Baby starb nach Geburt: Arzt räumt ein, jetzt anders zu handeln
Es passierte vor genau zwei Jahren, ebenfalls im Dezember. Eine Frau wollte sich auf die Geburt ihres Kindes im Klinikum Vöcklabruck vorbereiten, geendet hat es in der schlimmsten vorstellbaren Variante. Denn bei der Geburt soll es zu einer "ungewöhnlicher und auffälliger Verletzung der fachärztlichen Sorgfaltspflichten" durch den behandelnden Gynäkologen gekommen sein, wirft die Staatsanwaltschaft Wels dem Mediziner vor, der sich heute in Wels vor Gericht verantworten muss.
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Denn bei der Geburt soll es zu einer falschen Behandlung gekommen sein - mit fatalen Folgen. Denn die Frau soll bei dem Eingriff schwer verletzt worden sein, auch das Baby erlitt schwere Verletzungen. So schwer, dass es acht Tage nach der Geburt an den schweren Hirnschäden verstorben ist.
Der Arzt aus Gmunden (64) verantwortet sich nach dem Vorbringen der Anklage - grob fahrlässige Tötung und fahrlässige schwer Körperverletzung - "nicht schuldig im Sinne der Anklage". Im Zuge der Einvernahme durch Richter Christoph Hochhauser, Staatsanwalt Thomas Mörtelmayr und den Vertreter der Frau, deren Baby - Lukas - nach der Geburt ums Leben gekommen ist, räumt der Arzt aber ein: "Im Nachhinein betrachtet hätte ich anders gehandelt."
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Konkret gesteht er zu, dass er früher den Kaiserschnitt durchführen hätte sollen. Wobei die Anklage überzeugt ist: Der Arzt habe seine Sorgfaltspflichten bei der Betreuung der Frau grob fahrlässig verletzt.
Frau galt als Risikopatientin
Der 6. Dezember des Jahres 2021 war ein einschneidendes Erlebnis für die Frau. Die Schwangere, die schon bei der ersten Geburt zwei Jahre zuvor einen Uterus-Riss erlitten hat, gilt als Risikopatientin. Ein ursprünglich geplanter Kaiserschnitt sei kurzfristig auf eine natürliche Geburt geändert worden.
An diesem Tag ist die Frau um 1.30 in der Nacht ins Spital in Vöcklabruck gekommen. Mit Wehen. In der Früh hat der Oberarzt des Spitals - er hat selbst in den rund zehn Jahren im Spital selbst etwa 3.500 bis 4.000 Entbindungen selbst durchgeführt - den Dienst angetreten.
An diesem Montag sei viel los gewesen im Spital, gibt der Oberarzt zu Protokoll, "man rennt hin und her", gleichzeitig seien acht Aufnahmen in der Gynäkologie durchzuführen gewesen. Ein ausführliches Gespräch habe der Arzt mit der Risikopatientin geführt, an den Inhalt kann er sich nicht erinnern.
Patientin nicht aufgeklärt
Was bei der Einvernahme klar und deutlich herauskommt: Für die künstliche Einleitung von Wehen mit dem Medikament Prostaglandin war mit der Frau offenbar nicht ausführlich geredet worden. Im Akt findet sich keine Aufklärung, der Arzt gibt das letztlich auch zu.
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Dabei steht bei eben diesem Medikament explizit "in der Packungsbeilage", wie der Staatsanwalt anführt, dass es das Risiko von Uterus-Rissen deutlich erhöht, wenn das bereits einmal vorgekommen ist. Was bei der Frau, die an diesem Tag zwischen einer natürlichen Geburt und einem Kaiserschnitt hin und her gerissen ist, der Fall war.
Frühere Aussage des Arztes zu dem Medikament
Darüber hinaus kommt für den Staatsanwalt eine Aussage des Gynäkologen aus einem früheren Verfahren im Jahr 2009 erschwerend hinzu. Damals habe er im Bezug auf einen ähnlichen Fall nachdrücklich festgehalten, dass bei der Gabe von Prostaglandin ein höheres Risiko für Uterus-Risse bestehe. Der Arzt bestätigt auf Nachfrage: "Ja, das ist so."
Was für die Staatsanwaltschaft auch hinterfragenswert ist: Wie oft der Arzt am Krankenbett der Frau war. Bemerkenswertes Detail: Der Arzt wollte die Frau untersuchen - weil sie sich zu dem Zeitpunkt am WC befunden hat, ist die Untersuchung unterblieben.
Heute sagt der Arzt vor Gericht: "Im Nachhinein hätte ich warten müssen, bis die Frau zurückkommt, um sie selber zu untersuchen. Ich habe die Chance auf Aufklärung nicht entsprechend wahrgenommen, weil ich wieder weg musste.
Wehenfördernde Mittel, Schmerzmittel und Opiate
Stundenlang liegt die Frau im Spital, sie bekommt wehenfördernde Mittel, Schmerzmittel, Opiate. Um 18 Uhr, zwölf Stunden nach ihrem Eintreffen im Spital, sagt die Frau später bei Einvernahmen, hätte sie schon einen Kaiserschnitt haben wollen.
