Warum der Commerzialbank-Skandal noch lange nicht vorbei ist
Am Landesgericht Eisenstadt beginnt heute der bisher größte Prozess in der Causa Commerzialbank Mattersburg. Geplant sind vorerst zehn Verhandlungstage bis 6. März.
Der schwer kranke Ex-Bankchef Martin Pucher wird auch diesmal nicht vor Gericht erscheinen, er ist laut einem vom Gericht in Auftrag gegebenen Gutachten nicht verhandlungsfähig. Das Verfahren gegen ihn wurde ausgeschieden, es wird nicht in seiner Abwesenheit verhandelt.
Die Vorwürfe betreffen einen Teilaspekt der Causa Commerzialbank, der eine Schadenshöhe von rund 70 Millionen Euro umfasst. Zwei Einsprüche gegen die Anklage der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) waren Ende Juli 2024 vom Oberlandesgericht Wien abgewiesen worden.
Verhandelt wird ab Dienstag jeweils von 9.30 bis 15.30 Uhr im größten Saal 1 am Landesgericht Eisenstadt.
Wie lange die Verfahren rund um die Commerzialbank dauern werden, ist derzeit unklar.
Die Geschichte zeigt jedenfalls, dass Bank-Insolvenzen in Österreich im Durchschnitt 15 Jahre dauern. Rekordhalter ist die Riegerbank, deren Abwicklung 23 Jahre brauchte. Erst dann sahen die Anleger zumindest einen Teil ihres Geldes wieder.
Zentrale Aspekte der aktuellen Verhandlung
- Angeklagt sind neben der früheren Bankvorständin Franziska Klikovits drei Unternehmer, die Scheinrechnungen ausgestellt und veruntreute Gelder aus der Bank erhalten haben sollen.
- Klikovits ist unter anderem wegen Veruntreuung von Bankgeldern, Untreue und betrügerischer Krida angeklagt.
- Pucher zeigt sich geständig und kooperativ, während die WKStA weiterhin in diversen Verfahrenssträngen ermittelt.
Am 14. Juli 2020 zog die Finanzmarktaufsicht (FMA) die Reißleine und schloss die Commerzialbank Mattersburg. Der Verdacht auf umfassende Bilanzfälschungen, "Luftbuchungen" und fingierte Kredite hatte sich bestätigt. Viereinhalb Jahre später bleibt die Aufarbeitung dieser spektakulären Pleite eine Mammutaufgabe für die Justiz.
Erfundene Spareinlagen, "Luftbuchungen", fingierte Kredite, Ermittlungen wegen schweren Betrugs, Untreue und Geldwäscherei. Ein großer Teil der Bilanzsumme der am 14. Juli 2020 behördlich gesperrten Commerzialbank Mattersburg dürfte erfunden sein.
Ihre Pleite ist laut den Gläubigerschutzverbänden die größte Insolvenz des Burgenlands, die es je gegeben hat. Zuletzt beliefen sich die Forderungen auf über 800 Mio. Euro.
Die gesamte Chronologie seit Sommer 2020 zum Durchklicken:
- 14. Juli 2020 - Um 23.43 Uhr teilt die Finanzmarktaufsicht (FMA) der Öffentlichkeit mit, dass der Commerzialbank Mattersburg der Fortbetrieb untersagt ist. Ein Regierungskommissär ist eingesetzt.
- 15. Juli - Die Aufseher schalten die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ein.
- 22. Juli - Auszahlungen der Einlagensicherung laufen an.
- 27./28. Juli - Die FMA beantragt Konkurs über die Bank. Das burgenländische Landeskriminalamt richtet eine "Soko Commerz" ein.
- 1. August - Es wird bekannt, dass die Bankenaufsicht schon 2015 Hinweise auf dubiose Kredite hatte, die Nationalbank konnte dies aber nicht abklären. Landesrat Christian Illedits (SPÖ) tritt wegen einer Geschenkannahme zurück. Bericht: Die Liste der Goldgeschenke
- 2./3./4. August - Um versuchte, tatsächlich aber nicht mehr zustande gekommene Geldabbuchungen unmittelbar vor der Banksperre - z.B. durch die landeseigene Regionalmanagement Burgenland (RMB) - tobt ein Streit um Tippgeber und damit die Frage, wer wann was von der bevorstehenden Schließung gewusst hat. Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) kündigt eine Amtshaftungsklage gegen die Republik an.
- 12. August - Leonhard Schneemann wird zum Nachfolger des zurückgetretenen Landesrats Illedits designiert. Die Schließung der Bank wird angeordnet.
- 14. August - Der SV Mattersburg beantragt Konkurs.
