Corona-Datensystem EMS: "Ausgelegt für 7.000 Salmonellenfälle im Jahr"

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Das Zahlenchaos im EMS der AGES kommt zur Unzeit. 10 Tage nach Beginn des Teil-Lockdowns will die Regierung auf Grundlage der aktuellen Daten über das weitere Vorgehen beraten.

Kommt ein echter Lockdown, oder nicht? Seit Tagen verweist die Bundesregierung in dieser Frage auf die noch ausständige Evaluation des aktuellen Infektionsgeschehens. Morgen - an Tag elf nach Inkrafttreten der Ausgangssperre ab 20 Uhr - soll es nun so weit sein. Dann will die Regierung über eine Verschärfung der Maßnahmen beraten. 

So weit, so nachvollziehbar. Laut Experten dauert es rund 10 bis 14 Tage bis neue Maßnahmen ihre Wirkung zeigen können. Der Richtwert, setzt sich unter anderem aus der Inkubationszeit ab der Ansteckung, der Rückverfolgung der Kontakte und der Dauer, die eine Testung (und das Ergebnis) in Anspruch nimmt, zusammen. 

In den vergangenen Tagen kam es aber zu Problemen beim EMS, dem Elektronischen Meldesystem der AGES, in das alle Daten von den Bezirksbehörden sowie von den Labors tagesaktuell fließen sollten. Nach technischen Problemen wurden am Mittwoch zahlreiche Fälle nachgemeldet. "Die Daten sind schwer daneben", sagte Statistiker Erich Neuwirth deshalb gestern zum KURIER.

Durch die verzögerte Meldung könne man sich nicht auf die veröffentlichten Daten verlassen, kritisierte auch Modellrechner und Komplexitätsforscher Stefan Thurner am Donnerstag im Ö1-Morgenjournal. Aktuell würden täglich Hunderte bis Tausende Tests aus der Vergangenheit nachgerechnet. Forscher aus drei verschiedenen Forschergruppen, die täglich zusammenkommen, um Prognosen für die Regierung zu erstellen, schlagen deshalb Alarm. 

Seien die Daten zu 30 Prozent, oder sogar zu 100 Prozent, wie in manchen Bundesländern, falsch, so könne keine aussagekräftigen Prognosen erwarten, sagte Thurner.

Modellrechner Nikolaus Popper von der TU Wien meinte dazu, man versuche, diese Zeitverzögerung und Fehler in den Berechnungen zu berücksichtigen. Seine Erkenntnis: Der Zuwachs der Zahlen hat sich verlangsamt, der Höhepunkt sei aber noch nicht erreicht.

Wobei das EMS nicht die einzige Datenquelle ist. Parallel zur AGES erhebt das Innenministerium die Zahlen im Rahmen der Koordination des Staatlichen Krisen- und Katastrophenmanagements im Einsatz- und Koordinationscenter (EKC) über eine Videokonferenz. In den vergangenen Monaten kam es hier immer wieder zu Diskrepanzen in den Zahlen. Fehlerfrei war in der Vergangenheit keines der beiden Systeme. 

"Mit dem Ding wollen wir die Covid-Pandemie dokumentieren?"

Überaus verärgert über das anhaltende Zahlenchaos zeigte sich auch der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). "Wir haben eine schriftliche Stellungnahme vom Chef der AGES, dass die Datenbank eigentlich ausgelegt ist, um 7.000 Salmonellenfälle im Jahr zu dokumentieren. Und mit dem Ding wollen wir eine Covid-Pandemie dokumentieren. Das kann nicht funktionieren", sagte Hacker.

Das Gesundheitsministerium bestätigte am Mittwoch Verzögerungen bei der Eingabe. Es habe dazu auch eine Krisensitzung mit den Laborbetreibern gegeben. In einer Pressemitteilung hieß es: "Die hohe Serverauslastung stellt keine Gefahr für das System dar – ganz im Gegenteil, das EMS ist durch laufende Wartung und Erweiterung gut dafür gerüstet." 

Meldungen seien keinesfalls verloren gegangen, hieß es noch am Mittwoch.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober bestätigte die Probleme am Donnerstag. Aber: "Die Nachricht heute Früh war, dass das erledigt ist und wieder zu 100 Prozent funktionieren sollte", sagte Anschober bei einer Pressekonferenz. 

Anschober bestätigt: Bisher nur auf einige tausend Fälle ausgelegt

Anschober meinte dazu, das EMS sei zwar "sehr weit entwickelt" und im Gegensatz zu anderen Ländern liefere dieses System in Österreich tagesaktuelle Daten. Allerdings sei die Datenbank bisher nur auf einige tausend Fälle im Jahr ausgelegt gewesen, nun gebe es tausende Fälle pro Tag. Man habe die Probleme mit externer Unterstützung bearbeiten lassen, "damit es zu keiner Verzögerung bei der Eingabe in das EMS mehr kommt".

Für den heutigen Donnerstag rechnet Anschober allerdings noch einmal mit Nachmeldungen und damit mit höheren Fallzahlen.

Unbestritten ist: Der aussagekräftigere Wochenschnitt zeigt mit 6.754 neuen Fällen pro Tag weiter nach oben, zudem gab es seit dem Vortag 65 Tote.

Und: Die Fallzahlen steigen nicht, weil in Österreich jetzt mehr getestet würde. Der Anteil der positiven Tests stieg in den vergangenen Tagen konstant - und liegt bei inzwischen 23 Prozent. 

Eine Stabilisierung der Zahlen – wenn auch auf hohem Niveau - hätte schon in den vergangenen Tagen eintreten müssen. Zumindest nannte das Gesundheitsminister Anschober noch am Samstag als Gradmesser dafür, ob der aktuelle Teil-Lockdown ausreicht, oder nicht.

Die Ansteckungsfähigkeit oder Kontagiösität besteht 48 Stunden vor Erkrankungsbeginn (Auftreten der Symptome) bis 10 Tage nach Erkrankungsbeginn bzw. bei asymptomatischen Fällen 48 Stunden vor bis 10 Tage nach Probenentnahme, welche zu positivem Testergebnis geführt hat.

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