Vernachlässigt und gequält: Aufarbeitung der Pflegeskandale
Eine Pflegerin, die eine betagte Heimbewohnerin mit einer Spritze aus dem Hinterhalt nass spritzt. Solche und andere befremdliche Fotos aus einer Whatsapp-Gruppe ehemaliger Pfleger des Senecura-Heimes in Sitzenberg-Reidling (Bezirk Tulln, NÖ) dokumentieren abscheuliche Zustände. Weil Opfer auch vernachlässigt, gequält und sexuell missbraucht worden sein sollen, wird drei Frauen und einem Mann demnächst im Landesgericht St. Pölten der Prozess gemacht.
Ein anderes Haus, aber dasselbe Sittenbild? Wegen Missständen im Heim Kirchberg am Wechsel (Bezirk Neunkirchen) sitzen ab dem 12. Dezember im Landesgericht Wiener Neustadt drei Mitarbeiter bzw. Ex-Mitarbeiter wegen Quälens und Vernachlässigung von schutzbedürftigen Personen und fahrlässiger Körperverletzung auf der Anklagebank.
Keine Beschönigung der Situation
Aber wie geht der größte Betreiber von Pflegeeinrichtungen in Österreich mit solchen Skandalen um? Die Situation will man erst gar nicht beschönigen. „Vorfälle wie diese machen uns natürlich extrem betroffen“, erklärt Geschäftsführer Markus Schwarz bei einem Lokalaugenschein des KURIER im Senecura-Sozialzentrum Traiskirchen.
Bezug nehmend auf die bekannt gewordenen Fälle, habe eine umfassende Aufarbeitung stattgefunden. Es sei leider zu Zwischenfällen gekommen, die sich aufgrund der schwierigen Situation von Covid entwickelt haben, meint Schwarz. „Wichtig ist, man muss jede Situation für sich betrachten“.
Am Beispiel von Kirchberg am Wechsel habe sich gezeigt, dass die Versorgung der Bewohner coronabedingt „dort nicht optimal war und vom normalen Niveau deutlich abgesunken ist“. Durch akute Personalknappheit sei man dünn besetzt gewesen, was sich auch nicht rasch lösen hat lassen, sondern längere Zeit in Anspruch nahm.
Liste der Vorwürfe im Pflegeskandal ist lang
Laut Anklage ist die Liste der Vorwürfe lang: Patienten soll der Harnkatheter verweigert worden sein. Wochenlang sei nichts gegen den Ausbruch von Krätzmilben unternommen worden und zur Strafe gab es kein Essen. Als unmittelbare Reaktion wurde der Pflegedienstleitung jemand mit großer Erfahrung und Kompetenz zur Seite gestellt, heißt es.
Ganz werde man solche Einzelfälle nicht verhindern können, es gebe allerdings ein engmaschiges System zur Qualitätssicherung, meint Schwarz. „Zehnmal jährlich wird jedes unserer Häuser intern geprüft. Dazu kommen, je nach Bundesland, zwei bis drei externe Prüfungen und natürlich anlassbezogene Kontrollen“, sagt der Senecura-Geschäftsführer.
Durch ein internes Berichtswesen werden unerwartete Ereignisse, sofern sie bekannt werden, dokumentiert. Es gehe darum, frühzeitig Missstände zu erkennen. Aufgrund der Sperre der Häuser in Zeiten von Covid seien genau solche Überprüfungen und Befragungen von Bewohnern und Mitarbeitern ausgeblieben. Derzeit laufe aber alles wieder normal. „Es gibt Systeme, um mögliche Mängel auch intern anzuzeigen. Außerdem gibt es einen Ombudsmann für die Bewohner sowie eine Ombudsfrau für das Personal. Und wir haben eine Whistleblower-Hotline eingerichtet. Damit haben wir ganz bewusst für Mitarbeiter an der Basis Möglichkeiten geschaffen, um gewisse Dinge aufzuzeigen“.
Die Senecura-Gruppe ist der größte Betreiber von Pflegeeinrichtungen in Österreich. Das Unternehmen betreibt hierzulande 90 Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen.
7.300 Betten werden in den österreichischen Häusern der Gruppe angeboten. 5.500 Mitarbeiter sind in Österreich beschäftigt
Viele Senecura-Einrichtungen haben im Sinne von Generationenhäusern Kindergärten in ihren Heimen integriert. Neben stationärer Pflege bietet Senecura auch Hauskrankenpflege sowie betreutes Wohnen an.
Genutzt werde diese kaum. Es gebe sehr wenige Fälle, über die via Whistleblower-Kanal berichtet werde. Laut dem Geschäftsführer ist eine der größten Herausforderungen derzeit, „adäquates Personal“ zu bekommen. Der Fachkräftemangel macht sich auch im Pflegebereich stark bemerkbar. „Es ist für jeden Betreiber schwierig, Arbeitskräfte mit der nötigen Qualifikation und in ausreichender Zahl zu finden. Wir sind deshalb früh in die Ausbildung eingestiegen“, erklärt Schwarz.
Probleme auch bei anderen Heimträgern
Mit der EMG-Akademie in Graz hat Senecura eine Schule übernommen, um Fachkräfte für den Gesundheits- und Pflegebereich selbst auszubilden. „Wir haben zusätzlich begonnen Mitarbeiter in Drittstaaten zu akquirieren und sie vor Ort in Deutschkurse zu schicken und auszubilden und wenn sie nach Österreich kommen, auch kulturell zu integrieren. Denn wir haben nichts davon, wenn eine gut ausgebildete Pflegekraft nicht weiß, wie es in Österreich funktioniert“, sagt Schwarz.
Auch andere Betreiber haben massive Probleme mit dem Personal. Im Fall Kirchstetten (Bezirk St. Pölten), das vom katholischen Heimträger „Haus der Barmherzigkeit“ und nicht von der Senecura-Gruppe geführt wird, sind vier frühere Pflegekräfte nach Misshandlungen zu bedingten Haftstrafen bis zu 18 Monaten und Geldstrafen verurteilt worden.
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