Weltgeschichte im Weinviertel wurde neu gezeichnet
7.964 Kilometer liegen zwischen dem beschaulichen Unterolberndorf (NÖ, Bezirk Mistelbach) und Kampala, der Hauptstadt Ugandas. Berge, Wüste und Meer trennen die Weinviertler Katastralgemeinde und das Land in Ostafrika, ganz zu schweigen von unterschiedlichen Zeit- und Klimazonen. Und dennoch sind die beiden Orte seit Jahren eng miteinander verbunden: Im Juni 1985 fand hier ein geheimes Treffen ugandischer Freiheitskämpfer statt, sie wollten ihr Land aus den Fängen der autoritären Regierung befreien. Unterolberndorf war der Ort, an dem sie die Grundlage für eine neue Verfassung beschlossen.
„Das Gasthaus, in dem das Treffen stattfand, sieht noch genauso aus wie damals“, schildert der Kabarettautor Ferdinand Rieder. Er hat gemeinsam mit Ronald Putzker die Geschehnisse im Jahr 1985 aufgearbeitet – allerdings anders, als manch einer nun vielleicht denkt. Anstatt in einem dicken Historienwälzer haben die beiden Autoren den geschichtsträchtige Besuch aus Afrika in einer Graphic Novel verarbeitet – mit knackigen Dialogen, einer spannenden Rahmenhandlung und eindrucksvollen Bildern.
Warum es ausgerechnet ein Comic sein musste? „Einerseits, weil ich ein Fan von Comics bin, andererseits, weil ich für einen Roman schlichtweg zu faul wäre“, sagt Rieder lachend. Dabei war es reiner Zufall, dass er von der Verbindung Ugandas mit Unterolberndorf erfuhr; Rieder schnappte Zeitungsberichte über das historische Treffen auf – und fragte sich unweigerlich, warum diese einmalige Geschichte noch nicht literarisch aufbereitet wurde. „Ich wusste, dass ich daraus etwas machen wollte. Der Stoff war doch prädestiniert.“
Also begann er zu recherchieren, besuchte Unterolberndorf und sprach mit Zeitzeugen über jene Tage vor 38 Jahren, die über Ugandas Zukunft entscheiden sollten. „Allerdings waren die Informationen sehr dünn“, sagt Rieder, der zuerst ein Drehbuch verfassen wollte. Die zündende Idee: Er bettete die wahren Ereignisse in eine fiktive Erzählung ein. Putzker mit seiner langjährigen Erfahrung als Illustrator schuf daraus einen Comic.
Wobei nicht alle Figuren der Graphic Novel frei erfunden sind; so haben der legendäre Ostbahn-Kurti und seine Chefpartie ihren Auftritt. Ebenso wie die Wirtin Leopoldine Bayer, die die Freiheitskämpfer damals in Unterolberndorf beherbergte und später als „Mutter der Revolution“ als Staatsgast nach Uganda eingeladen wurde.
Dabei hatte Bayer zunächst keine Ahnung, dass in ihrem Wirtsbetrieb Weltgeschichte geschrieben wurde. Sieben Männer aus Afrika quartierten sich im Gasthaus „Zum grünen Jäger“ ein, der mittlerweile Gasthof Magister heißt. Offiziell nahmen sie an einem Afrikaseminar teil.
Präsident spülte Gläser
Tatsächlich hatten die Gäste, die bei den meisten Dorfbewohnern unbemerkt blieben, in Unterolberndorf einen Ort gefunden, in dem sie ungestört Pläne für ihr Land schmieden konnten. Sie waren Widerstandskämpfer des National Resistance Movements, das in Österreich Unterstützung suchte. Teil der Runde war damals auch der bis heute amtierende Präsident Ugandas, Yoweri Kaguta Museveni.
Ein Aufstieg, der ihm ohne der Gastfreundschaft der Wirtin Bayer vielleicht nie gelungen wäre; sie ließ ihre Gäste aus Afrika Getränke aus dem Dorfgreißler konsumieren, sie waren knapp bei Kasse. Ihre Gläser abwaschen, das mussten die Männer allerdings schon selbst.
Der Rest ist Geschichte: Das Papier, das in diesen Tagen von den sieben Männern verfasst wurde, ist bis heute als „Unterolberndorf Manifesto“ bekannt. Zehn Punkte wurden damals fixiert, auf denen die neue Verfassung Ugandas beruhen sollte. Sieben Monate später gelang dem National Resistance Movement tatsächlich der Freiheitsschlag – auch wenn man von einer tatsächlichen Demokratie bis heute noch weit entfernt ist.
Freiheit – das kannte das Land im Herzen Afrikas lange nicht. Mitte des 19. Jahrhunderts begannen die Briten, Ostafrika zu kolonialisieren. 1894 wurde auch Uganda zum Protektorat erklärt, Baumwolle und Kaffee waren begehrte Güter. Es war Winston Churchill, der das Land als „Perle Afrikas“ titulierte.
Es sollte über 50 Jahre dauern, bis die Briten das Land wieder verließen. Die ersten direkten Wahlen, die in Uganda stattfanden, waren die Parlamentswahlen 1958 – wobei nicht allen Bewohnern das Wahlrecht zugestanden wurde. Am 9. Oktober 1962 wurde Uganda offiziell unabhängig, erster Premierminister war Milton Obote. Die kommenden Jahre waren geprägt von blutigen Massakern, mit denen Obote den König verdrängte und ein Einparteiensystem installierte. 1971 übernahm Idi Amin durch einen Militärputsch die Macht. Zum Leidwesen der Bevölkerung – der Diktator ließ über 300.000 Oppositionelle ermorden.
1986 setzte sich das National Resistance Movement durch und setzte alle Hoffnungen in den neuen Präsident Yoweri Kaguta Museveni. Dieser ist bis heute Präsident des Landes. Demokratie herrscht in Uganda dennoch nicht; Kritiker werden verfolgt oder getötet, Polizei und Militär scheuen den Einsatz von Waffen nicht. Im vergangenen Oktober wurde das Verbreiten unerwünschter Informationen im Internet unter Strafe gestellt.
Dass Unterolberndorf bei all dem eine zentrale Rolle spielte, wurde den Niederösterreichern erst viele Jahre später bewusst: 1994 war Museveni in Österreich zu Gast, er besuchte auch Unterolberndorf. Ein Quadratmeter ugandischer Erde, die 2010 als Kunstinstallation vor dem Gasthaus platziert wurde, soll auf Dauer an die Geschehnisse erinnern.
Für Rieder war klar, dass das Manifest der Dreh- und Angelpunkt der Comicversion werden musste. „Zehn Punkte für Uganda“ lautet daher ihr Titel, im Dezember wurde die Graphic Novel von den beiden Autoren präsentiert. „Das Feedback der Leser war ganz unterschiedlich, von skeptisch bis begeistert“, sagt Rieder, der gemeinsam mit Putzker vier Jahre an der Umsetzung gearbeitet hat. Ihr Ziel, die Geschehnisse in Unterolberndorf aus der Vergangenheit zu holen, hätten sie jedenfalls erreicht, ist Rieder zufrieden.
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