- 21. August - Einvernahmeprotokolle von Ex-Bankchef Martin Pucher werden bekannt. Er gesteht laut Protokoll, dass es bereits vor 1992 einzelne Fake-Kredite gegeben habe, und sagt aus, dass ihm alles leid tue.
- 25. August - Einvernahmeprotokolle der Ex-Bankvorständin Franziska Klikovits werden bekannt. Sie gibt an, dass sie und Pucher schon länger ein eingespieltes Team gewesen seien. Persönlich habe sie sich aber nicht bereichert.
- 26./27. August - Die Konkursverfahren über die Commerz-Real Vermietungs- und Verwaltungsgesellschaft m.b.H. sowie über die Commerzialbank Immobilien GmbH werden eröffnet. Pucher meldet Privatkonkurs an.
- 4. September - Der von der Opposition beantragte U-Ausschuss wird von Landtagspräsidentin Verena Dunst (SPÖ) eingesetzt.
- 14. September - Über die Mehrheitseigentümerin der Commerzialbank wird ein Konkursverfahren eröffnet.
- 15. September - Der Masseverwalter der Commerzialbank, die Kanzlei Kosch & Partner, klagt Wirtschaftsprüfer TPA auf 20 Mio. Euro Schadenersatz.
- 16. September - Ex-Bankvorständin Klikovits meldet Privatkonkurs an.
- 18. September - Die Opposition ruft nach der Streichung von Passagen aus dem Antrag auf Einsetzung eines U-Ausschusses durch Landtagspräsidentin Dunst das Landesverwaltungsgericht an.
- 30. September - Der U-Ausschuss startet mit seiner konstituierenden Sitzung.
- 8. Oktober - Die Masseverwalter geben bekannt, dass die Commerzialbank mit 705,5 Mio. Euro überschuldet ist. Fast 690 Mio. Euro existierten nur auf dem Papier. 156 Mio. wurden seit 2010 aus der Bank getragen, 57 Mio. davon zum SV Mattersburg.
- 16. Oktober - Das Landesverwaltungsgericht gibt der Anfechtung der Opposition statt. Die Streichungen aus dem Antrag auf Einsetzungen eines U-Ausschusses sind rechtswidrig, die gestrichenen Passagen werden in den Untersuchungsgegenstand aufgenommen.
- 5. November - Im U-Ausschuss werden die ersten Auskunftspersonen befragt. Pucher kommt aus gesundheitlichen Gründen nicht.
- 28. November - Puchers Geschenkeliste wird zum Thema. Darauf sollen etwa Bürgermeister, Aufsichtsräte, Mitarbeiter des Wirtschaftsprüfers TPA und Vertreter der Einlagensicherung stehen. Außerdem soll eine VIP-Saisonkarte des SVM für Ex-Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) gefunden worden sein. Niessl sagt, er habe von der Karte nichts gewusst.
- 9. Dezember - Das Inventar der Commerzialbank-Filialen wird online versteigert.
- 17. Dezember - Ex-Bankvorständin Klikovits sagt im U-Ausschuss, dass 50 Prozent der Kredite, 95 bis 98 Prozent der Interbankveranlagungen und zehn Prozent der ausgebuchten Kundeneinlagen Fake waren. Landeshauptmann Doskozil kritisiert in seiner Befragung die Bankenaufsicht. FMA-Chef Ettl weist die Kritik zurück.
- 26. Jänner 2021 - Die WKStA ermittelt gegen drei Mitarbeiter der FMA aufgrund des Verdachts des Amtsmissbrauchs im Zusammenhang mit der Whistleblower-Anzeige 2015.
- 3. Februar - Pucher sagt im U-Ausschuss, dass Alt-Landeshauptmann Niessl und die ehemalige Mattersburger Bürgermeisterin Ingrid Salamon (SPÖ) Goldplättchen geschenkt bekommen haben. Niessl weist das vehement zurück, Salamon sagt dazu nichts, weil sie anonym angezeigt wurde. OeNB-Vizegouverneur Gottfried Haber sieht in der Causa kein Versagen der Bankenaufsicht.
- 5. Februar - Die Einlagensicherung klagt die Republik auf 490 Mio. Euro.
- 18. Februar - Alt-Landeshauptmann Niessl bekräftigt im U-Ausschuss, dass er keine Wahrnehmungen zu einem Goldgeschenk von Pucher habe und dass alle Geschenke an einen Sozialfonds geflossen seien.
- 22. Februar - Die Gläubiger genehmigen die vom Masseverwalter ausgearbeitete Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich über 303 Mio. Euro. Das Land Burgenland klagt die Republik via Energie Burgenland auf 4,9 Mio. Euro.
