Fall Kührer: Sitzt der Falsche?

Fall Kührer: Sitzt der Falsche?
Ermittler des Bundeskriminalamts sind über Täterschaft uneinig.

Wie sicher ist ein Mordurteil, wenn selbst die führenden Ermittler in Sachen Täterschaft unterschiedlicher Meinung sind? Der Fall der 2006 verschwundenen Niederösterreicherin Julia Kührer scheint nicht enden zu wollen. Wolfgang Blaschitz, der Anwalt des zu 20 Jahren Haft verurteilten Mörders Michael K., hat einen Antrag mit brisantem Inhalt auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt. Das Papier beweist unterschiedliche Ermittlungsergebnisse des Bundeskriminalamts (BK).

Während die Cold-Case-Ermittler von der Täterschaft von Michael K. ausgingen – die in eine Decke gewickelten Überreste des Mädchens wurde in seinem Keller gefunden, und auf dem Stoff fanden sich seine DNA-Spuren – kommt Chefinspektor Robert H. von der "Operativen Kriminalanalyse" des BK zu einem völlig anderen Schluss. Nämlich das Julia Kührer im Beisein ihres Freundes Thomas S. zu Tode gekommen ist und ihre Leiche später versteckt wurde. "Vieles deutet darauf hin, dass es ein nicht beabsichtigter Tod im Suchtgiftmilieu war", so Blaschitz.

Verschleierung

Mehrere SMS, die der Verdächtige am Tag von Julias Verschwinden an sie verschickt hat, wurden von dem Analysten als Alibi- oder bewusst herbeigeführte Verschleierungshandlung angesehen.

Die Tathergangsanalyse wurde noch vor dem Auffinden von Julias Leiche am 19. Juli 2010 verfasst. Auch nach dem späteren Skelettfund und der Verurteilung hält Ermittler Robert H. seine Analyse vollinhaltlich aufrecht. Es habe sich nichts geändert. "Dieses Papier ist den Geschworenen im Mordprozess vorenthalten worden. Der Chefinspektor wurde als wesentlicher Ermittler zu seiner eigenen Verwunderung nicht als Zeuge geladen. Seine Einvernahme hätte ein völlig anderes Ergebnis gebracht", sagt Blaschitz.

Der Anwalt benennt in seinem Wiederaufnahmeantrag nicht nur den Chefinspektor als Zeugen. Auch drei weitere Personen aus dem Suchtgiftmilieu sollen interessante Wahrnehmungen zu dem Fall gemacht haben. Ihnen gegenüber soll Thomas S. behauptet haben, dass er Julia Kührer mit Suchtgift versorgte.

Im Zuge einer Drogenparty, bei der ein Süchtiger beinahe eine Überdosis erlitten hatte, soll Thomas S. die Anwesenden aufgefordert haben, zu helfen. Damit demjenigen nicht das gleiche Schicksal ereile, wie Julia Kührer, soll Thomas S. dabei gesagt haben.

Eine besondere Rolle kommt Julias Bruder zu: Auch er ist als Zeuge angeführt. Stefan Kührer hält den in Haft sitzenden Michael K. nicht für den Mörder seiner Schwester. Julia habe ihm gegenüber niemals Kontakte zu dem Verurteilten erwähnt.Auch in ihrem Tagebuch sei Michael K. kein einziges Mal vorgekommen, im Gegensatz zu Thomas S. Die Einträge würden kurz vor dem Verschwinden der Teenagerin ein durchaus gestörtes Verhältnis zu ihrem Freund erkennen lassen, ist der Bruder überzeugt. Auch Stefan Kührer ist verwundert, dass er im Mordprozess nicht zum problematischen Umgang zwischen Thomas S. und seiner Schwester befragt wurde. Er möchte zur Aufklärung des "richtigen Sachverhalts" beitragen.

Die Entscheidung des Landesgerichts Korneuburg zur Wiederaufnahme kann einige Wochen dauern.

Die 16-jährige Julia Kührer verschwindet am 27. Juni 2006 spurlos, nachdem sie mit dem Bus von Horn nach Pulkau (Bezirk Hollabrunn) unterwegs war. Am Folgetag verständigen Julias Eltern die Polizei. Mehrere Suchaktionen bleiben erfolglos. Anfang 2010 übernimmt das Cold-Case-Management des Bundeskriminalamt die Ermittlungen.

Am 30. Juni 2011 suchen Nachbarn aus Neugierde am Grundstück von Michael K. nach dem Mädchen und stoßen dabei im Keller auf das Skelett der fünf Jahre lang Vermissten. Kurz darauf wird der Verdächtige festgenommen und wieder entlassen. Dem Richter ist die Suppe damals zu dünn.

Am 5. Dezember 2012 wird K. erneut festgenommen. Auf einer angebrannten Decke, in die Kührers Leiche eingehüllt war, finden sich die DNA-Spuren des Verdächtigen.

Nach einem aufwendigen Indizienprozess wird Michael K. im September 2013 von einem Geschworenengericht mit 7:1 Stimmen des Mordes schuldig gesprochen. Er wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Oberlandesgericht Wien setzt die Strafe später auf 20 Jahre herab.

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