Aus Sicht des Lkw-Fahrers beginnt der Ärger schon auf bayerischer Seite. Wir sind gerade einmal 23 Kilometer und noch keine halbe Stunde unterwegs, da kommt um kurz nach 7 Uhr die Frachter-Kolonne vor Lauinger zum Stehen. Und er mit ihr. Die Tiroler Behörden führen an der Grenze eine von rund 40 Lkw-Blockabfertigungen jährlich durch.
Nichts bewegt sich
Zweieinhalb Stunden wird sich nichts mehr bewegen. Jede Menge Zeit zum Plaudern mit dem 52-jährigen Deutschen, der für die Tiroler Spedition Berger auf Achse ist. "Ich bin diese Strecke sicher schon über 1.000 Mal gefahren“, schätzt er. "Der Verkehr hat in den vergangenen 20 Jahren gewaltig zugenommen", sagt der in Nürnberg lebende Lkw-Fahrer.
Da ist auf der einen Seite der enorme Autoreiseverkehr, der zwischen dem Norden Europas und Italien über den Brenner rollt. Und da sind auf der anderen Seite Massen an Schwerverkehrsfahrzeugen, die durch Inn- und Wipptal die Alpen queren. Es ist vor allem der Lkw-Verkehr, der in Tirol die Gemüter erhitzt. Auf A12 und A13 wird praktisch durchgehend eine Spur von Lkw in Beschlag genommen.
Die Erdbeeren im Winter
"Wir sind der Gesellschaft im Weg. Aber alle wollen ihre Waren, ihre Erdbeeren im Winter. Dann haben wir den Lkw-Verkehr", lautet die einfache Rechnung von Lauinger. Alle reden von den Lkw, dem Lärm und dem Schmutz – kaum jemand von den Fahrern, die in dem Streit rund um den Güterverkehr auf der Straße im wahrsten Sinn des Wortes auf der Strecke bleiben. "Wir sind jetzt die Buhmänner", steht für den Deutschen fest, der Lkw-Fahrer wurde, "weil ich raus wollte". Und der heute, nach 30 Jahren am Steuer, sagt: "Es macht keinen Spaß mehr. Der ganze Stress. Ich würde den Job nie wieder machen."
Kunden und Speditionen wollen, dass die Waren so schnell und kostengünstig wie möglich ans Ziel kommen. Die Fahrer haben aber auch wegen maximaler Schicht- und Fahrzeiten, Ruhezeiten sowie Nacht-, Wochenend- und Feiertagsfahrverboten ständig die Uhr im Kopf.
➤ Hintergrund: Der Transit-Streit
Für die Lkw-Blockabfertigungen, die Tirol als eine Art Notwehrmaßnahme gegen den sich stetig steigernden Lkw-Verkehr eingeführt hat – pro Stunde dürfen an besonders verkehrsreichen Tagen, vor allem vor und nach Feiertagen, nur 300 Lkw pro Stunde ins Land – hat er kein Verständnis. "Wir können nichts dafür. Das kostet Fahr- und Schichtzeit. Und dieser Stau ist auch nicht gut für die Umwelt."
24 Kilometer Rückstau
Von der Grenze bis zu unserem Cockpit ist der Rückstau an diesem Morgen 24 Kilometer lang und setzt sich hinter uns noch lange fort. Mit den Blockabfertigungen hat Tirol das Problem auf die bayerische Seite geschoben. Auch, um es bei der dortigen Politik – auch wenn das offiziell keiner sagt – sichtbar zu machen. Denn Bayern hat praktisch jede Maßnahme Tirols zur Drosselung oder Eindämmung des Warenverkehrs für EU-rechtswidrig erklärt. Ein ewiger Nachbarstreit.
Für Lauinger hat die Politik das Chaos auf der Straße verschuldet. "Die Unternehmen wollen aus Kostengründen keine Lager mehr. Die Politik hat zugeschaut. Jetzt ist das Lager auf der Straße."
Um halb zehn geht es endlich wieder weiter – wenn auch nur im Stop-and-go-Modus. Eine Stunde später ist dann auch die Grenze erreicht und kurz darauf passiert. Die Festung Kufstein kommt ins Blickfeld. Vor einem Monat sind hier die Landeschefs von Bayern, Tirol und Südtirol – Markus Söder (CSU), Anton Mattle (ÖVP) und Arno Kompatscher (SVP) – für einen "Alpengipfel" zusammengekommen. Ein Versuch, das Problem trotz aller Differenzen gemeinsam anzugehen.
2,5 Millionen - ein Rekord
Ihre Forderung: Ein "Slot-System“ für die Brenner-Route, bei dem die Frächter Zeitfenster für die Durchfahrt buchen sollen, um den Verkehr zu entzerren. Selbst Söder attestierte: "Der Brenner steht vor dem Kollaps." 2,5 Millionen Lkw – wieder einmal ein Rekord – sind im Vorjahr über den Pass gefahren.
Ein Drittel davon ist auf der Strecke unterwegs, obwohl sie einen Umweg bedeutet. Der Brenner zieht mehr Verkehr an, als alle vier Schweizer Alpenübergänge zusammen. "Freiwillig würde keiner durch die Schweiz fahren", weiß Lauinger, der auch dort immer wieder unterwegs ist. "An der Kontrollstelle am Gotthard wird jeder rausgeholt", erzählt er.
Das kostet Zeit. Zudem ist die Maut wesentlich höher als bei der Fahrt durch Tirol. Die Idee einer höheren Korridormaut für die Strecke München–Verona unterstützt inzwischen sogar Söder.
Bei Innsbruck biegen wir auf die Brennerautobahn ab. Das für Trento bestimmte Holz am Auflieger wird sein Ziel heute nicht mehr erreichen. Die Fracht wird aus logistischen Gründen bei Nößlach nahe dem Brenner geparkt.
Für Lauinger geht es in seiner Zugmaschine zurück nach Hause ins Wochenende. In den kommenden sechs Wochen erwartet ihn eine willkommene Abwechslung von der Route des Zorns. Der 52-Jährige und vier seiner Kollegen sind als Lkw-Fahrer für die deutsche Band „Die Ärzte“ auf Tour.
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