Zugunglück mit einem Toten: ÖBB bei Untersuchungen auf der Bremse

Betroffene und Angehörige quält seit dem tragischen Zugunglück von Münchendorf (NÖ) vor allem eine Frage: Wie hat es am 9. Mai zu der Katastrophe mit einem Toten und zehn teils schwer Verletzten auf der kerzengeraden Strecke der neu ausgebauten Pottendorfer Linie kommen können?
Auf Antworten darauf wird man aber wohl noch länger warten müssen. Denn die ÖBB sind bei den bisherigen Nachforschungen des durch die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt eingesetzten Gerichtssachverständigen zur Unfallanalyse auf der Bremse gestanden.
Bis zum vergangenen Wochenende fehlten wichtige elektronische Aufzeichnungen aus der Betriebsführungszentrale der ÖBB in Wien. Wie Bahn-Insider dem KURIER berichten, wurden die Unterlagen zunächst aus Datenschutzgründen von der Rechtsabteilung der Bahn zurückgehalten und geprüft. Die Weitergabe der Aufzeichnungen aus der Fahrdienstleitung sei ÖBB-intern zunächst rechtlich beurteilt worden.
Wie Erich Habitzl von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt gegenüber dem KURIER erklärt, wartet man bei der Anklagebehörde auf die Ermittlungsergebnisse der Kriminalpolizei sowie auf die Expertise des Gutachters. Für den Fall, dass wesentliche Daten und Unterlagen im Zusammenhang mit dem Bahnunglück zurückgehalten und nicht fristgerecht übermittelt werden, werde es zu einer Sicherstellung durch die Justiz kommen, sagt Habitzl.
Auch ÖBB ist Geschädigter
Bei den Bundesbahnen ist man bemüht, den Ball in der Angelegenheit flach zu halten. Noch fehlende Unterlagen seien bereits übermittelt worden. „Sie sind auf dem Weg zum Sachverständigen“, erklärt ÖBB-Sprecher Christopher Seif. Dass Daten bewusst zurückgehalten wurden, dementiert er. Die Bundesbahnen hätten größtes Interesse an einer lückenlosen Aufklärung des Sachverhalts. Schließlich sei man mit einem erheblichen Schaden an der Infrastruktur der Pottendorfer Linie selbst Geschädigter.

Menschliches Versagen
Bereits zwei Tage nach der Entgleisung der „Ventus“-Garnitur der Raaberbahn hatte die stellvertretende Generaldirektorin des Unternehmens, Hana Dellemann, von „menschlichem Versagen“ als Unfallursache gesprochen.
Damit nahm sie Bezug auf die ersten Erkenntnisse, dass der 52-jährige ungarische Triebwagenführer viel zu schnell durch die gestellte Weiche 1 bei Münchendorf fuhr. Ein solcher Gleiswechsel darf laut ÖBB mit maximal 60 km/h erfolgen, der Zug war laut Auswertung des Fahrtenschreibers aber deutlich schneller dran.

Die wesentliche Frage die es nun durch den Unfall-Sachverständigen Robert Paulhart zu klären gilt ist, welche Rolle die ÖBB bei dem Unfall gespielt hat.
Kommunikation über Signale
Laut den Bundesbahnen erfolgt die Weichenstellung auf der Strecke bis inklusive Münchendorf aus der Betriebsführungszentrale Wien. „Dort sitzen rund um die Uhr Fahrdienstleiter. Die Kommunikation mit dem Triebfahrzeugführer erfolgt über Signale“, heißt es vonseiten der ÖBB-Holding. Es bleibt abzuwarten, ob der Zugführer über den Gleiswechsel informiert war oder ein Signal zur freien Fahrt mit höherem Tempo hatte.
Die ÖBB wollen die laufenden Ermittlungen weder kommentieren noch Spekulationen anstellen.
9. Mai 2022
Die Polizei wurde um 18.25 Uhr via Notruf über eine Zugentgleisung informiert. Ein Triebwagen und ein Waggon der Raaberbahn wurden von den Schienen geschleudert und rissen die Oberleitung um
Opfer
Im Zug hatten sich etwa 70 Passagiere befunden. Der 52-jährige Lokführer aus Ungarn wurde schwer verletzt, ebenso ein 79-Jähriger und eine 35-jährige Frau aus Wien
Toter
Am Tag nach dem Unglück wurde ein Todesopfer geborgen. Daniel Guillén, 25, war ein begnadeter Violinist aus Eisenstadt
Kommentare