Das Katastrophenjahr 2019 ist abgehakt. Zwei schwere Zwischenfälle haben den Bauzeitplan für den Semmering-Basistunnel bekanntlich um zwei Jahre nach hinten verschoben. Aus heutiger Sicht wird der erste fahrplanmäßige Zug im Dezember 2028 durch die 27,3 Kilometer lange Röhren rollen – dafür aber mit 230 km/h.
Vor wenigen Tagen wurde bei dem 3,5 Milliarden Euro teuren Projekt ein wichtiges Etappenziel erreicht. Vom Fröschnitzgraben aus ist der Teilabschnitt der beiden Tunnelröhren bereits 4,3 Kilometer in Richtung Mürzzuschlag fertig gegraben. Seit dieser Woche werden mit einem speziellen Schalungswagen die inneren Betonringe der Röhren Abschnitt für Abschnitt betoniert. „Ein wichtiger Meilenstein“, freuen sich die Projektleiter Gerhard Gobiet und sein Stellvertreter, Gernot Nipitsch. Nachdem Corona eineinhalb Jahre keine Besucher auf der Riesenbaustelle erlaubte, durfte der KURIER am Donnerstag 400 Meter tief unter Tage, um den Baufortschritt in Augenschein zu nehmen. Drei Viertel des Basistunnels sind bereits gegraben, also gut 40 der insgesamt 54 Röhren-Kilometer (zweigleisig).
Gobiet macht keinen Hehl daraus, dass der anspruchsvollste Teil des Projekts, die Grassberg-Nordrand-Störung (laut Geologen eine der komplexesten geologisch-tektonischen Strukturen der Ostalpen) die Mineure im Abschnitt Gloggnitz (NÖ) vor extreme Herausforderungen stellt. Er räumt auch ein, dass dabei nicht die Ingenieure den Ton angeben: „Der Berg gibt die Zeit vor.“ Die beiden neuralgischen Punkte sind dabei aber überwunden. Zum einen wurde beim Tunnelvortrieb in Gloggnitz 2019 ein Schlot angefahren, der zu einem massiven Gesteinseinbruch und einer Kraterbildung an der Erdoberfläche führte.
Nur kurz darauf wurde beim Vortrieb in Göstritz eine Bergwasserquelle angefahren. Bis zu 100 Liter Wasser pro Sekunde fluteten monatelang das Tunnelsystem. Jetzt ist die Quelle gefasst, das Wasser wird kontrolliert abgeleitet. „Bei der Errichtung der Innenschale wird diese Stelle plombiert“, erklärt Gobiet. Mittlerweile hat man die Tunnelröhren in dem Bereich schon 600 Meter weiter gegraben.
Der massive Eingriff in den Wasserhaushalt der Natur war einer der zentralen Kritikpunkte im Zusammenhang mit dem Bau des Basistunnels. Durch die Röhren wird der Berg durchschnitten. Damit das dabei austretende Wasser nicht verloren geht, gibt es strenge Behördenauflagen, die es umzusetzen gilt. Nipitsch demonstriert im Zuge des Lokalaugenscheins das ausgeklügelte System. Nach dem Spreng- und Baggervortrieb wird die Tunnelwand mit einer 20 bis 40 Zentimeter dicken Spritzbetonschicht versehen.
Danach kleiden die Arbeiter die Röhre mit einem Textilvlies und mit einer 5 Millimeter starken, gelben Kunststofffolie darauf aus. Ähnlich wie bei einem Schwimmbad oder einem Flachdach wird die Folie verschweißt. „Das verhindert einen Wassereintritt in die Röhre“, so Nipitsch. Das Bergwasser läuft außen an der Folie ab, sickert durch ein Drainagebett und wird in Abflussrohren unter der späteren Gleisanlage gefasst und abgeleitet. „Wir haben ein durchgehendes Gefälle bis zum Tunnelportal in Gloggnitz. Dort läuft das Wasser hinaus und wird in die Schwarza geleitet“, schildert Gobiet. Den Prognosen zur Folge werden das bis zu 400 Liter pro Sekunde sein.
Weltkulturerbe
Nachdem die alte Semmeringbahn UNESCO-Weltkulturerbe ist, muss man bei den nötigen Umbauten am Portalbahnhof Mürzzuschlag strenge Auflagen berücksichtigen. Eine Gleishalle für Instandhaltungszwecke wurde aus Holz errichtet. Auch in Gloggnitz wird ein mehrstöckiges Verwaltungsgebäude samt Werkstätte aus dem Rohstoff gebaut. Nach ökologischen Gesichtspunkten findet auch die Renaturierung der Deponie Longsgraben statt. 4 Millionen Kubikmeter Gesteinsmaterial aus dem Tunnel wurden dort in der Natur aufgeschüttet. Darauf wird nun ein „klimafitter“ Mischwald aufgeforstet.
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