- 25. Februar - Der U-Ausschuss geht mit dem letzten Befragungstag zu Ende.
- 2. März - Das Land klagt die Republik auch via Regionalmanagement Burgenland (RMB) auf 1,4 Mio. Euro.
- 1. April - Die SPÖ Burgenland zeigt OeNB-Vizegouverneur Gottfried Haber wegen mutmaßlicher Falschaussage im U-Ausschuss an.
- 6. April - Der U-Ausschuss beschließt den Abschlussbericht von Verfahrensrichter Walter Pilgermair. Er sieht keine Verfehlungen des Landes.
- 8. April - Die ÖVP Burgenland zeigt Doskozil und FMA-Chef Helmut Ettl wegen mutmaßlicher Falschaussage im U-Ausschuss an.
- 15. April - Der Landtag nimmt den Abschlussbericht des Verfahrensrichters zur Kenntnis.
- 16. April - Ermittlungen gegen FMA-Vorstand Ettl wegen des Verdachts auf eine mögliche Verletzung des Amtsgeheimnisses werden bekannt.
- 20. April - Es wird bekannt, dass gegen Landeshauptmann Doskozil und FMA-Chef Ettl wegen mutmaßlicher Falschaussage im U-Ausschuss ermittelt wird, weil sie sich bei ihren Angaben zum Informationsfluss vor der Schließung der Commerzialbank widersprochen haben. Doskozil wird befragt und sein Diensthandy zwischenzeitlich beschlagnahmt.
- 5. Mai - Das Inventar des SV Mattersburg wird versteigert.
- 9. Juni - Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien weist eine Klage von Sparern gegen die Republik zurück.
- 18. August - Die Patente, auf die Pucher seine Hoffnungen gesetzt hatte, sind laut einem Gutachten deutlich weniger wert als erhofft - statt 300 bis 400 Mio. Euro sind es im besten Fall 980.000 Euro.
- 23. August - Das Landesgericht Eisenstadt weist eine Klage von zwei Sparerinnen gegen das Land Burgenland ab. Das Land muss demnach nicht für durch die Bankpleite entstandene Schäden haften.
- 1. September - Landeshauptmann Doskozil kündigt an, im Falle einer Anklage zurückzutreten.
- 27. September - Die Finanzbehörde fordert 59 Mio. Euro an Kapitalertragsteuer von der Commerzialbank für die mutmaßlich veruntreuten Summen. Die Masseverwalter legen Beschwerde ein.
- 4. Oktober - Die Gläubiger fordern mittlerweile mehr als 1,1 Mrd. Euro von Ex-Bankchef Pucher.
- 6. Oktober - Auch die Steuerfahnder nehmen Prüfungen gegen 31 Beschuldigte, gegen die die WKStA ermittelt, auf.
- 14. Oktober - Die Staatsanwaltschaft Eisenstadt nimmt keine Ermittlungen gegen OeNB-Vize Haber auf, nachdem die SPÖ diesen wegen mutmaßlicher Falschaussage angezeigt hatte.
- 9. November - Die Oberstaatsanwaltschaft Wien ordnet weitere Ermittlungen gegen Doskozil an. Er soll laut Anwalt Johannes Zink nochmals befragt werden - diesmal als Beschuldigter und nicht als Zeuge. Die WKStA hatte nach Angaben von Zink eigentlich die Einstellung empfohlen.
- 11. November - Die Klage des Masseverwalters gegen die Republik Österreich wird abgewiesen.
- 29. November - Die Finanzprokuratur regt ein Strafverfahren gegen die Prüfer der Bank an.
- 29. Dezember - Das Land übernimmt Forderungen in Höhe von 2,75 Mio. Euro von geschädigten Gemeinden.
- 4. Jänner 2022 - Der Verfassungsgerichtshof entscheidet, dass der Bund nicht für Schäden haftet, die Kunden durch die Insolvenz der Bank erlitten haben.
- 13. April - Die Ermittlungen gegen Doskozil wegen mutmaßlicher Falschaussage im U-Ausschuss werden eingestellt, ebenso jene gegen FMA-Chef Ettl.
- 5. Mai - Ermittlungen wegen mutmaßlicher Erpressung gegen einen ehemaligen Mitarbeiter der Bank werden bekannt. Pucher hatte in seiner Befragung angegeben, er habe sich von diesem erpresst gefühlt.
- 4. Juni - Gegen einen ehemaligen Steuerberater wird wegen des Verdachts des schweren Betrugs und der Bilanzfälschung ermittelt.
- 9. August - Der Oberste Gerichtshof entscheidet, dass die Republik nicht für Vermögensschäden von Bankkunden aufgrund einer fehlerhaften Bankaufsicht haftet.
