Der konstruierte Heilige

Spätestens wenn man sich in der Früh im Zug wundert, wo die ganzen Schüler stecken oder man vor dem verschlossenen Gemeindeamt steht, sollte klar sein: Es ist der 15. November. Zeit, dem Heiligen Leopold an seinem Feiertag ausführlich zu gedenken, bleibt aber nur Schülern, Beamten und vielen Bankangestellten, denn die haben frei. Und das auch nur in Niederösterreich – in Wien sind immerhin die Schulen geschlossen. Obwohl Leopold eigentlich seit 1663 Landespatron von ganz Österreich ist. Was aber steckt hinter dem Menschen Leopold, wie heilig war der Heilige?
„Über seine Person weiß man sehr wenig“, sagt Martin Haltrich, Historiker und Bibliothekar des Stiftes Klosterneuburg. „Aber gerade weil man so wenig weiß, war er eine tolle Projektionsfläche.“ Klar ist: Der 1073 geborene Markgraf trieb die Entwicklung von Ostarrichi gehörig voran, nicht zuletzt durch einige Klostergründungen (Klosterneuburg, Heiligenkreuz). Und machte die Babenberger „salonfähig“.
Leopold III. galt als kirchentreu
„Durch die Heirat mit der Kaisertochter Agnes ist er in den höchsten Reichsadel aufgestiegen, sie war sozusagen eine super Partie“, so Haltrich. Sogar Chancen auf den Königstitel hatte er, doch die Wahl lehnte er ab. Nicht aber, weil er vielleicht so bescheiden oder, wie oft behauptet, zu alt war, glaubt Haltrich: „Es hätte eher zu Problemen in der Nachfolge geführt, seine Söhne waren völlig zerstritten, sogar der Papst hat das angeprangert.“
Aber, so Haltrich: „Das sagt schon einiges über ihn aus. Er hatte eine gute Einschätzung, war besonnen, traf auch unpopuläre Entscheidungen.“ Und hatte auch kein Problem, seine Interessen durchzusetzen: Indem er etwa kurz vor der Entscheidungsschlacht von Kaiser Heinrich IV. zu dessen Sohn, dem späteren König Heinrich V., überlief. „Womit er seinen Schwiegervater verraten hat“, so Haltrich.
Der „Verrat“ mit Unterstützung der papsttreuen Partei brachte ihm aber den Ruf ein, kirchentreu zu sein und damit – fromm. „Die damaligen Geschichtsschreiber waren ja auch Geistliche. In den Melker Annalen von 1123 wird er als frommer und edler Markgraf beschrieben.“

Ältestes bekanntes Porträt Leopolds aus einer Handschrift von 1371
Leopold als Heiliger der Herrscher
Fromm ist aber nicht gleich heilig. Dazu braucht es noch etwas – Wunder! Die berühmte Schleierlegende aber ist erst 1371, also 250 Jahre nach dem Tod Leopolds, aufgeschrieben worden, betont Haltrich. Was vor allem im Interesse der mittlerweile regierenden Habsburger lag, die sich unter ihren Vorgängern einen Heiligen wünschten, um diese „gottgewollte“ Tradition fortsetzen zu können. Mit viel guter Überredungskunst durch Kaiser Friedrich III. und „etwas Bauchweh“, so Haltrich, wurde Leopold 1485 heiliggesprochen.
„Leopold ist ein konstruierter Heiliger. Er war als Identifikationsfigur für die Herrscher wichtig, im Volk aber weniger populär“, sagt Haltrich. Leopolds Aufstieg war aber unaufhaltsam, 1663 machte ihn ausgerechnet Kaiser Leopold I. zum Landespatron. Und ersetzte damit Koloman, einen Heiligen der „alten Schule“, weil Märtyrer.
Zum 800. Todesjahr, 1936, erwachte wieder besonderes Interesse an Leopold. Schädelvermessungen wurden durchgeführt, um das Aussehen zu rekonstruieren. „Nach Wegfall der Monarchie und des Kaisers war er als Landesvater, als gütiger und milder Vater, gut brauchbar“, so Haltrich. Eine Rolle, die er gerade bei der älteren Generation noch immer hat. Und er ist auch zum Symbol des Landes Niederösterreich geworden.
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