Das ganze Ibiza-Video: "Ich will so eine Rolle wie Orbán"
Sieben Stunden lang dauert das Gespräch, das die Republik erschüttern wird. Vier Minuten davon wurden bisher veröffentlicht, dazu sind mittlerweile weitere Passagen in ähnlicher Länge bekannt, die den ehemaligen Vizekanzler entlasten sollen. Doch kaum jemand kennt bis heute die komplette Unterhaltung in der Finca. Weder der Untersuchungsausschuss des Parlaments noch Strache oder Gudenus selbst konnten bisher Einsicht nehmen in das brisante Material.
Dem KURIER gelang es nun, das gesamte Material zu sichten und komplett auszuwerten. Vieles ist unverständlich, es gibt ein Sprachen-Wirrwarr aus Deutsch, Englisch und Russisch. Die gesammelten Sequenzen enthalten sowohl Belastendes als auch Entlastendes. Und sie lassen so manches in einem neuen Blickwinkel erscheinen.
Die ersten knapp zwei Stunden sind dabei die Bühne von Strache, in denen er sein Weltbild sowie seine Pläne als Kanzler kundtut. Gesprochen wird in verschiedenen Zusammenhängen über Juden oder die Islamisierung. Man ist sich an dem Tisch einig, dass „niemand hier Homosexuelle mag“ (O-Ton Detektiv Julian H.).
Der Holocaustleugner und „Rabbi“ Moishe F., der an einer Anti-Israel-Konferenz im Iran genommen hat, ist laut Strache etwa „ein Lustiger, ein Lieber. Ich mag ihn ja, aber seine Aussagen teilweise...hu, ist der schräg“.
Oder: „Die Sozialdemokraten haben natürlich sehr stark die Logen, aber auch, ich sag, jüdische Industrielle wie den Schlaff.“
März 2015
Der Anwalt M. möchte Anzeige zu Heinz-Christian Straches Spesengebaren erstatten, kommt damit aber im Bundeskriminalamt nicht durch. Deshalb könnte, so eine Vermutung, langsam die Idee zu einem Video gereift sein.
Frühjahr 2017
Es kommt zu mehreren Treffen zwischen dem (noch immer gesuchten) Ibiza-Detektiv Julian H. und Johann Gudenus. Dabei werden Videofallen aufgestellt, in einer davon wird Gudenus beim Koksen erwischt.
Juli 2017
Am Montag, den 24. Juli 2017, treffen auf einer angemieteten Finca in Ibiza aufeinander: der Lockvogel Alyona Makarov, Heinz- Christian Strache, Johann Gudenus, dessen Ehefrau und der Detektiv Julian H.
2018/2019
Das Video wird mehreren Personen aus Politik und Medien zum Kauf angeboten, doch niemand greift zu. Erst Anfang 2019 zeigen die „Süddeutsche Zeitung“ und der „Spiegel“ Interesse, wollen aber nichts dafür bezahlt haben. In dem Video ist zu sehen, dass ein Verkauf des Wassers als Gegengeschäft möglich wäre. Auch Spenden über Vereine an die Parteien werden besprochen
17. Mai 2019
Das Video wird veröffentlicht, zunächst treten Strache als Vizekanzler und Gudenus als FPÖ-Klubobmann zurück. Wenig später kommt es zum Bruch der Koalition
Und dann sagt Strache aber auch: „Bei Antisemitismus hört sich bei mir alles auf“.
Kickl, Hofer, Psychologe
Derartige Widersprüche tauchen in dem Gespräch immer wieder auf.