- 2. März 2023 - Der Linzer Wirtschaftsanwalt Gerald Waitz klagt die ehemalige Wirtschaftsprüfungskanzlei der Bank.
- 29./30. Juni - Die Ermittlungen gegen Ex-Landesrat Christian Illedits wegen Geschenkannahme sind beendet. Es kommt zu einer Diversion. Drei weitere Diversionen werden bekannt.
- 12. Juli - Es wird bekannt, dass die Malversationen bereits 1981 begonnen haben dürften.
- 17. August - Der ehemalige Abschlussprüfer der Commerzialbank geht in Konkurs.
- 14. Dezember - Die Patentfirma von Ex-Bankchef Pucher meldet Insolvenz an.
- 19. Dezember - Die WKStA klagt Pucher, Klikovits und einen ehemaligen Mitarbeiter wegen Veruntreuung bzw. Erpressung an. Der Mitarbeiter soll 70.000 Euro aus den Mitteln der Bank bekommen haben, weil er damit gedroht hatte, die Malversationen aufzudecken.
- 4. Jänner 2024 - Die Ermittlungen gegen die ehemalige Mattersburger Bürgermeisterin Salamon wegen Geschenkannahme werden eingestellt.
- 23. Jänner - Pucher, Klikovits und ein Ex-Mitarbeiter stehen wegen Veruntreuung bzw. Erpressung in Eisenstadt vor Gericht. Pucher fasst eine bedingte Haftstrafe von elf Monaten aus, Klikovits erhält acht Monate bedingt. Ein Ex-Mitarbeiter, der die beiden um 70.000 Euro erpresst haben soll, bekommt 16 Monate bedingt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
- 29. Jänner - Die WKStA bringt eine neue Klage gegen Pucher, Klikovits und drei Unternehmer unter anderem wegen Veruntreuung von Bankgeldern, Untreue und betrügerischer Krida ein.
- 5. Februar - Der erste Schuldspruch für Pucher und Klikovits ist rechtskräftig. Ein ebenfalls verurteilter Ex-Mitarbeiter meldet Berufung an.
- 15. Februar - Die am 29. Jänner veröffentlichte Anklage wird von zwei Personen beeinsprucht.
- 13. Mai - Es wird bekannt, dass eine Mattersburger Wiese aus dem Besitz der Commerzialbank nach der Versteigerung durch den Masseverwalter von der Eisenbahnerwohnbaugenossenschaft BWSG binnen drei Monaten mit rund zehn Mio. Euro Gewinn weiterverkauft wurde.
- 17. Mai - Das Land wendet sich bezüglich des Grundstücksgeschäfts rund um die Wiese in Mattersburg an die WKStA. Bericht: Millionendeal mit Commerzialbank-Wiese: Land schaltet WKStA ein.
- 25. November - Die WKStA bringt eine Klage gegen ein namentlich nicht bekanntes ehemaliges Bank-Vorstandsmitglied ein, da die Bank Weihnachtsfeiern von drei Polizeiinspektionen aus dem Bezirk Mattersburg bezahlt haben soll. Diversionsangebote für vier Polizeibeamte. Ermittlungen gegen Pucher in diesem Delikt eingestellt.
2025 beginnt mit dem bisher größten Prozess
Martin Pucher hat die Vorwürfe gestanden und zeigt sich weiterhin kooperativ, wie sein Anwalt Norbert Wess betont. Pucher bleibt trotz seiner schweren Erkrankung bei seinen Geständnissen und steht den Ermittlungen zur Verfügung.
Er und Franziska Klikovits wurden bereits Anfang des Vorjahres in einem Nebenstrang der Anklage schuldig gesprochen, jedoch erscheint es unwahrscheinlich, dass Pucher aufgrund seines Gesundheitszustandes bei künftigen Prozessen persönlich anwesend sein wird.
Historische Dimension der Insolvenz
Die Insolvenz der Commerzialbank Mattersburg bleibt die größte in der Geschichte des Burgenlandes. Mit Forderungen, die sich zuletzt auf über 800 Millionen Euro beliefen, und einer Bilanz, die zu großen Teilen aus Fiktion bestand, hat dieser Fall weitreichende Folgen.
Die strafrechtliche Aufarbeitung sowie die Suche nach Verantwortlichen und Vermögenswerten sind weiterhin in vollem Gange. Die Causa Commerzialbank wirft ein Schlaglicht auf die Mängel in der Bankenaufsicht und hat zu zahlreichen Klagen und Untersuchungen geführt. Die betroffenen Gläubiger und Geschädigten warten nach wie vor auf Gerechtigkeit und Entschädigung.
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