Nach Mord in Traiskirchen: Warum der Hochrisikotäter falsch eingeschätzt wurde

Mord Traiskirchen
Trotz seiner kriminellen Geschichte und Anzeichen auf einen Racheakt bekam ein 66-Jähriger Freigang. Die Folgen waren verheerend.

Nach der Bluttat mit zwei Toten und einer Schwerverletzten vergangenen Sonntag in Traiskirchen muss sich die Justiz eine Frage gefallen lassen. Was hat die Verantwortlichen der Justizanstalt Wiener Neustadt dazu bewogen, den 66-jährigen schwerkriminellen Gewalttäter Josef P. nur drei Monate nach seiner Verurteilung bereits wieder genehmigten Ausgang aus der Haft zu gewähren?

Diebstahl, Erpressung, Drogenhandel, illegaler Waffenbesitz und mehr

Einem Mann, der fast zwei Drittel seines Erwachsenenlebens hinter Gitter verbrachte. Auf das Konto des berüchtigten Rotlicht-Kapos gehen schwere Körperverletzung, Nötigung, Zuhälterei, Juwelenraub, Einbruch, Diebstahl, Erpressung, Drogenhandel, illegaler Waffenbesitz und mehr.

Bei einem Blick auf seinen mehrseitigen Strafakt drängt sich unwillkürlich die Frage auf, wie Josef P. mit seiner Vorgeschichte die Risikoanalyse der Justiz und des Anstaltspsychologen überhaupt bestehen konnte?

Zumal sein öffentliches Facebook-Profil seit Wochen Hinweise darauf liefert, dass er etwas Schlimmes im Schilde führt.

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Seit den 1980er-Jahren verfolgte auch der KURIER medial die kriminelle Karriere des Ex-Rotlichtkönigs mit besten Kontakten in die Unterwelt.

Rache genommen

Mittlerweile haben Ermittler des NÖ Landeskriminalamtes die Hintergründe für das Attentat in Traiskirchen geklärt. Rasende Eifersucht gilt als Motiv. Josef P. hat an seiner 25-jährigen Ex-Freundin und deren neuem Partner Rache genommen, so die Kriminalisten.

Die junge Frau mit ukrainischen Wurzeln hatte den 66-Jährigen nach einem tätlichen Angriff im Herbst 2024 ins Gefängnis gebracht. Weil er sie in der gemeinsamen Wohnung attackiert, genötigt und geschlagen hatte, wurde der Ex-Bordellbesitzer am 4. Februar 2025 am Landesgericht Wiener Neustadt zu einer einjährigen, unbedingten Haftstrafe verurteilt.

Imbissbesitzer vor Lokal erschossen

Er hatte der 25-Jährigen gedroht, ihr die Zähne auszuschlagen und sie umzubringen, wenn sie ihn betrüge. Das Opfer dürfte ausgerechnet Trost bei einem engen Vertrauten von Josef P. gesucht haben. Während der 66-Jährige im Gefängnis saß, ging seine Ex eine Liaison mit dem Imbissbesitzer Thomas H. (55) ein. „Der Täter dürfte sich von der Frau und seinem Bekannten hintergangen gefühlt haben“, so ein Ermittler.

Während seines Haftausgangs fuhr Josef P. am Sonntag nach Traiskirchen. Thomas H. wurde vor seinem Imbiss mit einem Schrotgewehr erschossen. Die 25-Jährige, die in dem Lokal ihres Partners beschäftigt war, wurde angeschossen und schwerstverletzt. Anschließend richtete sich der Täter in einem nahen Weingarten selbst mit der illegal besessenen Waffe. Noch ist unklar, wo er die Schrotflinte her hatte.

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Tatort Traiskirchen

Alarmierende Postings

Aber wie konnte Josef P. überhaupt Haftausgang bekommen?

