Kaiser Karl der Erste (und Letzte)
Man schrieb den 9. März 1922, als Ex-Kaiser Karl sich von der Villa Quinta do Monte in Madeira auf den einstündigen Fußweg nach Funchal machte, um seinem Sohn Karl-Ludwig zum vierten Geburtstag ein paar Spielsachen zu kaufen. Seine Frau Zita wollte Karl beim Weggehen einen Mantel umhängen, doch er lehnte ab, weil es ohnehin warm sei. Ein fataler Fehler, denn als er den Heimweg antrat, war es bitterkalt. Karl Habsburg-Lothringen, Österreichs letzter Kaiser, zog sich eine doppelte Lungenentzündung zu und starb im Alter von nur 34 Jahren.
Fünfeinhalb Jahre davor hatte er ein schweres Erbe angetreten. Kaiser Franz Joseph hatte für immer seine Augen geschlossen und hinterließ ihm ein Reich, das einen Krieg von nie dagewesenem Ausmaß führte. Außerdem galt es, die Nachfolge eines Monarchen zu übernehmen, der populär war wie kein anderer Herrscher zuvor.
Erzherzog Carl Franz Josef war am 17. August 1887 als Sohn des „schönen Otto“, wie der jüngere Bruder des späteren Thronfolgers Franz Ferdinand genannt wurde. auf Schloss Persenbeug an der Donau zur Welt gekommen und verlor seinen Vater – der für seine zahllosen Liebschaften berühmt war – bereits mit 19 Jahren. Karl studierte in Prag Rechtswissenschaften und war damit „der erste Akademiker“ in der langen Regenten-Liste des Hauses Habsburg.
Keiner rechnete mit Karl
Bis zur Ermordung seines Onkels Franz Ferdinand, am 28. Juni 1914 in Sarajewo, stand Erzherzog Karl in keiner Weise im Blickpunkt des öffentlichen Interesses, da kaum jemand annahm, dass er in absehbarer Zeit zu Thronfolger-Ehren gelangen würde.
Doch jetzt sah Franz Joseph in Karl einen „vollwertigen“ Nachfolger, was bei Franz Ferdinand – vor allem durch dessen morganatische Ehe mit der Gräfin Chotek – nicht der Fall gewesen war. Zwischen dem alten Kaiser und Karl herrschte gutes Einvernehmen, das die Gemahlin des Thronfolgers, Zita, einzufädeln verstand, von der es hieß, dass sie in dieser Ehe „die Hosen anhatte“. Schon bald nach Sarajewo soll Franz Joseph zu Karl gesagt haben: „Auf dich kann ich mich verlassen.“
Nähe zu Franz JosephIm Frühjahr 1915 übersiedelten Karl und Zita mit damals drei Kindern von Schloss Hetzendorf nach Schönbrunn. Auf diese Weise konnte dem greisen und einsam gewordenen Franz Joseph in seinem letzten Jahr so etwas wie Familienleben geboten werden. Seine Zuneigung hatte er schon 1911 gezeigt, als er zu Gast bei Karls und Zitas Hochzeit gewesen war – im Gegensatz zu Franz Ferdinands Eheschließung, der er fernblieb.
Allgemein fiel bei Karl „sympathische Zurückhaltung“ auf. Im Gegensatz zu Franz Ferdinand, der dem Kaiser oft schroff entgegengetreten war, verhielt sich dessen Nachfolger als Thronerbe Franz Joseph gegenüber höflich und bescheiden.
Neuer Thronfolger
Als Karl nach Franz Ferdinands Tod zum Thronfolger aufrückte und sich über seine kommende Regentschaft Gedanken machte, erkannte er, dass vieles im Regierungsstil des alten Kaisers unzeitgemäß geworden war, was er seinen Großonkel nicht spüren ließ. Dennoch band der den künftigen Nachfolger nie in politische Entscheidungen ein.
Nach Kaiser Franz Josephs Tod am 21. November 1916 trat Karl sein Erbe mit dem unbedingten Willen an, den drohenden Untergang der Monarchie zu verhindern. Als ich Otto Habsburg einmal in einem Interview fragte, ob sein Vater wirklich alles getan hätte, um den Krieg so rasch wie möglich zu beenden, antwortete er: „Er hat es versucht. Leider ist ihm der Erfolg nicht vergönnt gewesen. Denn als er Kaiser wurde, war’s bereits zu spät. Vielleicht hätte er etwas verändern können, wenn er früher drangekommen wäre.“
Auf den Hinweis, dass Karl oft als schwach und weltfremd bezeichnet wurde, erwiderte Otto: „Beides war er nicht, er hat in schweren Zeiten Mut gezeigt. Er hatte eine Aufgabe zu bewältigen, die fast unlösbar gewesen ist. Ich würde es nicht weltfremd nennen, er selbst hat ganz richtig die eigenen Chancen als gering beurteilt.“
Dass er den Frieden wollte, hat Karl mit der sogenannten „Sixtus-Affäre“ bewiesen, die freilich vollkommen aus dem Ruder lief: Kaiser Karl I. nahm im Frühjahr 1917 über seinen Schwager Prinz Sixtus geheime Friedensverhandlungen mit Frankreich auf. Als die aufflogen, war das Verhältnis zum deutschen Bündnispartner schwer beschädigt.
Drei große ZieleDer Historiker Manfried Rauchensteiner meint, dass sich Kaiser Karl „unendlich viel vorgenommen, aber nichts davon erreicht hat. Er hatte drei große Ziele, um die Monarchie zu retten: 1. So rasch wie möglich Frieden. 2. Das Bündnis mit Deutschland beenden oder zumindest reduzieren und 3. Das Reich reformieren. Alle drei Ziele hat er nicht nur nicht erreicht, er ist kläglich daran gescheitert.“
Die Seligsprechung
Kaiser Karl der Erste (und Letzte) überlebte die Monarchie um nur drei Jahre. Nachdem er am 11. November 1918 unter dem Druck seiner eigenen Minister in Schönbrunn auf jeden Anteil der Staatsgeschäfte verzichtet hatte, fuhr er mit seiner Familie zunächst in die Schweiz, von wo aus er den ungarischen Thron durch zwei Restaurationsversuche retten wollte. Nach dem Misslingen ging er ins Exil nach Madeira, wo er vor 100 Jahren, am 1. April 1922, starb.
Seiner Witwe hinterließ Karl acht Kinder, wobei die jüngste Tochter erst nach seinem Tod geboren wurde. Ex-Kaiserin Zita überlebte ihren Mann um 67 Jahre.
Im Jahr 2004 wurde Karl von Papst Johannes Paul II. als „Friedenskaiser“ seliggesprochen.
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