Ohne Beine fit genug für die Zelle

behinderte im gefängnis stein
Rollstuhlfahrer sind nicht haftuntauglich, der herzkranke Helmut Elsner schon.

Wie krank oder behindert muss jemand sein, um von der Justiz für haftuntauglich befunden zu werden? Helmut Elsner ist das gerade auf Dauer gelungen. Niemand will die Verantwortung dafür übernehmen, dass der herzkranke 77-Jährige im Gefängnis womöglich einen nicht rechtzeitig beherrschbaren Herzinfarkt erleidet. Aber ein typisches Beispiel für die Vollzugsuntauglichkeit ist der Ex-Bawag-Chef nicht.

An beiden Beinen amputiert zu sein, reicht nicht aus, um sich das Gefängnis zu ersparen. Das musste ein 47-jähriger Vorarlberger Rollstuhlfahrer erfahren, der im Behindertenauto Suchtgift über die Grenze geschmuggelt hatte (siehe Artikel unten). Das Oberlandesgericht Innsbruck hat dem Mann Vollzugstauglichkeit attestiert.

In der Strafvollzugsanstalt Stein, NÖ, wartet man schon auf den Häftling. Derzeit verbüßen dort sieben Rollstuhlfahrer ihre Strafe, der Vorarlberger wird der Achte sein. Er wird in der Sonderkrankenanstalt untergebracht, über die Stein als einziges Gefängnis für lange Strafen verfügt (in der Josefstadt gibt es eine solche für U-Häftlinge). Hier ist man für fast alles gerüstet, es gibt rund um die Uhr einen Arzt und Pflegepersonal.

30 Behinderte

Der stellvertretende Anstaltsleiter Oberstleutnant Roland Wanek sagt beim Lokalaugenschein für den KURIER: „Behinderung ist für uns kein Thema, wir leben damit.“

Ohne Beine fit genug für die Zelle
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Von den sieben Rollstuhlfahrern sind drei permanent auf das Gerät angewiesen. Die vier anderen sind teilmobil, können sich also selbst vom Bett zum WC bewegen. Es gibt zwei Drei-Mann-Hafträume, die für Rollstühle ausgelegt sind. 22 diplomierte Krankenpfleger und Pflegerinnen, von denen im Schnitt fünf bis sechs tagsüber und eine oder einer in der Nacht Dienst tun, kümmern sich um die etwa 30 behinderten Häftlinge in Stein.

Darunter gibt es Patienten nach einem Schlaganfall und immer mehr hoch betagte Häftlinge, die nach Einschätzung von Volksanwältin Gertrude Brinek in ein Pflegeheim und nicht ins Gefängnis gehören. „Früher wurden auch mehr Leute für haftuntauglich erklärt“, sagt Wanek. Heute aber spielt vermehrt die Frage eine Rolle, wer diese Menschen – die zu wenig Pflegegeld bekommen – heraußen aufnehmen soll. Also bleiben sie im Gefängnis. Nur Todkranke werden in der Regel für vollzugsuntauglich erklärt. Ein Stein-Häftling, der an Lungenkrebs im Endstadium leidet, wird demnächst entlassen. Er hätte noch zwei Jahre offen, aber „man lässt ihn in Freiheit sterben“, sagt Wanek.

Keine Barrierefreiheit

Stein ist mehr oder weniger barrierefrei, es gibt Rampen und Lifte. Das gilt nicht für alle Justizanstalten. Am Mittersteig in Wien etwa ist der Zugang für Rollstuhlfahrer nur über eine mobile Rampe möglich. In Wels, OÖ, und Feldkirch, Vorarlberg, müssen vier bis sechs Stufen mithilfe von zupackenden Justizwachebeamten überwunden werden. In Suben, OÖ, ist es eine einzige Stufe, die zur Barrierefreiheit fehlt.

Und die Beschäftigungsmöglichkeiten für behinderte Häftlinge? Die Rollstuhlfahrer in Stein haben bis vergangene Woche die Wahlwerbung in NÖ mitbestritten. „Früher hat man abfällig ,Sacklpicken‘ gesagt“, erinnert sich Wanek. Heutzutage sortieren und falten die Häftlinge, auch im Rollstuhl, Flugzettel oder die Laufpläne für den Wachau Marathon.

Wer kontrolliert schon einen Schwerbehinderten, dem beide Beine amputiert worden sind? Mit dieser Devise schmuggelte ein 47-jähriger Vorarlberger fünf Jahre lang mehr als eine Tonne Suchtgift aus Spanien und Holland über die Grenze. Das Haschisch war im doppelten Boden seines Behindertenfahrzeugs versteckt. Der Stoff landete überwiegend in der Schweiz.

Im April 2011 wurde der Mann bei einem Transport nach Frankreich schließlich doch erwischt. Damals führte er im Versteck gerade 200 Kilo Drogen mit sich.

Im Juni 2012 wurde er im Landesgericht Feldkirch zu zehn Jahren Haft verurteilt. Bis 15 Jahre wären möglich gewesen, das Geständnis und die Auslieferung von Komplizen wurden als mildernde Umstände gewertet. Der an einer schweren Erbkrankheit leidende Angeklagte erzählte im Prozess, dass er wegen seiner Schmerzen selbst zum Joint gegriffen habe. Als der an beiden Beinen Amputierte 2007 im Krankenhaus Hohenems lag, wurde er nach seinen Angaben von einem späteren Mittäter dazu angestiftet, die Schmuggelfahrten mit seinem präparierten Wagen zu unternehmen.

Er will für seine Dienste lediglich 5000 Euro plus Spesen für Treibstoff und Aufenthalt erhalten haben. Auch die Komplizen wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

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