Als seinen engsten Beraterkreis beschreibt Strache jedenfalls „Kickl, Hofer, unseren Psychologen Ferdinand Stürgkh und Gudenus (...) Ich habe meine Nachfolger aufgebaut, Norbert Hofer oder Gudenus (...) Mit einem starken Norbert Hofer an meiner Seite lohnt es sich nicht, mich zu liquidieren (...) solange ich nicht tot bin, habe ich die nächsten 20 Jahre noch das sagen.“ Informiert habe er seinen Vize über das Treffen auf Ibiza allerdings nicht: „Der Hofer weiß das nicht.“
Gudenus skizziert aber weiter: „Wir haben schon in mindestens zwei Regionen Regierungsmitglieder, jetzt kann man alles organisieren. Es gibt viele Korrumpierte. Viele, viele.“
Und Strache meint zu seinen Plänen für die Nationalratswahl: „Also wir wollen Erster sein, ganz offene Antwort“. Was Lockvogel Makarova so kommentiert: „Ich möchte auch Kosmonautin sein.“
Strache erklärt unbeirrt weiter: „Ich will so eine Rolle wie Orbán.“ Darauf Gudenus: „Der Orbán rockt das Land.“ Und Strache präzisiert: „Wir wollen eine Medienlandschaft ähnlich wie der Orbán aufbauen.“ Das bedeutet, es gibt de facto kein Medium, dass die Regierungslinie kritisieren darf.
Der FP-Frontmann spricht vom „Soros-System“ in Ungarn, ein rechter Verschwörungsmythos gegen den aus Ungarn stammenden Milliardär George Soros, der zuletzt sogar mit der Corona-Pandemie in Verbindung gebracht wurde.
„Jetzt reißt er, Orbán, voll gegen Soros an. Zu recht, weil der Soros hat natürlich die ganzen NGOs finanziert, die Konterrevolutionen“, meint Strache.
Und er macht klar: „Wir wollen in die Visegrad-Gruppe hinein und wollen uns sehr stark Richtung Osten öffnen und Gegengewicht zu dieser dekadenten westlichen EU sein (...) Uns ist bewusst, Europa wird vor der Rettung und dem Untergang stehen (…) Der Rest Europas wird islamisiert, das ist demografiepolitisch in fünf Jahrzehnten durch, die einzige Rettung wird es geben im Osten. Und das wird eine Spaltung werden.“
Diese vergleicht er mit dem Zerfall des Römischen Reichs in einen West- und Ostteil.
„Im Osten Europas sind die Menschen normal. Wir haben die Dekadenz im Westen.“ Strache zeigt auch Sympathien für den serbischen Homosexuellen-Hasser und Leugner des Völkermords in Srebrenica Dragan Marković, dieser sei „ein geiler Typ“.
Strache ist sich zu diesem Zeitpunkt sicher: „Wir sind eine Aktie, die steigt.“
Gudenus fügt hinzu, dass man eigentlich schon den Bundespräsidenten stellen müsste, aber: „Sie wurden gefälscht, die Wahlen, sehr stark.“
Immer wieder schenkt Ibiza-Detektiv Julian H. den beiden FP-Politikern Alkohol nach. Wodka und Champagner wird kredenzt, beinahe im Halbstunden-Takt fragt er nach. Über die jeweiligen Alkohol-Vorlieben wird gesprochen. Strache greift auch zu Red Bull: „I am the Red Bull Brother.“
„Das ist das Hauptthema“
Dann verlagert sich das Gespräch in den Innenraum der Finca: Langsam wird es ernst, die Frau von Gudenus spricht als erste das Thema Kronen Zeitung an. Der Lockvogel scheint zunächst etwas überfordert, doch Johann Gudenus bohrt zweimal nach: „Start?“
Zu Strache meint er: „Wir haben schon gesprochen Kronen Zeitung, na?“ Und Strache weiß, anders als bisher behauptet, Bescheid: „Ja, was ist da schon vorangeschritten, was ist da wirklich konkret?“
Gudenus legt nach: „Ich habe dir eh gesagt, warum wir hier sind, Kronen Zeitung ist das Hauptthema.“
Und tatsächlich wird dies für die nächsten drei Stunden das Gespräch beherrschen. Dazwischen gibt es zahlreiche verleumderische Behauptungen gegen heimische Spitzenpolitiker. Strache selbst spricht zwar von geheimnisvollen Informanten, das von ihm angesprochene Material besitzt er aber offenkundig nicht. Beweise gibt es bis heute keine. Diese könne ja etwa das neue Investigativ-Ressort der Krone beschaffen, meint er.
