Bombenbau im Kinderzimmer: Wie die IS-Propaganda auf die Jugend abzielt

Beran A. soll von seinem Kinderzimmer in Ternitz aus einen Anschlag auf das Taylor-Swift-Konzert geplant haben. Er sitzt in Haft.
Der Wien-Attentäter und der Kopf des vereitelten Anschlags auf das Taylor-Swift-Konzert haben engen Bezug zu Nordmazedonien. Welche Rolle spielt die ethnische Herkunft?

Der Wien-Attentäter Kujtim F. (20) tötete 2020 vier Menschen. Beran A. (19) wollte im heurigen Sommer mit einem blutigen Anschlag auf das Taylor-Swift-Konzert möglichst viele Menschen mit in den Tod reißen.

Emrah I. (18) feuerte kurz darauf mit einem Gewehr in München auf das Generalkonsulat Israels, ehe der im Flachgau lebende Lehrling von Beamten ausgeschaltet wurde. Dieser Tage ist in St. Pölten ein Netzwerk von mutmaßlichen Anhängern der Terror-Miliz "Islamischer Staat“ (IS) ausgehoben worden.

Was alle Fälle gemeinsam haben: Die Attentäter, Drahtzieher und Hauptverdächtigen in den genannten Fällen haben ihre familiären Wurzeln in Nordmazedonien, in einem Fall im benachbarten Bosnien.

Obwohl die meisten bereits in Österreich geboren und in zweiter Generation hier aufgewachsen sind, spielt ihre ethnische Herkunft bei der Radikalisierung eine "tragende Rolle“, sagen Verfassungsschützer und Terrorismus-Experte Nicolas Stockhammer von der Donau-Universität Krems.

Terrorismus-Experte und Autor Nicolas Stockhammer

Terrorismus-Experte und Autor Nicolas Stockhammer 

Warum das so ist, dieser Frage ist der KURIER auf den Grund gegangen. Stockhammer ist wichtig, eines vorweg zu betonen: "Wir haben viele Menschen in Österreich, die dieselbe Herkunft und sich gut integriert und nicht radikalisiert haben.“

Flüchtlingswelle in der "Jugoslawien-Krise"

Während der jugoslawischen Zerfallskriege ist die größte muslimische Zuwanderung nach Österreich aus den südosteuropäischen Ländern passiert. Es ist die zweite Generation dieser Einwanderungsgruppe, die aktuell im Fokus steht. Wie Stockhammer in einer Analyse zum vereitelten Anschlag auf das Taylor-Swift-Konzert beleuchtet, hat der Verdächtige Beran A. als ethnischer Albaner seine Wurzeln in Nordmazedonien. Seine Eltern stammen von dort.

Islamistische Prediger hochaktiv

In dieser Region seien islamistische Prediger hochaktiv und radikale, salafistisch-dschihadistische Strömungen besonders ausgeprägt, meint der Extremismusforscher. Die Propaganda dieser Gruppen aus Nordmazedonien ziele laut Stockhammer auf die "männliche albanische muslimische Minderheit“ ab.

Im anonymen Tummelbecken sozialer Medien oder einschlägiger Telegram-Gruppen und Foren sei der Radikalisierung vor allem "wenig psychisch und sozial gefestigter Teenager“ Tür und Tor geöffnet, meinen Experten.

Wie die bisherigen Ermittlungen und Chatprotokolle zeigen, haben sich sowohl der Wien-Attentäter Kujtim F. als auch Beran A. online im Netz radikalisiert. Dazu komme der "realweltliche Aspekt“, wie beispielsweise der Besuch in einer Moschee, in der radikale Inhalte gepredigt werden oder ein gleichgesinnter Freundeskreis, der die Ablehnung der "westlichen Welt“ noch zusätzlich verstärkt.

Bombenbau im Kinderzimmer: Wie die IS-Propaganda auf die Jugend abzielt

Gerade Tiktok oder Youtube sind für Extremismusforscher eine Art "Brandbeschleuniger“ der islamistischen Radikalisierung. Salafistische Prediger, die mit ihren Beiträgen Massen erreichen und bewusst Rache-Narrative verbreiten, um junge Menschen anzustacheln, werden wie Rockstars gefeiert. 100.000 Follower oder mehr sind keine Seltenheit.

Problem in den Kinderzimmern

Dieses Phänomen zeigt sich laut Verfassungsschutz auch in der täglichen Arbeit. Laut Roland Scherscher, Leiter des niederösterreichischen Landesamtes für Staatsschutz und Extremismusbekämpfung (LSE), spüre man eine deutliche Zunahme der Fälle, bei denen sich bereits Kinder mit zwölf oder 13 Jahren radikalislamischer Propaganda im Netz hingeben.

Eltern mit Situation überfordert

"Der Großteil der Eltern ist gegen diese Art der Radikalisierung, teilweise mit der Situation aber überfordert“, schildert Scherscher. Auch der jüngste Fall von St. Pölten passe genau in das beschriebene Muster.

Ein mittlerweile 20-jähriger Nordmazedonier, der seit Jahren im Visier des Verfassungsschutzes ist, gilt als Kopf eines Netzwerks von mutmaßlichen IS-Anhängern. Bekannt geworden ist der Hauptverdächtige als "IS-Sprayer von St. Pölten“, was ihm zunächst eine mehrmonatige Freiheitsstrafe wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Sachbeschädigung einbrachte.

Kurz nach seiner Haftentlassung im November 2023 dürfte der 20-Jährige in St. Pölten für den IS rekrutiert und auch den Angriff der Hamas auf Israel als religiös legitimiert indoktriniert haben.

Besorgte Eltern von Kindern, die von ihm radikalisiert worden sein sollen, brachten weitere Ermittlungen ins Rollen. Aktuell sitzt der Nordmazedonier eine fünfjährige Haftstrafe ab.

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