Armut in NÖ: Die Entscheidung zwischen Essen und Heizen
Punkt 14.30 Uhr an einem Dienstag im November füllt sich der Raum im Gemeindehaus der Evangelischen Pfarre Mödling. Die ersten Gäste treffen zu Kaffee, Kuchen und einem Pläuschchen mit den freiwilligen Helfern wie Margit Eichmeyer oder Susanne Uhlirz ein. Auch Dieter nippt an seinem warmen Getränk. „Es ist schön, hier Kontakt zu Menschen zu haben“, sagt er.
Das „Plaudertischerl“, das Anfang des Jahres ins Leben gerufen wurde und alle zwei Wochen stattfindet, ist mittlerweile ein fixer Treffpunkt für Menschen mit Gesprächsbedarf und schmaler Geldbörse. Ab Dezember kommt auf die Einrichtung eine neue Aufgabe zu: Sie wird zur ersten Wärmestube in NÖ. Und das ausgerechnet im vermeintlich reichen Speckgürtel.
Neben Kuchen wird dann alle zwei Wochen ab 12 Uhr auch eine warme Mahlzeit ausgegeben. Hier sollen Menschen in schwierigen Lebenssituationen einen warmen Ort und ein offenes Ohr finden. Für Dieter ein willkommenes Angebot. Schon jetzt heize er jene Räume nicht mehr, die er nicht nutze, erzählt der 47-Jährige. „Nachts drehe ich überhaupt ab.“ Eine warme Mahlzeit ab und zu erleichtere seine Situation.
Die Energiekosten-Krise und die Teuerungswelle bereitet immer mehr Menschen Sorgen. 13,2 Prozent der 1,7 Millionen Niederösterreicher waren bereits 2021 armutsgefährdet. Aktuell sind 45.000 Kinder und Jugendliche von Armut betroffen. Die Armutsgefährdungsschwelle liegt bei einem Ein-Personen-Haushalt bei 1.371 Euro. „Ich glaube, dass es auch in Mödling viele Menschen geben wird, die ihre Heizkosten nicht mehr stemmen können. Viele werden daran zerbrechen“, malt Pfarrer Markus Lintner, in dessen Gemeindezentrum die Wärmestube untergebracht wird, ein düsteres Bild.
Mitte der Gesellschaft betroffen
Zunehmend hat auch die sogenannte Mittelschicht mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Bis Oktober hat sich die Zahl jener Menschen, die sich an die Caritas Sozialberatung wandten, im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Im Bezirk Mödling baten drei Mal so viele Menschen um Hilfe, wie noch vor fünf Jahren.
Unterstützung
Die Sozialberatungsstellen der Caritas unterstützen Menschen in existenziellen Notlagen. Anmeldung ist erforderlich. Die Wärmestube im evangelischen Gemeindehaus in Mödling öffnet ab 13.12. jeden 2. Dienstag von 12 bis 16.30 Uhr
Gutes tun
Bei den soogut-Sozialmärkten freut man sich über Hygieneprodukte (Waschmittel, Duschgel, Zahnpasta - und bürste, Windeln, Tampons, Binden, Klopapier), über Grundnahrungsmittel (Nudeln, Reis, Mehl, Zucker, Öl, Essig) sowie Konserven
„Es fragen Menschen an, die nie gedacht hatten, dass sie sich an die Caritas wenden müssen. Jetzt geht es sich nicht mehr aus“, erzählt Sozialberaterin Ulrike Oforha. Und bei jenen, die punktuell Unterstützung benötigt hätten, etwa zu Schulbeginn oder bei größeren Ausgaben, reichen kurzfristige Hilfen nicht mehr.
„Mittlerweile sind wir ratlos, weil auch einmalige Zahlungen der Bundesregierung nicht mehr reichen. Die Leute können sich dauerhaft ihre Lebenserhaltungskosten nicht mehr leisten.“ Einsparen könnten die Betroffenen nichts mehr.
Es sind vielfach Menschen in niedrig qualifizierten Jobs, Kranke oder Alleinerziehende und Pensionisten, die sich an die Sozialberatung wenden. Aber auch Frauen in Teilzeit, etwa im Handel, kommen mit ihrem Gehalt nicht mehr aus.
Lange Schlangen vor Sozialmärkten
Auch bei den Sozialmärkten werden die Schlangen immer länger. Rund 43.000 Menschen – etwa 30 Prozent mehr als noch im Vorjahr – kaufen mittlerweile bei den soogut-Sozialmärkten in NÖ und dem Burgenland ein. Und die 35 Team Österreich Tafeln versorgten bereits im September um 69 Prozent mehr Haushalte als noch im Jänner, , wie Hannes Buxbaum, Landesdirektor Gesundheits- und Soziale Dienste, Rotes Kreuz Niederösterreich erklärt. Das sind 2.530 Familien mit 7.500 Kindern.
Bei den Sozialläden des Roten Kreuz in Klosterneuburg und Baden, hat sich die Kundenanzahl fast verdoppelt. Die Caritas-Lebensmittelausgaben in Mödling und Schwechat verteilten heuer 1.774 Lebensmittel-Pakete aus.
Doch oft reicht nicht einmal das. „Wir merken, dass es mittlerweile Leute gibt, die trotz der Sozialmärkte nicht mehr über die Runden kommen“, sagt Ulrike Oforha.
Andere Menschen wiederum können die Sozialmärkte und Lebensmittelausgaben gar nicht erreichen. Denn anders als in Wien gibt es in Niederösterreich keinen Sozialtarif für die Öffis. Gerade am Land könnten sich Menschen die Fahrt zum Vorstellungsgespräch, zum Arzt oder eben zum Sozialmarkt gar nicht mehr leisten, berichtet Oforha. „Hier bräuchten wir einen Sozialtarif oder ganz günstige Monatskarten.“
Bessere Absicherung
Die Caritas sieht auch die Politik in der Plicht. So müssten die Ausgleichszulage und Sozialleistungen dringend angehoben werden. Derzeit sind 391 Euro als Wohnbedarf vorgesehen. „Solche Wohnungen gibt es schon lange nicht mehr. Und es gibt Menschen, die mittlerweile 150 bis 200 Euro Energiekosten zahlen. Ich habe mit einer Mutter telefoniert, die traut sich nicht mehr die Heizung einzuschalten.“
Die Menschen hätten Angst, Depressionen, könnten nicht mehr schlafen. „Sie wissen weder ein noch aus und sind völlig verzweifelt", sagt auch Caritas-Direktor Klaus Schwertner. Jeder neunte Haushalt könne seine Fixkosten nicht mehr decken.
Zudem gehöre aus Sicht von Sozialberaterin Oforha die Wohnbeihilfe reformiert. Aktuell würde sie nur Menschen in geförderten Wohnungen erhalten. Und: Beziehe man aber Sozialhilfe, werde die Wohnbeihilfe davon wieder abgezogen. Das gehöre geändert. „Damit würde sich die Situation für die Leute enorm entspannen.“
Zurück in Mödling können die Freiwilligen des "Plaudertischerl" noch nicht abschätzen, wie viele Menschen die neue Wärmestube aufsuchen werden. Im Wiener Umland sei die Armut versteckter, doch Bedarf sei da, sind sie überzeugt. „Auch hier gibt es Menschen, die vielleicht abwägen müssen, ob sie heizen oder etwas essen“, befürchtet Uhlirz.
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