Kein konkreter Deal
Das später veröffentlichte Ibiza-Video besteht vor allem aus Szenen dieser drei Stunden. Die Oligarchin und der Detektiv Julian H. bohren immer wieder nach bezüglich eines Gegengeschäftes, Strache deutet zwar verschiedene Möglichkeiten (wie die Ausbootung der Strabag oder den Verkauf des Wassers) an, zu einem konkreten „Deal“ kommt es aber nicht.
Strache macht mehrfach deutlich: „Ob sie die Krone kauft oder nicht, ist uns wurscht. Es geht ums Geschäft, Du kannst aus der Krone allein ein Geschäft machen.“ Ihm ist unverständlich, wie man damit alleine nicht zufrieden sein kann. Ganz offensichtlich hofft er, dass die Oligarchennichte – deren Schönheit er mehrfach derb lobt – die Zeitung kauft und er nichts Konkretes anbieten muss. Nach knapp sechs Stunden reicht es Strache: „Jetzt gemma, bringt nichts.“
Straches Goldgeschäfte
Strache betonte bereits zuvor, dass er politisch „alles oder nichts“ haben wolle, offenbar sieht er es auch privat so. Statt tatsächlich zu gehen, schwadroniert er über Geld-Anlagen und Bitcoins. Außerdem erzählt er, wie er angeblich zu Reichtum gekommen sei: Ein Freund habe ihm geraten, kauf Gold. „Ich, Trottel, hör mir den an und denke mir: geile Geschichte. Die Gold-Unze steigt von 470 auf 500, auf 550 Dollar, auf 570, auf 600 auf 650. Ich Trottel verfluche mich schon, kaufe dann zum Glück mit 80 Prozent meiner Ersparnisse Gold. Und weißt Du, wie ich es verkauft habe, bei 1.300 Euro. Das war das Geschäft meines Lebens, hat mir meine Hütte möglich gemacht, zack so.“
Zum Schluss des Videos ist die Oligarchin sauer über den Gesprächsverlauf: „Wir kommen zu nichts, nur zu etwas ,ja,ja´ sagen und ihr steht auf und sagt: wir fahren weg. Ich bin einfach schockiert.“
Strache und Gudenus wollen lieber Party machen mit jungen Kollegen aus der FPÖ. Am Schluss, gegen vier Uhr in der Früh, fahren sie mit dem Detektiv in den ehemaligen Space-Club auf Ibiza. Strache bedauert, dass die „schoafe“ Oligarchin nicht mitkommt.
Die Rolle von Gudenus
Zu der von Straches Umfeld immer wieder geäußerten (und von Gudenus dementierten) Behauptung, Gudenus könnte mit Julian H. und dem Lockvogel mitgespielt haben, gibt es in den Videos sowohl Pros als auch Contras zu beobachten. So bittet Gudenus zu Beginn des Gesprächs über die Kronen Zeitung eigenartigerweise ausdrücklich darum, die Musik leiser zu drehen, weil er „die schöne Stimme von Alyona sonst nicht verstehen kann“.
Oder vielleicht doch, damit die Aufnahme besser wird?
Allerdings sind beide später einen Moment allein in der Küche und reden nicht so, als ob sie unter einer Decke stecken würden.
Überraschend ist teilweise, warum die Justiz gewisse Passagen geschwärzt hat. In diesen geht es etwa um Eigentümerstrukturen bei der Krone, die ohnehin bekannt sind. Würde man tatsächlich nur die teils abstrusen Behauptungen über politische Mitbewerber unkenntlich machen, dann wäre nur ein Bruchteil geschwärzt.
Und geklärt ist auch: In der Finca wurden keine illegalen Drogen offen konsumiert.
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