Brennpunkt Balkan: 305 Österreicher mitten im "Kalten Frieden"

Nationalratspräsident Sobotka auf Truppenbesuch
Bosnien: Nur rund 400 Kilometer entfernt gibt es zahlreiche Probleme in einem von vielen vergessenen Land.

"Man denke nur an den Mord am Wiener Graben oder den Überfall auf die AUA-Maschine in Tirana. Wenn wir die Probleme nicht vor Ort am Balkan lösen, dann kommen sie zu uns", sagt Valentin Inzko. Der Österreicher ist UNO-Beauftragter in Sarajewo. Waffen vom Balkan wurden auch bei Anschlägen in Paris oder Brüssel eingesetzt.

Angespannte Lage

Was sich nur rund 400 Kilometer von unserer Südgrenze entfernt abspielt, bezeichnet der Kommandant der österreichische Truppen (mit 305 Soldaten), Generalmajor Martin Dorfer, als „Kalten Frieden“.Denn die politische Lage ist angespannt. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka machte sich vergangene Woche deshalb ein Bild von dem möglichen EU-Beitrittskandidaten.

Während in Sarajewo auch 23 Jahre nach dem Krieg noch etwa jedes dritte Wohnhaus von Dutzenden Einschusslöchern gezeichnet ist, versuchen die Bewohner mit den Folgen des Dayton-Abkommens (1995) klarzukommen. Darin wird Bosnien-Herzegowina de facto aufgeteilt, alle wichtigen Positionen müssen von einem Bosnier, einem Kroaten und einem Serben besetzt sein. So besteht die Staatsspitze auch aus gleich drei Personen. Das erschwert alles massiv.

Truppenbesuch bei der Butmir-Mission:

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Sobotka nimmt die Parade ab

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Hymne zum Truppenbesuch

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EUFOR-Kommandant: Generalmajor Dorfer

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Auch die Garde hat ein Kontingent vor Ort

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Minenräumer

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Zwei Prozent des Landes sind noch vermint

„Als Friedensmaßnahme hat Dayton bestens funktioniert, aber langfristig ist es die schlechteste Lösung“, sagt Generalmajor Dorfer. So hat jeder Kanton (Bezirk) seine eigene – ethnisch dominierte – Polizei, mitunter sprechen die Behörden miteinander nicht.

Gewisse Positionen müssen mit einer der drei Gruppen besetzt werden, wer aus einer Mischehe stammt, darf dabei nicht mit einer Funktion betraut sein. Man muss auch im richtigen Landesteil geboren sein.

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305 österreichische Soldaten in Bosnien

Verschärft wird alles durch einen nicht wirklich funktionierenden Rechtsstaat, wie auch mehrere Bewohner des Landes bei einem von der österreichischen Botschafterin Ulrike Hartmann veranstalteten Abendessen berichteten. Wirtschaftsvertreter sprachen gar von der Möglichkeit, Richter und Staatsanwälte zu kaufen. Österreich ist einer der wichtigsten Handelspartner Bosniens.

EU-Mitglied früher oder später

Sobotka betonte gegenüber dem KURIER, dass Bosnien-Herzegowina „früher oder später sicher EU-Mitglied“ sein werde. Österreich unterstütze dies, auch weil andere Länder von Saudi-Arabien über die Türkei bis China sonst hier ein Einfallstor nach Europa bekommen würden. Es sei aber jedenfalls noch einiges zu tun. Sobotka möchte sich engagieren, um etwa pensionierte Staatsanwälte oder Richter in das Land zu bringen, um den Rechtsstaat zu stärken.

So etwas gab es schon einmal, allerdings wurde dies vor rund zehn Jahren gestoppt. Die Folge waren offenbar politisch motivierte Besetzungen, wie Kenner vor Ort berichten. Dadurch verschlechterte sich die Lage zusehends. Auch für die rund 200 in Bosnien involvierten österreichischen Unternehmen wird die Lage immer schwieriger.

Österreich für viele „zweite Heimat“

Sobotka betont, dass der Parlamentarismus gefördert werden müsse. Österreich beteiligt sich deshalb an einem Stipendien-Programm für parlamentarische Mitarbeiter und einem Aufbauprojekt für Staats-Institutionen (Twinnings). Die Alpenrepublik ist jedenfalls ein wichtiger Player, viele Bosnier würden Österreich als „zweite Heimat" ansehen, sagte Sefik Dzaferovic vom Staatspräsidium. 100.000 Bosnier leben oder arbeiten in Österreich.

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Sobotka: Gespräche in der bosnischen Staatskanzlei, der KURIER war dabei

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Brennpunkt Bosnien: 14 Parteien suchen eine Regierung

Ein Studentenheim, das nach einem Kriegsverbrecher benannt wird. Ein Schulgebäude, dessen linke Hälfte wie eine Ruine aussieht und dessen rechte Seite wie ein Palast wirkt– hier gehen zwei unterschiedliche ethnische Gruppen in die Schule. Gestritten wird auch, welcher TV-Sender mit welcher Sprache auf Sendeplatz eins programmiert werden darf und welcher auf Platz zwei.

Das sind die kleinen Probleme Bosnien-Herzegowinas im Jahre 2019.

Die großen sind die Politiker, die sich gegenseitig misstrauen, auch weil es einen Staat im Staat gibt – die Republika Srpska, die fast die Hälfte des Staates ausmacht. Viele meinen, dass sich die Republika selbstständig machen will. So ganz klar ist es für viele bis heute nicht, in wie viele Staaten Jugoslawien zerfallen ist oder einmal zerfallen wird. Werden es fünf, sechs oder doch sieben Länder?

Bei der letzten Wahl in Bosnien im Oktober wurden gleich 14 Parteien ins Parlament gewählt. Gestärkt wurden dabei durchaus auch radikalere Kräfte. Kein Politiker vor Ort will derzeit – sechs Monate später – prognostizieren, wann es eine handlungsfähige Regierung geben wird. Erst vor wenigen Tagen soll der Anführer einer Protestbewegung in Österreich um Asyl angesucht haben – nachdem sein Sohn unter mysteriösen Umständen tot in einem Fluss gefunden wurde.

Wegzuschauen scheint jedenfalls keine Option zu sein, der Balkan ist Österreichs Hinterhof. UNO-Beobachter Valentin Inzko fasst es so zusammen: „Geht es dem Balkan gut, geht es Österreich gut.“

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