Armut in Niederösterreich: „Es reicht nicht mehr zum Leben“
„Ich habe Angst vor der nächsten Gasrechnung.“ Sätze wie diese hören Sozialberater der Caritas in Niederösterreich immer öfter, wie Teamleiterin Ulrike Oforha erzählt: „Früher konnten wir meistens noch irgendeine Lösung finden, um den Betroffenen zu helfen, ihre Fixkosten doch selbst decken zu können. In den letzten Monaten kommt es aber immer häufiger vor, dass auch wir ratlos sind.“ Eine steigende Zahl von Niederösterreichern kann die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens wie Essen und Wohnen nicht mehr finanzieren.
Wie Gabriela Zimba. „Ich stehe oft im Geschäft und muss mich entscheiden, ob ich heute Brot oder Milch kaufe“, erzählt die dreifache Mutter aus dem südlichen Niederösterreich. Sie weiß, was es bedeutet, weniger Geld zur Verfügung zu haben, als man monatlich benötigt. In einer Wohnung mit Schimmel an den Wänden zog sie ihre Kinder alleine groß, nachdem der Vater die Familie im Stich gelassen hatte. Unter dem Existenzminimum, zeitweise ohne Heizung oder warmes Wasser.
Depressionen
Als ihre Verschuldung am Arbeitsplatz bekannt wurde, verlor Zimba ihre Beschäftigung. Arbeitslosengeld und Notstandshilfe reichten nicht aus, um über die Runden zu kommen. „Inzwischen ist die Situation ein bisschen besser, weil ich in Pension bin und ungefähr 1.100 Euro monatlich bekomme“, berichtet sie. „Zum Leben reicht das aber auch nicht mehr.“ Wie eine dringend benötigte Zahnkorrektur finanziert werden soll, wisse sie nicht. Selbst die Kosten für Fahrten zu ihrer Mutter nach Wien, die von Gabriele Zimba gepflegt wird, seien eine massive Belastung.
Die jahrelangen Existenzängste haben die Frau gezeichnet, sie leidet unter Depressionen und anderen Erkrankungen. „Man wird als Schmarotzer stigmatisiert und vorverurteilt. Sogar von der eigenen Familie“, spricht sie aus Erfahrung. Ihr Antrag auf Invaliditätspension sei erst nach sechs Gutachten, für die sie von St. Pölten bis ins Piestingtal geschickt wurde, bewilligt worden. Wie generell das Prozedere für finanzielle Unterstützungen eine weitere Hürde darstelle, klagt sie. „Wenn du immer wieder die Rückmeldung bekommst, dass noch etwas nachgereicht werden muss und sich das Ganze über viele Monate hinzieht, gibst du irgendwann auf“, sagt Zimba. Kleidung für ihre Kinder habe sie auf Pfarrflohmärkten oder in Sozialläden gesucht.
Wie in ihrer Familie seien immer mehr Kinder akut von Armut betroffen, schlägt auch das Rote Kreuz Alarm, das aktuell 7.500 Unter-18-Jährige in Niederösterreich betreut. „Sie sind vom sozialen Leben weitgehend ausgeschlossen“, betont Hannes Buxbaum, Leiter der sozialen Dienste des Roten Kreuzes NÖ, „ob das nun Schulveranstaltungen sind, ein Kinobesuch mit Freunden oder das Erlernen eines Instruments.“
Reformen gefordert
Das Armutsnetzwerk NÖ, in dem zahlreiche Hilfsorganisationen ihre Bemühungen bündeln, fordert dringend eine Reform der Sozialhilfe und der Wohnbeihilfe im Land. „Das Antiteuerungspaket der Bundesregierung beinhaltet Einmalmaßnahmen. Wir brauchen aber strukturelle Verbesserungen, die langfristig helfen“, appelliert Barbara Bühler, Koordinatorin des Netzwerkes. So sei man etwa für eine Wiedereinführung von Mindestsätzen – statt wie derzeit Höchstbeträgen – bei der Sozialhilfe. „Diese müssen sich an realen Kosten orientieren und über der Armutsgefährdungsschwelle (siehe Artikel rechts) liegen“, so Bühler. Auch dass derzeit die vom Land gewährte Wohnbeihilfe mitunter vom Wohnkostenanteil der Sozialhilfe abgezogen werde, sei dringend reformbedürftig.
Im Büro von Wohnbau-Landesrat Martin Eichtinger (ÖVP) verspricht man: „Wir analysieren die Situation gerade sehr genau, um herauszufinden, wie wir die Betroffenen noch effizienter unterstützen können.“
Der tägliche Kampf ums Überleben
Die Armutsgefährdungsschwelle (60 Prozent des Medianeinkommens) lag laut Statistik Austria im Jahr 2021 bei 1.371 Euro für einen Einpersonenhaushalt. Für Familien mit drei Kindern unter 14 Jahren bei 3.291 Euro. Die Schuldnerberatung hat berechnet, dass pro Person 1.459 Euro benötigt werden, um notwendige Kosten zu decken.
Dem gegenüber stehen die Richtsätze für Sozialhilfe in Niederösterreich: 978 Euro für den Einpersonenhaushalt und 1.809 Euro für die fünfköpfige Familie.
Diese Zahlen bedeuten für Betroffene einen täglichen Kampf ums Überleben.
Die Zahl der von der Team Österreich Tafel des Roten Kreuzes mit den notwendigsten Gütern des täglichen Lebens versorgten Haushalte in Niederösterreich ist seit Jahresbeginn um mehr als 60 Prozent von 1.500 auf 2.500 gestiegen. „12 Prozent der Menschen in diesem Land sind armutsgefährdet“, sagt Hannes Buxbaum, Landesdirektor der Sozialen Dienste des Roten Kreuzes. „Besonders betroffen sind ältere Menschen, alleinerziehende Frauen und Familien mit mehr als drei Kindern.“
Bitte um Spenden
Und die Situation werde sich „noch massiv verschlimmern“, befürchtet er in Hinblick auf die bevorstehenden weiteren Kostensteigerungen bei Strom und Gas. Man benötige daher dringend Unterstützung in Form von Warenspenden: „Wir suchen Großspender.“
Das Rote Kreuz hilft mit 35 Team Österreich Tafeln und zwei Sozialläden in Niederösterreich, wo Menschen versorgt werden, die sich den Kauf von Lebensmitteln sonst nicht leisten können.
Barbara Bühler, Obfrau des NÖ Armutsnetzwerkes, fordert außerdem eine Anlaufstelle für medizinische Behandlungen von Personen ohne Versicherung sowie Beratung und psychosoziale Versorgung für armutsgefährdete Kinder und Jugendliche.
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