Kafka starb vor 100 Jahren: Wie sich Kierling erinnert
"Alles ist in den besten Anfängen" schrieb Franz Kafka am 2. Juni 1924 in einem Brief an seine Eltern. Ob er das wirklich glaubte oder sich nur in Zweckoptimismus übte, kann man nicht sagen. Jedenfalls war es Kafkas letzter Brief, einen Tag später war er tot.
100 Jahre danach erfährt der Schriftsteller neues und großes Interesse. Deutlich spürbar in Klosterneuburg, wo Kafka am 3. Juni 1924 in einem kleinen Sanatorium im Ortsteil Kierling starb. Sein Sterbehaus lässt sich heute noch besuchen.
"Prag lässt nicht los. Dieses Mütterchen hat Krallen“, schrieb Kafka in einem Brief an seinen Freund Oskar Pollak. Tatsächlich blieb der Schriftsteller sein Leben lang seiner Geburtsstadt verbunden, die tschechische Metropole würdigt den großen Sohn auch ausgiebig und touristisch ergiebig, Museum und Grab sind nur zwei Ziele.
Original-Schauplatz
Dennoch hat eine kleine Gedenkstätte in Kierling einiges und auch Einzigartiges zu bieten: "Wir haben hier eine Aura und einzigartige Atmosphäre. Es ist der einzige Ort, an dem Kafka einst war, den man heute noch tatsächlich betreten kann", betont Manfred Müller, Leiter der Österreichischen Gesellschaft für Literatur und Präsident der Österreichischen Franz Kafka Gesellschaft.
Am 19. April 1924 kam der schwer kranke Kafka im Sanatorium Hoffmann in Kierling an. Seine letzte Freundin Dora Diamant und ein Freund, der ungarische Medizinstudent Robert Klopstock, waren in diesen letzten Lebenswochen bei ihm.
Das Gebäude, in den 1890er-Jahren als Wohnhaus errichtet, gibt es noch immer, seit den 1980er-Jahren steht es unter Denkmalschutz. "Es schaut noch genauso aus wie damals, befindet sich im Originalzustand", betont Müller. Im Juli 1983, anlässlich des 100. Geburtstages Kafkas, wurde hier durch die Franz Kafka Gesellschaft ein Studien- und Gedenkraum eröffnet.
Ein Schild aus Email
Das Sterbezimmer lässt sich nicht mehr exakt lokalisieren, dürfte sich aber nach einem Umbau in einer heute privat genutzten Wohnung befinden. Gedenk- und Studienraum liegen in früheren Ordinationsräumen. Ein Email-Schild "Ordinationszimmer" ist der einzige originale Gegenstand in der Ausstellung – es wurde bei Grabungsarbeiten im Garten gefunden.
"Der Gedenkraum ist nicht groß, aber etwas Besonderes", betont Müller. Mit einem Wiener Spitalsbett der 1920er-Jahre und Fototapeten, die Kierling aus jener Zeit zeigen, wird versucht, eine Vorstellung von damals zu erzeugen. Der am Tag vor seinem Tod unter Mühen verfasster letzter Brief an seine Eltern, von Dora Diamant zu Ende geschrieben, ist hier ebenso zu sehen wie der Eintrag in das "Sterbeprotokollbuch" von Kierling – beides freilich nicht im Original.
Zur Person
Franz Kafka, 1883 in Prag geboren, gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Seine bekanntesten Werke sind die Romanfragmente "Der Process", "Das Schloss" und "Der Verschollene"
Krankheit
1917 wurde eine Lungentuberkulose festgestellt. Nachdem er 1918 auch an der Spanischen Grippe erkrankte, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand von Jahr zu Jahr. 1923/24 griff die Tuberkulose auch auf den Kehlkopf über, Kafka verlor allmählich sein Sprechvermögen und konnte nur noch unter Schmerzen Nahrung und Flüssigkeit zu sich nehmen.
Die letzten 46 Tage seines Lebens verbrachte er in einem Sanatorium in Kierling bei Klosterneuburg, wo er am 3. Juni 1924 starb
"Die Unterlagen aus dem Sanatorium Hoffmann sind leider nicht erhalten. Aber wir haben das Aufnahmeprotokoll, Befunde und eine originale Fieberkurve von Kafkas unmittelbar vorangegangenem Aufenthalt im Wiener Allgemeinen Krankenhaus", sagt Müller. Dort kann auch abgelesen werden, dass der 181 Zentimeter große Kafka vor seiner Überstellung nach Kierling nur noch 45,6 Kilogramm wog.
Was die Fans sehen wollen
Das Gedenkjahr hat eine "Kafka-Mania" mit sich gebracht. "Bisher waren es maximal 500 Leute pro Jahr, die uns besucht haben", sagt Müller. Heuer dürften es vier Mal so viele werden. "Es ist viel los. Zu uns kommen Reisegruppen, Schulklassen, Wissenschafter und Lesekreise. Auch Besucher aus dem Ausland, viele Amerikaner und Japaner, sind darunter", sagt Müller. "Die Besucher wollen den Ort sehen, wo Kafka gestorben ist. Immer wieder bemerkt man, wie ergriffen die Leute sind, viele haben eine persönliche Bindung zum Werk von Kafka."
Das Interesse gehe quer durch alle Generationen, betont Müller, sogar Tiktok-Gruppen interessieren sich für "Superstar Kafka". Müller: "Kafka ist als Figur so spannend, dass er auch junge Leute stark anspricht." Man dürfe auch nicht vergessen, dass sein Werk auf der ganzen Welt als Schullektüre präsent ist und der Ausdruck "kafkaesk" international in vielen Sprachen bekannt ist.
Podcast über "Kafkas letzte Tage"
In Kierling kann man den Gedenkraum jeden Samstag zwischen 9 und 13 Uhr ohne Voranmeldung besuchen. Nach Voranmeldung sind auch Besuche zu anderen Zeiten möglich. „Wir sind sieben Leute, die ehrenamtlich die Führungen machen. Niemand von uns verdient etwas daran. Von den Spenden geht sich zu Jahresende gerade ein gemeinsames Essen aus“, sagt Müller, der auch einen Podcast über "Kafkas letzte Tage" mitgestaltet hat, der in 53 Folgen über die letzten Lebenswochen des Dichters informiert.
Am Sonntag erfährt der prominente Klosterneuburger Gast eine besondere Würdigung. Ein Weg zum Kierlinger Friedhof wird nach dem weltberühmten Schriftsteller benannt. Kafka ist präsent und "nach 100 Jahren aktueller denn je", so Müller.
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