Corona: Auf wen die Regierung wirklich hört
Wie viele Corona-Experten gibt es eigentlich in Österreich?
Wäre die Lage nicht viel zu ernst, man könnte augenzwinkernd antworten: vermutlich um die acht Millionen.
Bei der Zahl der Experten schöpft die Bundesregierung trotz allem aus dem Vollen: Allein die interne Corona-Taskforce sowie der Beraterstab des Gesundheitsministers zählen 27 maximal dekorierte Fachleute, deren Expertise von der Virologie über Psychiatrie und Mikrobiologie bis zur Simulationsmathematik reicht.
Mit Fortdauer der Epidemie stellt sich freilich die Frage: Wem vertraut man wirklich? Auf wen hören Sebastian Kurz und Rudolf Anschober, wenn sie über Ausgangssperren und Maskenpflicht entscheiden?
Unterschiedliche Zugänge
Prinzipiell pflegen Kanzler und Gesundheitsminister unterschiedliche Zugänge: Kurz zählt auf kleine, intensive Runden, er telefoniert gern und oft; Anschober gilt als "Mann der runden Tische", sprich: Er mag es, möglichst viele Experten möglichst gleichzeitig um sich zu haben.
2.000 Intensivbetten
gibt es zirka in Österreich. Damit für andere Notfälle (Unfälle, Infarkte, etc.) genug Platz bleibt, sollten maximal 800 Betten mit Covid-19-Patienten belegt sein. Angesichts der derzeitigen Zahl an Neu-Infektionen (zuletzt mehr als 8.000) ist aber damit zu rechnen, dass per 18. November rund
760 Intensivbetten
mit Corona-Patienten belegt sind – die Ressourcen könnten wider Erwarten knapp werden.
Die Kalkulation basiert darauf, dass
1 % aller positiv Getesteten
landet früher oder später auf einer Intensivstation
Doch wer von den medial präsenten Experten steht derzeit besonders hoch im Kurs?
Jedenfalls dazu gehört Elisabeth Puchhammer-Stöckl. Die Chefin der Virologie an der Medizinischen Uni Wien ist ob ihrer unaufgeregt-uneitlen Art wohlgelitten. "Sie ist fachlich beschlagen und trotzdem keine Diva", heißt es in Regierungskreisen. Vor der Pandemie hat die Kammermusikerin insbesondere Herpes-Viren beforscht.
Puchhammers zurückhaltende Art unterscheidet sie ein Stück weit von Franz Allerberger. Der Mediziner leitet die Abteilung "Öffentliche Gesundheit" in der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Mit 1.400 Mitarbeitern und 90 Laboratorien ist die AGES eine der Institutionen in der Pandemie: Hier werden die Infektionscluster analysiert.
Allerberger ist viel gefragt. Doch wenn der Arzt auf Ö3 zur besten Sendezeit erklärt, dass "jeder von uns Covid bekommt – außer er stirbt vorher" und die Wirksamkeit von Schutzmasken öffentlich in Zweifel zieht, agiert er nicht so, wie es die Regierungsspitze goutiert. Die Konsequenz: Er kreist, wie es heißt, derzeit nicht in einem ganz so engen Orbit um die Entscheidungsträger.
Wesentlich enger ist der Orbit von Markus Müller, Oswald Wagner und Klaus Markstaller, die alle in höchsten Funktionen an der MedUni Wien agieren. Uni-Rektor Müller wird im Kanzleramt wertschätzend "Experte der Experten" genannt, Wagner gilt als "Vater der Maskenpflicht".
Warum? "Er hat uns eindringlich klar gemacht, dass seine Kollegen in Asien fassungslos sind, weil wir nicht gleich auf Masken setzen, obwohl diese vergleichsweise wenig in die Freiheitsrechte eingreifen", erzählt ein Regierungsstratege.
Kompetenzzentrum
Geht es um die Frage, wo genau die Belastungsgrenzen des Gesundheitssystems liegen, ist Intensiv-Mediziner Markstaller der Mann, der Kanzler & Co aus der Praxis und unaufgeregt erklärt, dass es bei den Intensivstationen nicht allein um Betten, sondern vor allem ums kompetente Personal geht.
Die mathematischen Funktionen, die den Prognosen zugrunde liegen, basieren vielfach auf den Arbeiten einer Expertengruppe, der Nikolas Popper federführend angehört. Der 46-jährige TU-Forscher wurde medial schon als "Kompetenz mit Baldrian" bezeichnet – auch er gilt als unprätentiös und cool.
Poppers Prognosen waren bislang nicht nur am Punkt. Sie zeigten bis vor wenigen Wochen auch in eine Richtung, dass Kollegen wie Herwig Ostermann keine Sorge hatten, die Spitäler könnten an reale Leistungsgrenzen kommen.
Das ist jetzt anders.
Als Chef der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) ist der Wirtschafts- und Gesundheitswissenschafter Ostermann allein ob seiner Funktion in zentraler Rolle: Die GÖG ist per Definition das "Kompetenzzentrum" für Bevölkerungsgesundheit. Dass Ostermann – wie etliche andere Berater – in Stresssituationen nicht die Nerven schmeißt, sondern ruhig pragmatische Lösungen sucht, hat ihm Respekt eingebracht.
Vom Virus lässt sich der gebürtige Tiroler ohnehin nicht unterkriegen: Im Corona-Stress setzte er ein Zeichen und heiratete seine langjährige Lebensgefährtin – mit Mund-Nasen-Schutz.
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