Immer mehr Wölfe: Raubtiere jetzt auch im Wiener Quellschutzgebiet
96 Wölfe. So viele Exemplare wie nie zuvor sind im Vorjahr österreichweit mittels DNA-Proben nachgewiesen worden. 79 Individuen waren es im Jahr 2022, 53 im Jahr davor. Die Dunkelziffer, was den Bestand anbelangt, ist aber noch weit höher, sind sich Experten einig.
Wie die jüngsten Daten der Bundesländer in Kooperation mit dem Österreichzentrum Bär, Wolf, Luchs verdeutlichen, nimmt die Population der Raubtiere – und damit auch das Konfliktpotenzial – rasend schnell zu.
Kein Abschuss in NÖ
Niederösterreich kommt dabei eine besondere Stellung zu. Obwohl sich das Bundesland zum fruchtbarsten Lebensraum für die Raubtiere entwickelt hat, wurde hier noch kein einziges Problemtier zum Abschuss freigegeben. Im niederösterreichischen Waldviertel lebt derzeit mit vier von insgesamt sechs Rudeln Österreichs größte Wolfspopulation.
Und seit dem Vorjahr mausert sich das malerische Quellschutzgebiet der Stadt Wien im Rax-Schneeberggebiet als weiterer Tummelplatz der sagenumwobenen Räuber.
Weibchen fehlt
Seit Monaten gibt es laufend Nachweise von bereits drei männlichen Exemplaren in der Region. „Zwei von den Wölfen, die wir im südlichen Niederösterreich nachgewiesen haben, haben dinarische Herkunft. Sie kommen sehr wahrscheinlich aus Slowenien oder Kroatien“, erklärt Österreichs Wolfsbeauftragter, Aldin Selimovic vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie an der Vetmed-Uni.
Der dritte nachgewiesene Wolf in dem Gebiet ist aus dem alpinen Raum zugewandert, also aus Italien oder der Schweiz. Das Exemplar mit der Kennung „258MATK“ streift in der Gegend zwischen Hochkar, Ötscher und Annaberg umher, die beiden anderen mit der Kennung „243MATK“ und „147 MATK“ haben ihr Revier in der Gegend um Rax und Schneeberg. „Durch einen Datenaustausch mit den Nachbarländer werden wir versuchen, mehr Informationen über diese Individuen zu gewinnen. Eine Altersbestimmung ist mit DNA-Proben nicht möglich“, sagt Selimovic.
Rückzugsgebiete für Welpen-Aufzucht
Verirrt sich ein Weibchen in das Territorium, könnte dies das bereits fünfte Rudel in Niederösterreich bedeuten. Eine Rudelbildung lässt sich laut Selimovic aber schwer voraussagen. „Dafür muss es die passenden Rückzugsgebiete geben, um Jungtiere sicher aufzuziehen“, erklärt Albin Blaschka, Geschäftsführer des Österreichzentrums Bär, Wolf, Luchs im steirischen Irdning-Donnersbachtal.
Unaufgeregtes Zusammenleben
Anders als im Waldviertel, wo die Wölfe ständig bis ins Siedlungsgebiet vordringen, Nutztiere reißen und zuletzt auch Pferde attackiert und verletzt haben, verläuft das Zusammenleben im Quellschutzgebiet der Stadt Wien bisher „völlig unspektakulär und friktionsfrei“, erklärt der Leiter der Forstverwaltung und Bürgermeister von Schwarzau im Gebirge, Peter Lepkowicz.
Bis dato sei ihm kein einziger Riss eines Nutztieres in der Gegend bekannt. Die Wölfe jagen Rehe oder schwaches Rotwild. Der „Italiener“, wie Lepkowicz „147MATK“ bezeichnet, sei über ein Jahr in der Region und auch laufend im Jagdgebiet der Stadt Wien.
Und Auffälligkeiten oder Probleme habe es mit dem Exemplar gar keine gegeben, sagt der Bürgermeister. „Wenn alle Seiten die Sache mit Hausverstand angehen, ist ein Zusammenleben mit Wölfen möglich. Man sollte nur schauen, dass die Emotionen am Boden bleiben“, so Lepkowicz.
Starke Fluktuation
Zwischen dem tatsächlichen Wolfsvorkommen und den DNA-Nachweisen herrscht eine gewisse Diskrepanz. Oft gibt es Sichtungen oder Fotobeweise von Individuen, aber fehlende Spuren für eine molekularbiologische Analyse. Das erklärt auch, weshalb die Gesamtzahl der Wölfe 2023 stark zugenommen hat, aber weniger Rudel bestätigt sind.
Laut Blaschka gab es in den vergangenen Jahren gerade bei den Rudeln viel Fluktuation. So wurden 2021 drei Rudel bestätigt: Zwei im nö. Allentsteig und Gutenbrunn, ein weiteres im Dreiländereck Böhmerwald in Oberösterreich. 2022 konnten sieben Rudel gezählt werden, weil zwei Rudel in Niederösterreich und zwei in Kärnten hinzukamen.
Von den beiden Rudeln in Kärnten im Hochstadel-Gebiet an der Grenze zu Osttirol sowie am Kreuzeck gab es 2023 plötzlich keinen DNA-Nachweis mehr.
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