Kontrolle im Gefängnis versagt: Mord mit Ansage in NÖ zeigt Systemversagen

Nach der Bluttat richtete sich der Täter in einem Weingarten
Der Fall hat deutliche Sicherheitslücken im Umgang mit – teils hochgradig – gefährlichen Freigängern in den heimischen Justizanstalten zu Tage gefördert.
Nach der Bluttat vergangenen Juli in Traiskirchen (Bezirk Baden), bei der ein 66-jähriger Freigänger der Justizanstalt Wiener Neustadt einen 55-jährigen Nebenbuhler ermordete und seine 25-jährige Ex-Freundin anschoss und schwer verletzte, liegen nun die Antworten von zwei parlamentarischen Anfragen durch die Grünen auf dem Tisch.
Gefahreneinschätzung von Risikotätern
Und diese zeichnen ein desaströses Bild, was die konkrete Gefahreneinschätzung von Risikotätern und die Kontrollmechanismen in Haftanstalten anbelangt.
Hinweise auf Facebook
Obwohl der Mörder die Tat auf seinem frei zugänglichen Facebook-Profil wochenlang verklausuliert angekündigt hatte, blieben diese Hinweise bei der Justiz unentdeckt.
Die Sicherheitssprecherin der Grünen, Agnes Sirkka Prammer, spricht von einem Kontrollversagen. "Justizministerin Sporrer bestätigt in der Beantwortung, dass es keine standardisierten Verfahren gibt, um Social-Media-Äußerungen, Drohungen oder externe Hinweise bei Haftlockerungen systematisch zu berücksichtigen. Wer im Netz Gewalt androht, darf nicht einfach übersehen werden“, so Sirkka Prammer.

Sie sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen, Agnes Sirkka Prammer
Raub, Zuhälterei, Erpressung und vieles mehr
Bei der Risikoanalyse des 66-Jährigen wurde demnach gehörig gepatzt, kritisieren die Grünen. Der Ex-Rotlicht-König Josef P. galt seit 40 Jahren als Schwerkrimineller – verurteilt wegen schwerer Körperverletzung, Nötigung, Zuhälterei, Juwelenraub, Einbruch, Diebstahl, Erpressung, Drogenhandel, illegalen Waffenbesitzes und mehr.
Er verbrachte fast 20 Jahre seines Leben hinter Gitter.

Seit den 1980er-Jahren verfolgte auch der KURIER medial die kriminelle Karriere des Ex-Rotlichtkönigs mit besten Kontakten in die Unterwelt.
Am 4. Februar dieses Jahres wurde er am Landesgericht Wiener Neustadt zu einer einjährigen unbedingten Haftstrafe verurteilt, weil er seine 25-jährige Freundin geschlagen und genötigt hatte.
Opfer soll geschützt werden
Eigentlich sollte die Haft dazu dienen, das misshandelte Opfer zu schützen. Doch nur zwei Monate nach der Verurteilung entschied man sich nach einer Risikoanalyse in der Justizanstalt Wiener Neustadt dazu, dem Gewaltverbrecher schon wieder Freigang zu gewähren.
Wie Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ) in ihrer Anfragebeantwortung erklärt, muss "der Anstaltsleiter bei dieser Beurteilung den Lebenswandel vor der Inhaftierung und das Verhalten während der Haft berücksichtigen, um sicherzustellen, dass keine besondere Gefahr für die Sicherheit des Staates, der Person oder des Eigentums besteht. Vor diesem Hintergrund bieten diese Regelungen eine Grundlage dafür, dass die Vollzugsbehörde Beiträge von Insassen in sozialen Medien überprüfen darf (...)“
Flächendeckende Evaluierung fehlt
Im Fall des Mörders ist dies aber nicht geschehen. "Zwar existieren interne Checklisten und Fachteams, doch eine laufende, flächendeckende Evaluierung fehlt“, kritisiert Agnes Sirkka Prammer.
Opfer war über Freigang informiert
Josef P. postete wenige Tage vor der Bluttat ein Foto von seiner Ex-Freundin mit dem kryptischen Hinweis: "Ich warte auf meinen Einsatz.“ Wie Sporrer erklärt, war die Ex-Freundin des amtsbekannten Gewalttäters über die "Vollzugslockerungen“, sprich die Freigänge ihres Peinigers, von der Justizanstalt informiert worden. Dieses Wissen schützte sie jedoch nicht vor dem Attentat.

Der Täter postete wenige Tage vor der Bluttat ein Foto seiner Ex. Die 25-Jährige überlebte schwer verletzt.
Im Justizministerium gesteht man Fehler ein. "Diese Tat hat große Betroffenheit ausgelöst und menschliches Leid verursacht (...) Verbrechen wie dieses führen vor Augen, wie wesentlich eine kontinuierliche Weiterentwicklung und sorgfältige Prüfung bestehender Abläufe auch im Straf- und Maßnahmenvollzug ist“, so Sporrer.
Deshalb erfolge derzeit eine "umfassende und sachliche Aufarbeitung mit dem Ziel, mögliche Optimierungspotenziale zu identifizieren und künftige Risiken noch gezielter zu erkennen und zu minimieren“.
Die Tatwaffe
Die Grünen verlangen Sofortmaßnahmen: "Es braucht verpflichtende und regelmäßige Kontrollen, insbesondere dann, wenn jemand mit einem Waffenverbot Freigang erhält“, so Sirkka Prammer.
Der Täter war wegen seiner Verbrechen bereits seit dem Jahr 1985 durchgehend mit einem behördlichen Waffenverbot belegt. Dennoch war es dem gefährlichen Schwerkriminellen gelungen, im Zuge seiner Freigänge illegal an eine Waffe zu gelangen.
Die Grünen richteten deshalb auch eine Anfrage an Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und wollten unter anderem wissen, wie der Mörder an die Schusswaffe kam.
Da ein Waffenverbot im Zentralen Waffenregister (ZWR) vermerkt ist, konnte Josef P. keine Waffe auf legalem Weg erwerben.
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Freund des Mörders
Ein enger Freund hatte auf sein Drängen hin die Tatwaffe, eine Bockbüchsflinte der Kategorie C, ganz legal gekauft und ihm für "ein paar Hundert Euro“ überlassen. Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ermittelt gegen den Mann wegen des Verdachts einer Beitragstäterschaft. Etwa dann, wenn er von dem Tatplan gewusst hat.
"Allein 2024 wurden bereits 27 Anzeigen wegen Waffenbesitzes im heimischen Strafvollzug erstattet – ein deutliches Warnsignal“, sagt Sirkka Prammer.
Josef P. hatte sich nach der Bluttat in Traiskirchen in einem Weingarten selbst mit der Waffe gerichtet. Seine Ex-Freundin überlebte das Schussattentat schwer verletzt.
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