Mindestsicherung verweigert: Pflege-Regel trifft die nächste Mutter

Lily und ihre Mutter in einer Hängematte
Einer Frau wird die Mindestsicherung verweigert, weil sie ihr behindertes Kind selbst betreut.

Der KURIER-Bericht über jene Mutter aus Niederösterreich, der die Mindestsicherung gekürzt wurde, da ihr das Pflegegeld ihrer behinderten Tochter als "Gehalt" angerechnet worden war, hat vielen Betroffenen Mut gemacht. Niederösterreich wird diese für pflegende Angehörige katastrophale Regelung als erstes Bundesland abschaffen. Nun zeigt ein drastischer Fall aus Oberösterreich, dass auch dort Handlungsbedarf besteht.

Lily ist ein tapferes Mädchen. Die kleine Oberösterreicherin ist körperlich und geistig schwer beeinträchtigt. Rund um die Uhr muss die Zehnjährige gepflegt werden. Sie bekommt durch eine PEG-Sonde (künstlicher Zugang von außen in den Magen, Anm.) tagsüber und bei Bedarf auch nachts Flüssigkeit zugeführt. Trotzdem plagen sie ständig Beschwerden mit der Verdauung. Eine genetisch bedingte Stoffwechselstörung macht Lily das Leben schwer.

Ohne ihre Mutter Alexandra wäre die Kleine hilflos. Bei ihren vielen Spitalsaufenthalten braucht sie die Mama an ihrer Seite, andernfalls drohen Stress, Krämpfe und Apathie. "Mit der Behinderung meiner Tochter kann ich gut leben, aber sie hat körperliche Beschwerden, die machen es schwer", sagt die Mutter.

Lange Tage

Alexandras Tage sind lang. In der Nacht muss die Sonde versorgt und Lilys Windel gewechselt werden. Bis ihre Tochter um 8.30 Uhr zur Schule abgeholt wird, müssen jeden Morgen Schläuche gespült, Spritzen hergerichtet und Verbände gewechselt werden. Die Pumpe für ihre Sonde trägt das Mädchen mit dem braunen Pagenkopf in einem speziellen Rucksack.

Am Nachmittag bleibt zwischen Essen und Sondenspülungen ein wenig Zeit zum Spielen, Vorlesen und Singen. Nebenbei hilft Alexandra Lilys Bruder bei der Hausübung.

Die zweifache Mutter unterstützt ihre beiden Kinder, wo sie kann. Mehrere Babysitter, die Alexandra selbst auf Lilys Betreuung geschult hat, erleichtern die Tage; wie auch die Familienhilfe, die allerdings die Sonde nicht betreuen darf.

Ende Februar zog die kleine Familie in eine behindertengerechte Wohnung. Die Alleinerzieherin ist nicht berufstätig, die Pflege ihrer Tochter macht einen geregelten Job unmöglich. Im März hat sie am neuen Wohnort wieder um Mindestsicherung angesucht. Ende Juni traf die Mutter der Bescheid der zuständigen Bezirksbehörde dann wie ein Schlag: Ihr Antrag wurde abgelehnt.

Die mehrfach behinderte Lily – Pflegestufe sieben – bekommt 1628,90 Euro Pflegegeld. Da Alexandra ihre Tochter selbst daheim pflegt, rechnet ihr die Behörde einen großen Teil des Pflegegelds als "Gehalt" an. Damit hat die zweifache Mutter vor dem Gesetz ein Einkommen und daher keinen Anspruch auf Mindestsicherung.

Dabei fließt das gesamte Pflegegeld in Lilys Betreuung, Mama Alexandra bleibt davon nichts. Babysitter, Medikamente und Therapien müssen bezahlt werden. Ohne Mindestsicherung muss die Familie den Lebensunterhalt nun mit Lilys Pflegegeld bestreiten. Auch das Geld einer Spende, das eigentlich für ein teures Pflegebett gedacht war, muss herangezogen werden, um Babysitter oder Pflegerinnen zu bezahlen. Ist das aufgebraucht, hängt die Pflege wieder weitgehend an Mutter Alexandra.

Verstehen kann sie die Gesetzeslage in Oberösterreich nicht. Würde sie ihr Kind zur Betreuung weggeben, bekäme sie Mindestsicherung. "Aber für meine Tochter gibt es in ganz Oberösterreich nur zwei Stellen, wo sie untergebracht werden könnte. Und die Betreuung dort kostet dann ein Vielfaches von dem, was ich als Mindestsicherung bekommen würde."

Die Mutter hat sich bereits an das Büro von Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer (SPÖ) gewandt. Dort bekam sie die Auskunft, das Vorgehen der Behörde sei korrekt.

Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) zeigt durchaus Verständnis für die Situation. Einen legistischen Schnellschuss will er nicht setzen: "Aber wir werden uns das niederösterreichische Modell genau anschauen."

Kommentare