Mindestsicherung: Pflegegeld ist bald kein "Gehalt" mehr

Die Geschichte von Susanne B. und ihrer Tochter bewegte viele
Nach KURIER-Bericht: Regeln für Mindestsicherung werden geändert.

Sie bekommt weniger Mindestsicherung, weil sie ihre behinderte Tochter daheim pflegt. Die KURIER-Berichte über das Schicksal der Frau haben viele betroffen gemacht. Die Berichterstattung hat aber auch für Bewegung gesorgt: Niederösterreich wird die Rahmenbedingungen zum Bezug der Mindestsicherung ändern.

Eine Welt war für Susanne B. zusammengebrochen, als sie die Information bekam, sie werde ab sofort statt gut 700 Euro nur mehr 386 Euro Mindestsicherung bekommen. Begründung: 352 Euro Pflegegeld, das ihre Tochter Lara (alle Namen geändert) bekommt, werde der Mutter als "Einkommen" angerechnet. Der Gesetzgeber argumentiert, das Pflegegeld sei als Gehaltszahlung an die pflegenden Angehörigen zu verstehen. Würde Lara, die mit Down-Syndrom zur Welt kam und wegen einer schweren Fußerkrankung auf Rollstuhl und Krücken angewiesen ist, in einem Heim betreut, hätte ihre Mutter Anspruch auf mehr Mindestsicherung.

Reform

Jetzt gibt es eine andere Lösung: Eine Reform der Landesbestimmungen zur Mindestsicherung. Die so genannte "Verordnung über die Berücksichtigung von Eigenmitteln" wird geändert. Pflegegeld zählt künftig im Rahmen der Mindestsicherung nicht zum Einkommen, wenn Pflegeleistungen für einen Angehörigen im gemeinsamen Haushalt erbracht werden. Damit ändert Niederösterreich eine Bestimmung, die seit den 1990er-Jahren besteht. Als einziges Bundesland nimmt Niederösterreich explizit "pflegende Angehörige" aus.

"Neue Ehrlichkeit, Fairness und Gerechtigkeit sind zentrale Anliegen meiner Politik", sagt Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). "Wir helfen den Schwächsten und unterstützen nicht die Frechsten. Darum habe ich Soziallandesrätin Barbara Schwarz damit beauftragt, diese Ungerechtigkeit aus dem Weg zu räumen."

Schwarz (ÖVP) will mit dem für die Mindestsicherung zuständigen Landesrat Maurice Androsch (SPÖ) nun einen Antrag in der Regierung einbringen. In dessen Fachabteilung soll der Fall von Frau B. bereits seit rund einem Jahr bekannt gewesen sein. "Der diesbezügliche Bericht der Abteilung liegt uns noch nicht vor", heißt es aus Androschs Büro.

Die Novelle der Verordnung wird sich auf die Ausgaben des Landes für die Mindestsicherung auswirken. Die Spanne liegt zwischen einer halben und einer Million Euro. Insgesamt hat Niederösterreich für heuer jedoch rund 95 Millionen Euro für die Mindestsicherung budgetiert. Nach den Verschärfungen zu Jahresbeginn dürften die tatsächlichen Ausgaben bei 85 Millionen Euro liegen.

"Ein erster Schritt in die richtige Richtung", sagt die grüne Landesobfrau Helga Krismer, die sich ebenfalls mit dem Fall befasst hat. "Wir sind aber noch nicht am Ziel. Die nö. Mindestsicherung – besonders die Deckelung mit 1500 Euro pro Haushalt – trifft viele Familien hart. Reden wir auch darüber."

Niederösterreich war eines der ersten Bundesländer, das die Regeln zum Bezug der Mindestsicherung mit Jahresbeginn verschärft hat. Die Kritik daran war zum Teil heftig. Trotzdem hält das Land nach wie vor daran fest. Aber Niederösterreich kann auch anders: Werden nämlich, so wie jetzt vom KURIER, Ungerechtigkeiten aufgezeigt, ist das Land für Verbesserungen offen. Es bedurfte eines medialen Fingerzeigs, aber nun ist NÖ (gemeinsam mit dem Burgenland) Vorreiter. Dem Modell sollten andere Länder jetzt rasch folgen.

Am Beginn der KURIER-Recherchen stand eine verzweifelte Mutter. Die Frau, die wir Susanne B. genannt haben, wollte nicht akzeptieren, dass ihr Geld weggenommen wird, nur weil sie ihre Tochter daheim pflegt. Wir haben ihre Geschichte erzählt. Und sie hat damit viel bewegt.

Ende 2016 sind die Verhandlungen für bundeseinheitliche Regeln der bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS) gescheitert. Die Debatten um die verschiedenen Modelle, die in den einzelnen Bundesländern entwickelt wurden, reißen bis heute nicht ab.

Im Burgenland, in Ober- und Niederösterreich wurde die Mindestsicherung pro Familie mit rund 1500 Euro gedeckelt. Vollen Leistungsanspruch gibt es erst nach mehreren Jahren rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich. Das nö. Landesverwaltungsgericht will diese Regeln vom Verfassungsgerichtshof überprüfen lassen. Das Land sieht einer möglichen Prüfung gelassen entgegen. Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) sieht das nahezu deckungsgleiche Modell in seinem Bundesland derzeit ebenfalls nicht in Frage gestellt.

Auf Deckelungen und Wartefristen haben die ÖVP-geführten und von den Grünen mitregierten Bundesländer im Westen Österreichs zwar verzichtet. Kritik gab es aber etwa in Tirol von Sozialvereinen, weil die Höhe der übernommenen Wohnkosten gekürzt wurde. Negativ bewertet wurde jene Regelung, die es dem Land ermöglicht, Beziehern der Mindestsicherung Wohnungen zuzuweisen. Bisher konnten anerkannte Flüchtlinge ihren Wohnort frei wählen. Sind sie Mindestsicherungsbezieher, haben sie diese Freiheit seit Juli nicht mehr. Den Tiroler Sozialen Diensten wurden an die 200 Personen gemeldet, die nun freie Quartiere in Asylheimen beziehen müssen.

Kommentare