Auf den Spuren der Jenischen: Ein Fußmarsch um Anerkennung
„Die führen sich wie die Karrner auf.“ Wer in den 1970er- und 80er-Jahren in Tirol aufgewachsen ist, hat solche und ähnliche Redewendungen immer wieder gehört. Dass mit den Karrnern die Volksgruppe der Jenischen gemeint war, die mit derartigen Floskeln verunglimpft wurde, wird kaum einem Kind der damaligen Zeit bewusst gewesen sein.
Auch wenn man mit den von der Mehrheitsgesellschaft Stigmatisierten vielleicht sogar Tür an Tür wohnte. Und die Sprache der Jenischen im Alltag durch entlehnte Wörter ständig präsent war. Etwa wenn von einem netten „Hegel“ die Rede war, Erwachsenen übers „Buggln“ jammerten. Oder einer aus der Klasse beim „Tschoren“ von einem „Putz“ erwischt worden ist.
„Meine Oma hat noch Jenisch gesprochen. Aber mein Opa wollte nicht, dass wir es auch tun, weil er seine Familie und sich schützen wollte“, sagt Marco Buckovez, Obmann des Vereins Jenische in Österreich, der für die offizielle Anerkennung seiner Volksgruppe durch die Republik kämpft.
Die lange Geschichte der Jenischen
Die Geschichte der Jenischen ist eine der Ausgrenzung und Repression. Dabei lieferten sie einst als „Fahrende“ Waren wie Körbe, Besen und Schirme in die hintersten Winkel Europas oder boten als Pfannenflicker oder Messerschleifer ihre Dienste an. Das war lange ein wertvolles Angebot – vor allem zu jenen Zeiten, in denen Menschen kaum je aus ihren Orten herauskamen und es noch keine Konsumgesellschaft gab. Dass Jenische dennoch diffamiert wurden, hat viele Gründe.
"Brachten Dienstleistungen ins hinterste Tal"
„Das ist ein zweischneidiges Schwert“, sagt Michael Haupt, Geschäftsführer der Initiative Minderheiten Tirol, die sich ebenfalls für die Anerkennung der Jenischen starkmacht und ein Archiv zur Volksgruppe aufgebaut hat. „Die Jenischen waren sicher auch gerne gesehen, weil sie Informationen und Dienstleistungen ins hinterste Tal gebracht haben. Aber da, wo diese Leute daheim waren und ihre Winterquartiere bezogen haben, waren sie als extrem arme Menschen nicht geschätzt“, erklärt Haupt.
Ein Leben am Rand der Gesellschaft
Sie wohnten oft – im Wortsinn – am Rand der Gesellschaft auf unwirtlichen Gründen, nicht nur in Tirol, sondern in Österreich etwa auch in Salzburg oder Niederösterreich. Derartige Barackensiedlungen, die von den staatlichen Autoritäten nicht gerne gesehen waren, gab es auch noch in der Nachkriegszeit. Dass sich ein negatives Bild von den „Fahrenden“ manifestiert hat, liegt auch daran, dass es kaum schriftliche Quellen von Jenischen selbst gibt.
Verfolgung und Mord unter den Nazis
Geblieben sind vor allem Akten, die dokumentieren, wenn Jenische mit den Behörden in Konflikt geraten sind oder diese die in familiären Verbänden herumziehenden Angehörigen der Volksgruppe als „asozial“, „arbeitsscheu“ und gar „minderwertig“ abstempelten. Eine Zuschreibung, die spätestens in der NS-Zeit zu einer massiven Bedrohung wurde: Jenische waren Opfer von Zwangssterilisierungen und wurden in Konzentrationslagern ermordet. Darum versuchten sie auch, sich unsichtbar zu machen.
