Allein unterwegs: Die Routiniers der Einsamkeit
Allein auf drei Quadratmetern. Acht Stunden täglich. So groß ist der Führerstand einer Wiener U-Bahn, Modell Silberpfeil, und so lange dauert die Arbeitszeit eines U-Bahnfahrers. Was geht einem da durch den Kopf? „Alles. Das lernt man ja von Anfang an als U-Bahnfahrer: Du bist alleine. Allein in deinem Kammerl. Es gibt Kollegen, die singen. Andere sprechen mit sich selbst. Man wird kreativ. Ich denke viel an meine Familie.“
Und manchmal, sagt Raffael Zabuschnigg, 36, singt er auch. Oder er denkt über das Leben nach. „Es braucht eine gewisse mentale Stärke, um das auszuhalten. Das ist nicht immer lustig. Es ist auch die größte Herausforderung für junge Fahrer. Wenn man unkonzentriert ist, sich in Gedanken verliert und plötzlich vergisst, dass man die Türen aufmachen soll. Bei der U-Bahn geht es immer nur im Tunnel geradeaus. Das ist am Anfang schwierig. Aber man kriegt es hin.“
Dann wird’s spannend
Seit 2016 arbeitet Zabuschnigg bei den Wiener Linien. Zwar ist das meiste Routine, doch wenn einmal etwas nicht funktioniert, wird’s spannend. Dann muss man schnell reagieren. Wenn man länger braucht, staut es sich gleich. Und der Rest der Zeit, wenn es nicht so spannend ist? Es sind die kleinen Dinge. Als U-Bahnfahrer kannst du die Leute auf dem Bahnsteig gut beobachten. Besonders jetzt, im Lockdown, wenn wenig los ist. Es ist auch ein bisschen gespenstisch. „Wenn nur zwei, drei Leute am Bahnsteig sind, muss man genauer schauen. Ist der besoffen? Fällt der mir ins Gleis?“
Das Schönste am Job: Man sieht, wie Leben in die Stadt kommt. „Ich fahre in der Früh weg aus Hütteldorf. Ich sehe den Sonnenaufgang, ich sehe, wie die Stadt erwacht. Auch mit der U2 ist das toll, wenn man über die Donau fährt und die Sonne geht auf. Nur die U3 hat Pech, die ist immer unterirdisch.“
Es hat sich etabliert, dass manche Fahrer durch originelle Durchsagen auffallen wollen. „Manchmal rutscht etwas raus, das ist aber nicht böse gemeint, das hat meistens mit dem engen Zeitplan zu tun. Die Leute denken oft, warum kann der nicht noch warten? Aber eine Minute ist viel für uns. Das läppert sich von Station zu Station. Dann heißt es halt manchmal: Nicht mehr einstiegen. Es gibt Kollegen, die können das in einen guten Schmäh verpacken.“
Was sich Zabuschnigg wünscht: „Dass die Leute mit uns kommunizieren. Wenn etwas ist, sollen sie die Notsprechstelle verwenden. Nur dann kann ich helfen.“
Herr Arslan ist wie ein Therapeut auf der Straße
Taxifahren ist Taxi stehen. Man braucht Geduld. Abbas Arslan steht in Nächten wie diesen oft stundenlang an einem Standplatz. Er wird dabei zum genauen Beobachter. Sieht, wie die Lichter des windschiefen Plastikweihnachtsbaumes in der Auslage des Elektrohändlers im gleichen Takt wie die Rücklichter des Krankenwagens am Eck blinken und zählt die Autobusse, die ohne einen einzigen Fahrgast zum Wienerberg hinauffahren. Oft wird er beim Warten auch zum Detektiv. Die zwei Gestalten, die hinter der Säule vor dem Supermarkt verschwinden. Sind das Polizisten? Stimmt dort etwas nicht? Ja, es sind Polizisten, doch sie haben sich nur ihre Zigaretten im Windschatten der Säule angezündet.
Nachts wird man feinnerviger als sonst. Die Geräusche sind lauter, die Stille ist es fast noch mehr. Die Umsätze sind in diesen Tagen mager. 30, 35 Euro in einer Schicht, die von sechs Uhr abends bis vier Uhr Früh dauert. Fahren muss Abbas Arslan trotzdem. „Ich muss ja leben, die Kreditraten und die Autoversicherung zahlen.“ Voriges Jahr hat er seinen eigenen Wagen gekauft, einen BMW. Der Mercedes hat als typische Taxler-Limousine ausgedient.
Allein mit sich selbst
Als Taxifahrer ist man viel allein mit sich selbst. Jetzt, im Lockdown ganz besonders. Zwischen jeder Fahrt vergehen Stunden. Dann liest Herr Arslan Romane. Manchmal hält er Telefon-Konferenzen mit Kollegen ab. Meistens reden sie über Geld. Umsätze, die sie gemacht und vor allem nicht gemacht haben. Man berät, zu welchem Standplatz man fahren könnte. Jenen in der Troststraße nennt Abbas Arslan einen „schönen Standplatz“. Schön ist relativ, das Lokal „Drahdiwaberl“ nebenan sorgt normalerweise für Kundschaft. Favoriten ist überhaupt das beste Pflaster. Hier sind die Ärmeren, zugleich Großzügigeren daheim, die reden nicht drein, sind keine Besserwisser bei der Fahrtroute.
Abbas Arslan, 28, denkt während des Wartens viel nach. Man weiß als Taxler nie, was als Nächstes kommt. Die Straße, das Fahren sind Routine, die Menschen aber sind immer eine Herausforderung. Manchmal hat Abbas Arslan Angst. Besonderes, wenn nichts los ist. Es gibt viele Überfälle. Blöd ist auch, wenn Betrunkene im Auto einschlafen. Man lernt in diesem Beruf viel über die Menschen. Lernt, mit schwierigen Leuten und schwierigen Situationen umzugehen. Derzeit sind die Masken ein Problem. Viele wollen sie nicht aufsetzen und sagen: Ich zahle die Strafe selbst. Die kapieren nicht, dass es dabei ja um etwas anderes geht.
„So ist das Leben.“
Herr Arslan bleibt immer diplomatisch. Eine Dame hat unlängst zu ihm gesagt: „Sie sind ein Therapeut auf der Straße.“ Als Kind träumte er davon, Ingenieur zu werden. Doch für Träume war damals nicht viel Zeit. „So ist das Leben.“ Er würde gerne neben der Arbeit studieren. Aber nach einer Achtstunden-Schicht ist man hundemüde.
Manchmal hört Herr Arslan türkische Poplieder. Er singt auch gerne. Wenn die Müdigkeit sich auf seine Lider senken will, dreht er Radio NRJ oder Kronehit auf. Er mag es, wenn ihn eine Stimme durch die Nacht begleitet. Mit 22 hat er den Taxischein gemacht. Das Fahren in der Nacht hat er sich ausgesucht. Er mag die Stille. Jetzt, im Lockdown, sind nachts nur noch Menschen mit Hunden und ein paar Radler unterwegs, vor allem Lieferdienste. Orange, pink oder grün, je nach Firma.
Abbas Arslan genügt nachts ein Kaffee. Bei der Tankstelle auf der Triester Straße oder beim Verteilerkreis, wo er sich mit seinem Kumpel Ercan verabredet. Hin und wieder passiert es, dass er einen Fahrgast mehrmals trifft. Man sagt, die Welt ist klein. Für einen Taxifahrer ist sie besonders klein.
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