Sintstraße: Der einstige "Traum von Linz" ist geplatzt
Die Arbeitersiedlung ist ein Stück Stadtgeschichte. Bald müssen sieben der Häuser Neubauten weichen. Ein ehemaliger Bewohner erzählt, was die Siedlung in ihren Glanzzeiten so besonders machte.
10.02.23, 05:00
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von Michaela Höberth und Laura Hess
Adolf Vitale blickt sich um. „Das hier, das war der Traum von Linz.“ Er sitzt auf einer vermoosten Parkbank. Eine von nur zwei Sitzgelegenheiten, die noch zu gebrauchen sind. Von einem Ast baumelt ein loses Seil. Zum Spielen taugt es längst nicht mehr. Und auch die Häuser, die rings herum stehen, haben ihre besten Jahre hinter sich.
Dennoch strahlt Vitale, als er so auf der alten Parkbank lehnt. Denn er sieht nicht den Verfall, der in der Sintstraße Einzug gehalten hat. Was er sieht, ist jene Wohnsiedlung, in der er geboren wurde, in der er aufgewachsen ist. Und er sieht die Sintstraße, wie sie einst war: Ein Paradies, und das nicht nur für Arbeiterfamilien.
Bald aber wird sich Vitale, der nur wenige Meter von seinem Geburtshaus entfernt in einer Eigentumswohnung lebt, von seiner geliebten Siedlung verabschieden müssen: Die Strabag und die Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft der Stadt wollen hier modernen Wohnraum schaffen.
Die sieben Häuser, die an der Straße liegen, werden abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Die anderen Gebäude, die denkmalgeschützt sind, werden saniert und bald wieder bewohnbar. Damit die neuen Bewohner hier auch parken können, wird eine Garage gebaut. Ein Projekt, das in der Stadtpolitik die Geister scheidet.
„Die neuen Häuser sollen auch Gärten bekommen, dann wird hier alles abgesperrt. Es ist so schade um den Park“, spricht Vitale das aus, was auch andere Bewohner der Sintstraße befürchten. Dabei ist es das viele Grün rund um die Häuser, das die Siedlung einst so lebenswert machte – und nicht zuletzt zu einer architektonischen Errungenschaft.
Denn der Erbauer der Siedlung, der legendäre Stadtbaudirektor Curt Kühne, folgte damit der Gartenstadt-Bewegung, die ihren Ursprung in England hatte. Ihr Ziel: Auch jene, die wenig Geld in der Tasche hatten, sollten anständig wohnen. Im krisengebeutelten Linz der späten Zwanzigerjahre waren das die Arbeiter, die in den großen Betrieben entlang der Donau arbeiteten. So wie Vitales Vater, der der Arbeit wegen aus Salzburg in die oberösterreichische Industriestadt gezogen war.
Was den Wohnungen an Quadratmetern fehlte, das machten sie mit Grünanlagen wieder wett; sie waren das Wohnzimmer der Gemeinschaft, der Ersatz für einen eigenen Garten und ein Treffpunkt zugleich. „Eine Siedlung ohne Grünflächen, ohne Baumbestand wirkt leblos und kalt, erst die Anpflanzung schafft Leben“, soll Kühne einst gesagt haben. Und auf die Sintstraße traf das hundertprozentig zu, wie Vitale zu erzählen weiß.
„Am Sonntag hat es sich hier immer abgespielt. Alle sind zusammengekommen, es gab Musik und Steckerlfisch“, weiß Vitale noch genau. Die zentral gelegene Grünfläche unter den Bäumen, die im Jahr seiner Geburt gepflanzt wurden, waren für die Bewohner in der spärlichen Freizeit der Dreh- und Angelpunkt.
Und auch sonst ereignete sich das Leben vor der Haustüre; die Wäsche wurde auf langen Holzlatten getrocknet, die Steinpfeiler stehen noch heute. Das Gemüse wurde in Schrebergärten gezogen, die gleich hinter den Häusern lagen. Und für die Kinder der Siedlung, für die waren die Wiesen, Felder und die Donau ein einziger großer Spielplatz. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich überhaupt mal Schuhe angehabt habe!“, muss Vitale lachen. Denn für ihn war fehlendes Schuhwerk damals kein Zeichen von Armut, sondern pure Freiheit.
Wenn der 84-Jährige von seinem Leben in der Sintstraße erzählt – sei es von den vielen Streichen, die die Kinder den Erwachsenen gespielt haben, sei es von den Persönlichkeiten, die hier einst lebten –, dann versteht man, warum sein Herz so sehr an den alten Gebäuden hängt. „Aber ich muss auch sagen, dass mir die neuen Häuser in der Straße gefallen“, zeigt der 84-Jährige auf die grauen Bauten, die gleich an die Siedlung angrenzen.
Immer näher sind die neuen Wohnhäuser in den letzten Jahren herangerückt, immer mehr haben sie von dem Grün erobert, das einst die Arbeiterhäuschen umgab. Und es dauert nicht mehr lange, dann wird ein Teil der Siedlung selbst zu jenen Gebäuden gehören, die die alten Arbeiterhäuschen bedrängen.
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