Erste Hinweise auf Ursache für Zugunglück: Mordkommission ermittelt
Eine falsche Weichenstellung in Kombination mit einer zu hohen Fahrgeschwindigkeit: Bahninsider glauben bereits die Ursache für das verheerende Zugsunglück Montagabend auf der Pottendorfer Linie der ÖBB in Münchendorf (Bezirk Mödling) zu kennen. Mitten in der Stoßzeit des Abendverkehrs ist eine Garnitur der Raaberbahn Montagabend, gegen 18.30 Uhr, auf kerzengerader Strecke entgleist. Zu beklagen ist zumindest ein Todesopfer sowie drei Schwer- und neun Leichtverletzte.
Tödliches Zugunglück in NÖ: Schwierige Bergungsarbeiten
Wie ein Sachverständiger und Ermittler der Tatort- und Mordgruppe des nö. Landeskriminalamtes bereits in der Nacht rekonstruieren konnten, ist es genau an einer Weichenstellung zur Entgleisung des „Ventus“-Zuges der Raaberbahn gekommen. Der Triebwagen und ein Waggon der Doppelgarnitur wurden von den Schienen katapultiert, rissen mehrere Betonsteher der Oberleitung um und stürzten über die Böschung in ein Feld, wo sie seitlich liegen blieben. Die vier weiteren Waggons waren aus den Schienen gesprungen, blieben jedoch im Gleisbett stehen.
Opfer war begnadeter Musiker
An Bord des Zuges, der auf dem Weg von Deutschkreutz nach Wien-Hauptbahnhof war, hatten sich laut Stefan Loidl von der Landespolizeidirektion Niederösterreich der 52-jährige ungarische Zugführer und insgesamt 56 Passagiere befunden.
Der eingeschlossene Triebwagenführer wurde von den Einsatzkräften mit hydraulischem Rettungsgerät aus dem Zugwrack geschnitten. Ein Todesopfer war unter dem umgestürzten Zug eingeklemmt, die Bergung ist erst am Dienstag möglich. Laut Loidl handelt es sich bei dem Toten um einen 25 Jahre alten Mann aus Eisenstadt. Besonders tragisch: Bis Dienstagfrüh wussten die Einsatzkräfte nicht, wer der eingeklemmte Tote unter dem umgestürzten Waggon ist. Die ganze Nacht war nur das Läuten seines Handys zu hören.
Es handelt sich um einen talentierten Violinenspieler und Sohn eines bekannten Musikers und klassischen Gitarristen aus Eisenstadt. Der Vater hat am Dienstag via soziale Medien den Tod des jungen Mannes selbst öffentlich gemacht und dazu berührende Worte verfasst. Auch die Diözese Eisenstadt veröffentlichte einen Nachruf. Der getötete 25-Jährige war Aushängeschild des Eisenstädter Haydn-Konservatoriums sowie der St. Martin Dommusik. Er war im Haydnorchester tätig und im burgenländischen Jugendsymphonie-Orchester, dort auch als umjubelter Solist, heißt es bei der Diözese. Am kommenden Wochenende hätte der Musiker bei einem Requiem mitwirken sollen.
Die beiden weiteren Schwerverletzten sind ein 79-jähriger Mann und eine 35-jährige Frau, beide in Wien wohnhaft.
Aufschlüsse zur Unfallursache erwarten sich die Ermittler vom Fahrtenschreiber des Zuges, der auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt sichergestellt wurde.
Wie Bahninsider berichten, deutet bei dem Unglück alles auf eine Kombination aus technischem und menschlichem Versagen hin.
„Eine Sabotage schließen wir aus“, erklärt einer der Ermittler. Der zweigleisige Ausbau der Pottendorfer Linie im Abschnitt Hennersdorf-Münchendorf ist nach dem groß angelegten Umbau erst im November 2019 feierlich eröffnet worden. „Seither können mehr Züge in dichteren Intervallen unterwegs sein und Überholen sowie Begegnen ist auch in den zweigleisigen Abschnitten außerhalb der Bahnhöfe möglich“, heißt es vonseiten der ÖBB-Infrastruktur AG.
Weichenstellung
Die Trasse wurde so optimiert, dass aktuell Höchstgeschwindigkeiten bis zu 160 km/h möglich sind, später im Fernverkehr sogar bis 200 km/h. Auch der „Ventus“ der Raaberbahn ist für Tempo 160 ausgelegt. Allerdings ist ein Gleiswechsel im Bereich einer Weiche nur mit maximal 60 km/h möglich, bestätigt ÖBB-Sprecher Christopher Seif. „Alles darüber hinaus könnte den Zug entgleisen lassen“, berichtet ein Bahninsider. Dies gilt für das Unglück am Montagabend auch als wahrscheinlichste Ursache.
Der Zug soll mit weit über 100 km/h an der Stelle unterwegs gewesen sein. Für den Fall, dass die Weiche für einen Gleiswechsel gestellt war, wäre das viel zu schnell. „Wir haben die Sicherstellung des Triebwagen sowie des Fahrtenschreibers angeordnet. Außerdem wurde zur Klärung der Unfallursache ein Sachverständiger bestellt und die Obduktion des Toten angeordnet“, erklärt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, Erich Habitzl.
Am Dienstag war ein Maschinenkran der ÖBB im Einsatz, um die beiden umgestürzten Waggons zu bergen und die vier anderen wieder in die Gleise zu stellen.
Linie am Mittwoch eingleisig befahrbar
Laut ÖBB könnte bereits Mittwochabend ein Gleis auf der Pottendorfer Linie wieder für den Bahnverkehr freigegeben werden. "Beim zweiten Gleis ist der Umfang der Reparaturarbeiten jedoch deutlich größer. Nach einer umfassenden Schadensbegutachtung ist mit Sanierungsmaßnahmen über mehrere Tage zu rechnen, wodurch eine Freigabe der gesamten Strecke erst in zirka drei bis fünf Tagen zu erwarten ist", hieß es am Dienstag in einer Aussendung. Bis Mittwochabend ist zunächst ein Schienenersatzverkehr eingerichtet.
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