Amtsleiter erstochen: "Diese schönen Augen werden erlöschen"

Der Angeklagte beim Betreten des Schwurgerichtssaals
Mordprozess gegen Asylwerber nach Bluttat in Dornbirn geht am Dienstag weiter. Der Fall rief eine Debatte über eine Sicherungshaft hervor.

Für Staatsanwältin Kostanze Manhart ist der Fall klar: "Er wollte ihn töten."

Er, das ist Soner Ö. Der 35-Jährige kam am 6. Februar 2019  wegen ausstehender Mindestsicherung  in die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn, Vorarlberg, wieder einmal:  Den Sozialamtsleiter deswegen hat er deshalb schon mehrmals aufgesucht. Nachdem dem in Vorarlberg aufgewachsenen Türken zugesichert worden war, dass die Angelegenheit erledigt werde, verließ er das Amtsgebäude.

Doch dann sei er wieder zurück gekommen - bewaffnet mit einem Küchenmesser, das er unter einer Zeitung versteckt hatte, beschreibt Anklägerin Manhart. Ö. sei in das Büro des 49-jährigen Beamten gegangen -  und habe mehrmals zugestochen.  "'Schau, jetzt werden diese schönen blauen Augen erlöschen. Du hättest nur nett sein müssen'", habe Ö. gesagt, bevor er das Messer auf den Tisch gelegt hat und seinem Opfer noch einmal zugewunken habe.

Der mit 0,75 Promille alkoholisierte und unter Medikamenteneinfluss stehende Asylwerber wurde nach kurzer Flucht gefasst.

Sozialamtsleiter erstochen: Mordprozess in Feldkirch

Am Montag beginnt der Prozess gegen Ö. im Straflandesgericht Feldkirch unter strengen Sicherheitsvorkehrungen.

Die Staatsanwaltschaft klagt Mord an, der Angeklagte behauptet, er habe "nicht in Tötungsabsicht" gehandelt. Darüber müssen die Geschworenen in diesem für drei Tage angesetzten Verfahren entscheiden. Am Mittwoch soll das Urteil fallen.

Kurz vor 12 Uhr beginnt die Befragung von Soner Ö., der sich vorsätzlichen Mordes "nicht schuldig" hält, nur der schweren Körperverletzung mit Todesfolge. Er bittet um Entschuldigung: „Als erstes möchte ich der Familie mein aufrichtiges Beileid aussprechen. Es war nie die Absicht, ihn zu töten", versichert Ö.

"Ein Unglücksfall"

Er habe dem Beamten "nur  in die Schulter stechen" wollen. Doch das Opfer sei aufgestanden: Er habe das Messer noch herab gedrückt, damit es nicht in das Herz gehe, behauptet der Angeklagte. „Ich habe Kampferfahrung. Wenn ich jemand töten will, steche ich ihm direkt ins Herz. Es war ein Unglücksfall.“ Der Sozialbeamte habe ihn gar noch beleidigt und ihm tagelang keine Informationen über seine Mindestsicherung gegeben, beklagt Ö.: „Er hat mich jedes Mal angeschrien. Er schickt mich überall hin, ohne Grund.“ Da habe er "ein Blackout" gehabt, verteidigt sich Ö.

Schon bei früheren Termin habe er ein Messer dabei gehabt, schildert Ö.: "Wenn ich auf Rache ausgewesen wäre, hätte ich ihn damals töten können."

13 weitere Stiche

Der Sozialamtsleiter hat allerdings zehn Jahre zuvor - in anderer Funktion und nach der 15. Verurteilung Ö.s - ein Aufenthaltsverbot gegen den Mann erlassen. Die Staatsanwaltschaft sieht deshalb Rache als Motiv und  „klare Indizien für einen Tötungsvorsatz“: Ö. sei direkt in den dritten Stock in das Büro des Sozialamtsleiters gegangen und habe diesem mit voller Wucht das Messer in die Brust gerammt, schildert die Staatsanwältin: Das Brustbein des Opfers wurde durchstoßen, die 20 Zentimeter lange Klinge prallte von der Wirbelsäule ab.