Eine Frage des Respekts
„Die Diskriminierung hat nach dem Weltkrieg nicht aufgehört“, sagt Buckovez. Dazu hat oft der Familienname gereicht, weshalb nicht wenige Jenische diesen abgelegt haben. „Aber es gibt keinen Grund, sich zu schämen.“ Die Anerkennung als Volksgruppe ist dem 40-Jährigen vor allem deshalb ein Anliegen, „damit die Älteren, die das noch in voller Härte mitbekommen haben, eine Rehabilitierung erfahren und ihnen Respekt gezollt wird.“
Die Prüfung der Anerkennung der Jenischen stand sogar im Koalitionspapier der türkis-grünen Bundesregierung. Aber wenige Wochen vor den Nationalratswahlen steht fest, dass dieses Thema in der Zuständigkeit von ÖVP-Ministerin Susanne Raab „im Sand verlaufen ist“, wie Haupt sagt.
Frage der Herkunft nicht restlos geklärt
Die immer wieder auftauchende Frage, woher die Jenischen, die es im ganzen deutsch- und französischsprachigen Raum gibt, gekommen sind, ist nicht restlos geklärt und stellt sich für ihn auch nicht. „Das ist eigentlich nicht relevant. Sie sind da.“ Haupt hält aber die These für am plausibelsten, „dass die Jenischen aus der Bevölkerung heraus entstanden sind. Dass das von Armut betroffene Menschen waren, die sich nicht ihrem Schicksal ergeben und verhungern wollten, sondern die aufgebrochen sind.“ Das sei im Grunde eine innovative Geschichte.
Ursprung: Laut Schätzungen leben in ganz Europa rund 500.000 Jenische – vorrangig im gesamten deutsch- und französischsprachigen Raum. Viele Angehörige der Volksgruppe bekennen sich nach einer langen Geschichte der Unterdrückung jedoch nicht dazu. Die Frage der Herkunft ist ungeklärt. Die Jenischen – so eine These – dürften aber schlicht aus der ansässigen Bevölkerung hervorgegangen sein und vor allem aufgrund von Armut zu „Fahrenden“ geworden sein, die Waren und Dienstleistungen angeboten haben.
Sprachschatz: Die Jenischen haben ihre eigene Sprache, die von Behörden als „Gaunersprache“ diffamiert wurde. Zahlreiche Wörter sind in die deutsche bzw. österreichische Standard- wie auch Umgangssprache übergegangen. Einige Beispiele: buggln (arbeiten), Hegel (Mann), Putz (Polizist), tschoren (stehlen), losen (zuhören), spannen (schauen), Tschick (Zigarette), Kohldampf (Hunger), Schunt (Dreck), kneisn (verstehen).
Immer ein Teil der Gesellschaft
„Im jetzigen Status gibt es uns nicht“, ärgert sich Buckovez, für den klar ist: „Da gibt es nichts zu beweisen. Wir waren immer Teil dieser Gesellschaft.“ Das zeigt nicht nur der in den deutschen Sprachgebrauch übergegangene Wortschatz der Jenischen. In Tirol sind sie sogar Teil der traditionellen Fasnachten. Die „Karrner“ sind als eigene Figurengruppe des dörflichen Lebens vertreten. Wobei die dafür verwendeten Masken ein brachiales Zerrbild sind. Buckovez will das nicht verurteilen, schnitzt sogar selbst Fasnachtsmasken.
Fußmarsch soll aufmerksam machen
Mit einer ganz Besonderen macht er sich ab heute, Montag, auf einen Fußmarsch auf den Spuren seiner Vorfahren ins Tiroler Oberland. Mit dabei eine zweigeteilte Maske (siehe Bild oben), die „eine Konfrontation von Klischees mit der Realität symbolisiert“. Buckovez wird einen Handkarren von Innsbruck nach Zams und weiter nach Nassereith ziehen.
Die Maske soll dabei an verschiedenen Stationen Ausgangspunkt für die Erzählung jenischer Lebensgeschichten sein. „Ich will die Menschen ins Gespräch und zum Nachdenken bringen“, erklärt der Tiroler das Ziel seiner Reise, auf der er auch in mehreren Orten Vorträge hält.
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