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"Wenn sie das zu mir gesagt hätte, hätte ich einen Kaiserschnitt in die Wege geleitet", verantwortet sich der Arzt, der Staatsanwalt hält ihm vor: "Ihre Erinnerungen an Gespräche sind so dürftig, und das wissen Sie genau?"
Jedenfalls habe er sich auf "erfahrene Hebammen" und auf Kolleginnen verlassen. "Wo waren Sie, wie oft waren Sie am Krankenbett?", will der Staatsanwalt wissen. Er habe das nicht dokumentiert, sei aber regelmäßig bei der Frau gewesen.
Frau ist wieder schwanger, Mann sagt als Zeuge aus
Als erster Zeuge ist der Vater des verstorbenen Babys geladen, seine Frau ist wieder schwanger, schildert er vor Gericht: "Aktuell schaut es gut aus." Als er nach der Zeit des Babys auf der Neonatologie in Salzburg, wohin das Kind nach dem Not-Kaiserschnitt noch gebracht wurde, gefragt wird, bricht dem jungen Mann die Stimme.
Er selbst war nach dem tragischen Vorfall drei Monate im Krankenstand, seine Frau ist immer noch in psychologischer Betreuung. "Wir wollen das endlich abschließen", legen er und seine Frau Hoffnung in den Prozess. Er war in der Nacht mit seiner Frau im Spital, fuhr in der Früh heim, kam am Nachmittag wieder.
Am späteren Abend habe Sie "laut nach einem Kaiserschnitt" gerufen, als er ihren Kopf beim Geburtsvorgang gehalten habe. Der Verteidiger hält ihm vor: "Kein anderer Zeuge hat das gehört." Der Verteidiger will wissen, wie das passieren kann. Der Zeuge bleibt dabei: Seine Frau habe deutlich formuliert, dass sie einen Kaiserschnitt wolle.
Zur Diskussion steht dann auch die Frage der Aufklärung. Denn auf einem Formular finden sich Informationen, die der Zeuge nicht auf dem Bogen gesehen haben will, als er die Aufklärung unterschrieben habe.
Seit Vorfall neuer Aufklärungsbogen im Spital in Verwendung
Für Lukas und seine Mutter kommt es zu spät, aber jedenfalls gibt es im Klinikum Vöcklabruck jetzt auch einen Aufklärungsbogen zum Thema "Geburtseinleitung". Also für alle Fällen, in denen künstlich Wehen eingeleitet werden. Der Angeklagte hatte ja betont, dass er sich darauf verlassen habe, dass die schwangere Frau in der Nacht bei der Aufnahme über Risiken durch das Medikament Prostaglandin aufgeklärt worden sei.
Die Assistenzärztin versicherte: "Es hat keinen Grund gegeben, die Frau über die künstliche Einleitung von Wehen aufzuklären." Warum der angeklagte Oberarzt das behauptet und sich auf diese vermeintliche Aufklärung bezogen habe, könne sie nicht beantworten.
Fix ist, dass die Assistenzärztin keine Untersuchung der Frau in der Nacht bei der Aufnahme durchgeführt hat.
Was bei der Gerichtsverhandlung auch zu Tage tritt: Die schwangere Frau, die später ihr Kind verlieren sollte, hatte offenbar große Angst und Unsicherheit in Bezug auf die Geburt ihres Kindes gehabt. Obwohl sie zuvor einen geplanten Kaiserschnitt abgesagt hatte. Eine Krankenschwester gibt als Zeugin an: "Sie war komplett unschlüssig." Aber der Angeklagte habe ihr alle Möglichkeiten aufgezeigt und ihr auch alle Fragen beantwortet.
Was immer wieder zur Sprache kommt - auch bei der Einvernahme einer Hebamme, die im Ermittlungsverfahren sogar als Beschuldigte einvernommen wurde - ob die Frau entsprechend aufgeklärt wurde. Denn für eine Frau nach einem bereits erfolgten Kaiserschnitt besteht prinzipiell erhöhtes Uterus-Riss-Risiko. Dieses erhöht sich durch verschiedene Medikamente, die in dem Fall verabreicht wurden. Unklar bleibt, ob die schwangere Frau in vollem Umfang darüber aufgeklärt wurde.
Noch deutlicher wurde der Staatsanwalt bei der Befragung bei der Befragung jener Hebamme, die letztlich das umstrittene Medikament verabreicht hatte - auf Anweisung des angeklagten Oberarztes. Laut Staatsanwalt seien dabei die spitalsinternen Regelungen nicht eingehalten worden. Denn darin steht: Die Verabreichung darf nur erfolgen, wenn eine fachärztliche Untersuchung samt Ultraschall durchgeführt worden ist. Die Verabreichung des Medikaments sei "Brauch des Hauses", fiel mehrmals bei der Verhandlung.
Mit Dauer der Verhandlung zeigte sich der Staatsanwalt zusehendes genervt - nämlich davon, dass vom Klinikum erst die Verabreichung des Medikaments nicht in der Sachverhaltsdarstellung enthalten war, ebenso nicht die Durchführungsbestimmung zur Verabreichung dieses Medikamentes: "Ich glaube, dass uns das bewusst nicht vorgelegt wurde. Wir haben lange und aufwändig dafür ermittelt."
Das Verfahren wurde zur Einvernahme weiterer Zeugen vertagt.
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