start im Jahr 2007

Bereits 2007 wurde in Oberwart der Seniorengarten, eine Tagesbetreuungsstätte, eröffnet. Dann folgten eine Seniorenwohngemeinschaft Plus, Demenz(im)Zentrum und Demenz-Cafés als regelmäßige Treffpunkte für Betroffene und deren Angehörigen. „Durch nicht medikamentöse Maßnahmen, die wir in Oberwart seit 2017 anwenden, können Alltagsfähigkeiten, Selbstwertgefühl und Lebensqualität bei leichterem und mittlerem Demenzgrad über längere Zeit stabilisiert werden“, sagt Schuh. Die schwere Pflegebedürftigkeit könne auf diese Weise hinausgezögert werden, geheilt werden kann die Krankheit nicht.

Die Diakonie hat das Ziel, dass die Stadt Oberwart spätestens ab 2035 „demenzfreundliche Gemeinde“ wird. „Es geht um Entlastung der Familien und darum, Leben in der gewohnten Umgebung zu ermöglichen. Das sind Visionen, die wir in der Stadt umsetzen wollen“, erklärt Schuh.

„Würde bedeutet, einen Menschen ganzheitlich zu betrachten, mit Körper und Seele, das macht Menschsein aus“ 

von Klaus Peter Schuh

Palliativmediziner

Die Pläne für Oberwart

Im Lauf der nächsten Jahre sollen Aufklärungsmaßnahmen für den Umgang von Menschen mit Demenz initiiert werden, damit sie sich in der Stadt frei bewegen können und durch zertifizierte Demenzbegleitung aufgefangen werden. In letzter Konsequenz soll in der Innenstadt von Oberwart ein barrierefreies Leben für Menschen mit Demenz möglich sein, etwa mit Begegnungszonen, aber auch durch moderne Technik. So könnten Menschen mit Demenz mit GPS-Trackern jederzeit geortet werden, falls sie nicht mehr nach Hause zurückfinden.

„Es geht uns als Diakonie darum, alles dafür zu tun, um das Bild von Menschen mit Demenz neu zu zeichnen“, betonte Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser bei einem Besuch in Oberwart. „Der Mensch ist mehr als seine Demenz. Und im Burgenland ist der Diakonie mit dem ,Demenz(im)Zentrum‘ ein wichtiger Schritt gelungen.“

Entscheidend ist für Schuh auch das Wording, also die richtige Bezeichnung: „Demenz ist ein Zustand, der gesundheitliche und soziale Beeinträchtigungen beinhaltet und somit mehr ist als eine medizinische Diagnose und Krankheit. Deshalb spricht man nicht von Demenzerkrankten, sondern von Menschen mit demenziellen Beeinträchtigungen und Menschen mit Demenz“, betont Palliativmediziner Schuh.

Altersgerechtes Wohnen

Auch die Demografie zeige die Notwendigkeit von personen-zentrierten Maßnahmen, so Schuh weiter: „Eine Zunahme der Menschen über 80 Jahre um 100 Prozent bis zum Jahr 2050, somit auch eine Verdoppelung der Menschen mit Demenz von 120 auf 240 Personen in Oberwart, unterstützen unsere Ideen.“

Gedanken über das Wohnen und Leben im höheren Alter müssten sich übrigens relativ viele Burgenländerinnen und Burgenländer machen. Denn eine aktuelle Trendstudie von ImmoScout24.at hat ergeben, dass vier von zehn Burgenländer in einer Immobilie leben, die nicht altersgerecht ausgestattet ist. Das ist der höchste Wert in Österreich im ohnehin schon ältesten Bundesland (siehe Infobox oben).

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