Der Stoß war so wuchtig, dass der Angeklagte mit der Hand über die Klinge rutschte und sich selbst schwer verletzte, betont Staatsanwältin Manhart. Er habe danach das Messer in die linke Hand  genommen und weiter zugestochen - insgesamt 13 Mal.  Danach habe Ö. das Messer auf den Tisch gelegt. "Er will zum Ausdruck bringen, dass jemand, der sein Amt missbraucht, bestraft wird."

Die Bluttat von Dornbirn gilt als Beginn der einer bis heute laufenden Debatte, jene um eine mögliche Sicherungshaft in Österreich. Im Februar 2019 kam sie erstmals auf die Agenda der Politik.

LH Wallner fordert vorsorgliche Sicherungshaft

Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) hat am Montag die Forderung nach einer vorsorglichen Sicherungshaft bekräftigt. Gleichzeitig betonten Wallner und Sicherheits-Landesrat Christian Gantner (ÖVP), dass die nach dem Vorfall von Dornbirn installierten Zutritts-Schleusen im Landhaus Bregenz und den BHs bleiben.

Die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen gegen Gefährder sind für Wallner laut Landeskorrespondenz völlig unzureichend: "Dass ein Verbrecher trotz gültigen Aufenthaltsverbotes illegal in unser Land einreist und hier einen Asylantrag stellen kann und sich zudem während des Verfahrens auf freiem Fuß bewegen darf - das darf es nicht mehr geben. Wir brauchen eine klare rechtliche Handhabe, um sicherzustellen, dass so etwas in Zukunft nicht mehr möglich ist."

Die Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Bediensteten und des Parteienverkehrs sind in den Vorarlberger Amtsgebäuden als Konsequenz des Gewaltverbrechens an der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vor einem Jahr sichtbar verschärft worden. Neben Sicherheitspersonal kommt an den Eingangsbereichen auch elektronisches Sicherheits-Equipment (Kosten bisher ca. 850.000 Euro) zum Einsatz. Trotz verbesserter Sicherheit im Amtsverkehr wolle Vorarlberg eine offene, bürgernahe Landesverwaltung bleiben, unterstreichen Wallner und Gantner.

"Wie eine griechische Tragödie"

Die Verteidiger des 35-Jährigen sprechen von "einer großen Tragödie. Wir möchten den Hinterbliebenen unser aufrichtiges Beileid ausdrücken. Das ist auch ausdrücklicher Wunsch des Angeklagten", versichert Anwalt Wilfried Weh, der Ö. gemeinsam mit seinem Kollegen Stefan Harg, Ö. vertritt. Weh verweist auf die 25-jährige Geschichte, die Opfer und Angeklagten verbindet. Diese habe sich entwickelt "wie eine griechische Tragödie": Die ersten Kontakte hätten stattgefunden, "als unser Mandant zwölf Jahre alt war". Ö. sei damals Mitglied einer Jugendbande gewesen, die diesen wegen seiner Strafunmündigkeit vorschickt. Dass das spätere Opfer, damals noch Polizist, darüber verärgert war, sei nachvollziehbar, sagt Weh, der früher selbst Polizeijurist bei der BH Dornbirn war. 2008 verhängte das spätere Opfer -  inzwischen Fremdenpolizist -  ein Aufenthaltsverbot gegen den in Vorarlberg gebürtigen Soner Ö.

Explosion und Overkill

Wie berichtet, halten seine Verteidiger dieses Aufenthaltsverbot für rechtswidrig. "Die alten Wunden wurden wieder aufgerissen", interpretiert Weh das erneute Aufeinandertreffen der beiden Männer - zehn Jahre nach der Ausweisung des Türken. „Es ist nach einer über 25 Jahre langen Beziehung zur Explosion gekommen“, erklärt Weh, der von einem "Overkill" spricht und meint: „Ein lang geplanter Mord hätte anders stattgefunden.“

Weh nimmt wie zuvor bereits der Richter Bezug auf die politische Debatte, die sich rund um den Fall entsponnen hat und dass dieser Aspekt das Interesse der Verteidiger geweckt habe. Ohne den damaligen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl beim Namen zu nennen, sagt Weh: "Er hat versucht diese Tat zu instrumentalisieren, um eine Sicherungshaft einzuführen."

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