„Diese Flächen wurden nicht nur gerodet, sie wurden faschiert“, nimmt sich der Stockerauer Grünen-Gemeinderat Matthias Kubat kein Blatt vor den Mund. Drei Grundstücke in der Stockerauer Au sind eingezäunt, auf Schildern ist zu lesen: „Hier entsteht der Auwald der Zukunft!“ Auf 7.400 Quadratmetern hat die Stadt im vergangenen Herbst Sträucher und Totholz entfernt, der Boden wurde mit einer Maschine umgegraben. Stattdessen wurden neue Bäume in Reih und Glied gepflanzt.
Flächenvorbereitungsmaßnahmen, wie es aus dem Büro der Bürgermeisterin heißt. „Diese Maßnahmen sind notwendig, um langfristig einen nachhaltigen Baumbestand mit standorttypischen und robusten Arten gewährleisten zu können“, erklärt ÖVP-Stadtchefin Andrea Völkl. Und die Arbeiten seien genehmigt, ja sogar gefördert worden: von der Bezirksforstinspektion, durch den „Österreichischen Waldfonds“ und durch die niederösterreichische Naturschutzbehörde.
Doch Forstrecht entspricht nicht automatisch den Natura 2000-Vorgaben – und ist diesen als nationales Recht zudem untergeordnet. Daran stören sich auch einige Stockerauer Bürger, die nun mit den Grünen und der Umweltorganisation Pro Thayatal bei der EU-Kommission Beschwerde eingereicht haben. Ein Gutachten besagt, dass die Stadt in der Au gegen EU-Richtlinien verstoßen habe. Denn: „Es hätte hier eine Naturverträglichkeitsprüfung gebraucht“, ist Kubat sicher.
Dazu heißt es vom European Network of Environmental Law Organizations: „Hat ein Vorhaben erhebliche nachteilige Auswirkungen auf dieses Gebiet (Anm.: Natura 2000-Gebiet), werden Vorsorgemaßnahmen zur Verhinderung dieser Auswirkungen angeordnet. Ohne Naturverträglichkeitsprüfung kann ein Projekt oder Plan nicht genehmigt werden.“
Welche Konsequenzen man sich von der Beschwerde erwarte? Für die Stadt werde es wohl keine geben, bleibt Rechtsanwältin Fiona List realistisch. Aber sie und die Stockerauer hoffen, ein Umdenken bei Politik und Behörden herbeiführen zu können. „Meine Mandanten fordern nur, dass das Gesetz eingehalten wird. Nicht mehr, nicht weniger.“
Darauf pocht auch die Umweltorganisation Global 2000: In den Natura 2000-Gebieten Kamp- und Kremstal sowie Strudengau-Nibelungengau ist es zu massiven Abholzungen gekommen – ebenfalls ohne Naturverträglichkeitsprüfung. Rechtliche Schritte wurden eingeleitet, das Handwerkszeug ist aber begrenzt. Umweltorganisationen haben laut NÖ Naturschutzrecht nämlich keine Möglichkeit, Naturverträglichkeitsprüfungen zu beantragen. Ein weiterer Punkt, in dem die gängige Praxis EU-Bestimmungen widerspreche, denn die Aarhus-Konvention sieht eine Beteiligung der Öffentlichkeit bei Umweltangelegenheiten vor.
Seitens der Landesabteilung Naturschutz stellt Sandra Klingelhöfer klar: „Die Ausweisung einer Fläche als Natura 2000 Gebiet schließt nicht von vornherein jegliche Nutzung aus“ – auch eine forstwirtschaftliche nicht. Im Fall von Stockerau sehe die Verordnung über die Naturschutzgebiete zudem Ausnahmen für forstliche Maßnahmen vor.
Derzeit laufe ein Ermittlungsverfahren. Es gilt zu prüfen, ob für die Maßnahmen in der Au eine naturschutzbehördliche Bewilligung erforderlich gewesen wäre – und im Zuge dessen auch, ob EU-Richtlinien verletzt wurden. Die Schlägerungen, die Global 2000 kritisiert, werden ebenso geprüft. „Die bloße Tatsache der Durchführung von Fällungen in Natura 2000-Gebieten“ würde aber nicht bedeuten, dass es eine behördliche Bewilligung erforderlich gewesen wäre, so Klingelhöfer.
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