Ein Blick auf sein öffentliches Facebook-Profil hätte gereicht, um alle Alarmglocken schrillen zu lassen. Dort gibt es deutliche Anzeichen darauf, dass die länger geplant war. „Es wird schneller kommen, als ihr alle denken könnt. Die Überraschung wird groß sein...“, postete er kryptisch.

Er dürfte das Geschehen verklausuliert angekündigt haben. „Es dauert nicht mehr lange, die Freude wird groß sein“, so ein Eintrag im Juni. Davor postete er ein Foto von seiner 25-jährigen Ex mit dem Hinweis: „Ich warte auf meinen Einsatz.“

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Der Täter postete ein Foto seiner Ex, dann schoss er sie in Traiskirchen nieder.

Selbst seine schwerkriminelle Vergangenheit seit den 1970er-Jahren war für die Justiz kein Grund, den Mann bis zu seinem geplanten Haftende im Dezember sicher wegzusperren. Seine erste Verurteilung kassierte er als Jugendlicher. Danach offenbart das KURIER-Archiv die beispiellose Karriere eines Rotlicht-Kapos der Unterwelt.

Teil eines Zuhälterrings

Josef P. hatte in Baden ein Bordell betrieben und war auch im Ausland polizeibekannt. 1982 wurde er als Teil eines Zuhälterrings in Wiener Neustadt verurteilt. Dreimal soll er damals einem Konkurrenten in den Fuß geschossen haben. 1988 sorgte er als Mitglied einer Bande für Schlagzeilen, nachdem sie mit einem gestohlen Wagen in Purkersdorf in die Auslage eines Juweliers gekracht waren und mit Gold, Schmuck und Diamanten entkamen.

400 Straftaten nachgewiesen

Dem damals 30-Jährigen und seinen Komplizen wurden 400 Straftaten mit einem Schaden von damals 3,5 Millionen Schilling nachgewiesen. In dieser Gangart ging es weiter: 14 Monate Haft kassierte Josef P. 1991 wegen Urkundenfälschung. Neun Jahre später war er wegen Mordversuchs angeklagt. Er soll damals seine 35-jährige Freundin aus Eifersucht – weil er sie mit einem Freier in seinem Bordell erwischt hatte – zusammengeschlagen und aus dem Fenster im ersten Stock geworfen haben. Die Geschworenen entschieden auf Körperverletzung und zwei Jahre Haft.

Wegen Drogenhandels und illegalen Waffenbesitzes saß er vier Jahre in Ungarn in Haft. Für ein Strafverfahren hierzulande wurde er nach Wiener Neustadt überstellt. Um nicht zurück ins Gefängnis nach Ungarn gebracht zu werden, schluckte er einen Löffel und musste damals notfallmedizinisch betreut werden. In Summe hatte er zwischen 1999 und 2023 fast 14 Jahre Haft in Ungarn und Österreich verbracht.

NIEDERÖSTERREICH: BLUTTAT IN TRAISKIRCHEN

Polizei am Tatort in Traiskirchen

Gefahr nicht erkannt

Nach der Bluttat am Sonntag ist die Justiz in Erklärungsnot. „Der tragische Anlassfall macht deutlich, dass es trotz bestehender vollzuglicher Strukturen und interdisziplinärer Fachteams Situationen geben kann, in denen sicherheitsrelevante Entwicklungen nicht frühzeitig genug erkannt oder richtig eingeordnet werden“, muss man im Justizministerium eingestehen.

Zuständig für Risikoanalysen und Entscheidungen, wer Freigang bekommt und wer nicht, ist ein „interdisziplinäres Fachteam unter Beteiligung von Justizwache, Sozialem und Psychologischem Dienst“.

Das Ministerium arbeite mit dem Projekt „Prison Intelligence“ bereits daran, die Einschätzung von Risikotätern auf eine noch breitere Basis zu stellen, wie es heißt. Dabei soll in Zukunft auch die Kommunikation von Insassen in Sozialen Medien erfasst und analysiert werden. Dies ist im Fall von Josef P. aber nicht erfolgt.

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