Die Bezeichnung „Randsportart“ ist eine gelinde Untertreibung, doch ein Schlingel ist, wer bei Schleudern an Kinderspielzeug denkt. In der kleinen Gemeinde Deutsch-Brodersdorf im Bezirk Baden wird die uralte Kunst des Steinschleuderns nicht nur eifrig gepflegt, man darf sich seit Kurzem sogar über Gold bei den Weltmeisterschaften freuen.
Vater des Erfolges und Österreichs erfolgreichster Schleuderer ist Christian Sam, der Obmann und Initiator des Vereins „Schlingel Team Austria“ ist. Die erste Frage, die sich da aufdrängt: Warum „Schlingel“? „Das deutsche Wort Schlinge leitet sich von der Schleuder her. Ein Schlingel ist jemand, der mit der Schleuder etwa ein Fenster einschießt. Die doppelte Bedeutung hat mir gefallen“, erzählt Sam schmunzelnd.
Ins Schleudern kam Sam nach Abschluss seines Studiums für Lebensmittel- und Biotechnologie. „Ich war schon immer an Geschichte interessiert und hatte mir in den Kopf gesetzt, ein mittelalterliches Katapult nachzubauen, mit dem 200 Kilo schwere Steine geschleudert werden konnten. Ich habe sogar schon Pläne gezeichnet, bin dann aber draufgekommen, dass bei so einem Projekt 90 Prozent der Zeit auf den Bau und nur zehn Prozent auf das Schießen entfallen“, erzählt Sam.
Weil ihm dieses Verhältnis von Arbeit und Spaß nicht zusagte, stieg er von der Riesen- auf die Mini-Variante um: eine einfache Steinschleuder. „Die erste Schleuder hab ich in einer halben Stunde gebaut. Allerdings habe ich mich in die Materie anhand von Hunderten Publikationen eingelesen“, erklärt Sam, den von Anfang an die archaische Einfachheit der Schleuder im Gegensatz zu seinem Hightech-Job faszinierte.
Wie David und Goliath
Dass diese Schleuder-Geschichte eine Fortsetzung fand, ist einer Bekannten von Christian Sam zu verdanken. Die an der Universität Brünn in Tschechien tätig ist und Sam vorschlug, er solle die Wirkung einer Steinschleuder doch einmal im Rahmen experimenteller Archäologie im Urgeschichtemuseum MAMUZ in Mistelbach demonstrieren.
„Dass Schleudern seit der Frühzeit eine wichtige Rolle gespielt haben, ist bekannt. Jeder kennt die Geschichte von David und Goliath aus der Bibel. Es wurden auch Hunderttausende Geschoße aus der Antike gefunden, aber nur acht Schleudern haben sich erhalten“, erzählt Sam. Doch welche Wirkung die schlichte Kombination einer Schlinge mit einem Stein entwickeln kann, überraschte auch die Fachleute. „Die Archäologen haben unterschätzt, welche gewaltige Energie die Geschoße entwickeln können“, sagt Sam. Mit gekonnter Wurftechnik krachen die Steine oder Tonkugeln mit 300 Stundenkilometern ins Ziel.
Mit der Begeisterung fürs Schleudern wurden so „etliche Leute infiziert, sodass wir schließlich einen Verein gegründet haben“, erzählt Christian Sam.
Weltmeisterlich
So lag es für die begeisterten Schleuderer vom Verein „Schlingel Team Austria“ nahe, auch bei den Weltmeisterschaften teilzunehmen. „Nur ein Jahr habe ich pausiert, weil mein Sohn zur Welt gekommen ist“, sagt Sam lachend.
Rund 200 Teilnehmer aus 22 Nationen nahmen bei der WM 2021 auf den Balearen in Ibiza teil. Bei den Bewerben geht es um die Zielgenauigkeit. Sam war als Titelverteidiger im Einzel nach Spanien gekommen, der Weltmeister von 2020 errang diesmal Silber. Dafür konnte der Mannschaftsbewerb gewonnen werden – und nicht nur der. Christian Sam: „Die Konkurrenz ist stärker geworden, ich bin mit erstmalig Gold im Teambewerb für Österreich und Doppel-Silber im Einzel (Christian Sam, Gerhard Stüttler) sowie Doppel-Gold im Einzel (Uwe Pelzer, Channing Charpentier) sehr zufrieden. Das intensive Training im Sommer hat diese Leistung möglich gemacht“. Heuer hat übrigens auch eine Damenmannschaft teilgenommen und im Teambewerb gleich Silber geholt.
Die „Schlingel“ und Christian Sam geben ihr Können samt historischem Hintergrund gerne weiter. Wer Interesse an einem Probetraining, Gruppenunterricht, Klassenunterricht, einer Vorführung oder einem Vortrag hat, kann sich einfach per eMail unter Schlingel_Team_Austria@gmx.at melden.
Lange Tradition
Die Schleuder gehört zu den ältesten Waffen der Menschheit. Berühmt waren in der Antike die Schleuderer von den Balearen, wo die Tradition heute noch weiterlebt.
In Ibiza fanden heuer auch die Weltmeisterschaften statt. Geschleudert wird dabei mit Steinen und Tennisbällen auf eine Zielscheibe (Diane). Einen Punkt gibt es für einem Treffer auf dem Holzquadrat. Ein Treffer auf der runden Stahlscheibe in der Mitte der Diane zählt zwei Punkte
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