Als sich die Demokratie des Nachtlokals bemächtigte

Als sich die Demokratie  des Nachtlokals bemächtigte
Ludwig Hirschfelds „Wien- was nicht im Baedeker steht“ galt als beliebtester Reiseführer seiner Zeit. Jetzt ist er wieder zu haben.

Kein Anlass zur Nostalgie, eigentlich. „Alt Wien war auch einmal neu“, wusste schon Karl Kraus und als er das schrieb, 1919, war Alt Wien längst vom Aussterben bedroht. Manche hätten es gern unter Artenschutz gestellt.

„Sie wissen doch, wie kokett ältere Herren gern sagen, wenn ihnen eine junge Dame sehr gut, aber aussichtslos gefällt: ,Ja, wenn sie mich vor 15, 20 Jahren gekannt hätten...’ “ So, genau so, sei das auch mit Wien: „Wirklich schade, dass Sie die Stadt um 1900 nicht gekannt haben.“

Ahnungsloser Skizzenschreiber

Ludwig Hirschfeld, heute vergessen, damals als Feuilletonist so populär, dass ihn Kraus in den „Letzten Tagen der Menschheit“ verewigte, schrieb mit seinem Wien-Buch „Was nicht im Baedeker steht“ 1927 einen Abgesang auf eine Stadt, die die besten Tage hinter sich hat. Ob er das ernst meint, dessen ist man sich während der äußerst unterhaltsamen Lektüre niemals sicher. Schließlich hat Hirschfeld das Unterfangen überhaupt erst auf sich genommen, weil der Verlag ihm, dem „ahnungslosen Skizzenschreiber“, einen „Vorschuss an die Brust setzte“ und seine Frau „dringend einen Pelzmantel benötigte“.

Die Quintessenz dieses nun wieder aufgelegten Buchs ist also eine heitere Nostalgie. Nicht nach der Kaiserstadt mit dem „höfischen und militärischen Klimbim“. Aber etwa einer Zeit, in der man als Prominenter beim Ausgehen noch erkannt wurde. „Das ist nun nicht mehr so. Die Demokratie hat sich des Nachtlokals bemächtigt und man beachtet die höher gestellten Persönlichkeiten nicht mehr so“, schreibt Hirschfeld launig und durchaus mit Seitenhieb auf die Aktualität seiner Zeit im Kapitel „Bis vier Uhr Früh“. Als man in die Kaiser-Bar, in die Bonbonniere oder die Kärntner Bar ging – alle drei gibt’s übrigens heute noch: Die Bonbonniere Bar, leicht verstaubt, doch charmant, die Kaiser-Bar, nun Kruger’s und die Kärntner Bar – bekannt unter dem Namen jenes Architekten, der sie gestaltet hat: Loos Bar.

Hirschfelds atmosphärisches Wien-Buch ist voll von satirischen Spitzen. Die politische Korrektheitsbrille von heute sollte man für die Lektüre zur Seite legen. „Bambi“ und „Mutzenbacher“-Autor Felix Salten hat das Buch damals rezensiert. Er beschrieb Hirschfeld als „Lokalchronikeur und Humorist“ – ein „besonderes Talent.“

Ludwig Hirschfeld: „Wien. Was nicht im Baedeker steht“
Milena, 256 S., 23 Euro

Als sich die Demokratie  des Nachtlokals bemächtigte

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