Der letzte große Zeitzeuge

Der letzte große Zeitzeuge
KURIER-Kolumnist Georg Markus über seine Begegnungen mit dem Kaisersohn Otto Habsburg.

Ich war drei oder vier Jahre alt", erzählte Otto Habsburg, "als ich in Begleitung meiner Mutter in die Hofburg ging, um Kaiser Franz Joseph zu besuchen, und der Eindruck, den er mit seinem weißen Bart und der Uniform auf mich hinterließ, war enorm." Allein dieser Satz zeigt die Dimension eines Lebens, das von der Monarchie bis ins Internetzeitalter reichte. Er hat vieles hautnah miterlebt und mir in etlichen Gesprächen einiges davon anvertraut.

Kein Kaiser

Wie schwer es wirklich für ihn war, nach 600 Jahren Habsburg nicht Kaiser geworden zu sein, werden wir nie erfahren. Er selbst hat das sicher prägendste Ereignis seines Lebens, als ich ihn danach fragte, so beschrieben: "Wissen Sie, eine Krone zu tragen, ist eine so furchtbare Aufgabe, dass man sie wohl als Verpflichtung annehmen würde. Aber wünschenswert ist so etwas nicht. Ich muss Ihnen daher ehrlich sagen, ich bin mit dem Leben, wie ich es führe, weitaus glücklicher, als ich es im anderen Fall gewesen wäre."

Dann schmunzelte er und fügte hinzu: "Es hat noch einen Vorteil, kein Kaiser zu sein. Wenn ich heut einen besonders dummen Menschen sehe, kann ich ihn einen Esel nennen. In der Rolle als Kaiser hätte ich vielleicht Exzellenz zu ihm sagen müssen."

Dass er Humor hatte, gehörte vielleicht nicht zu den Eigenschaften, die man im ersten Moment vermutet hätte, aber manchmal neigte er zu pointierten Aussagen. Allerdings boten die großen Themen seines Lebens wenig Anlass zu Heiterkeit. Natürlich versuchte er stets die historische Bedeutung der Monarchie zu würdigen, er hatte aber auch Verständnis für eine kritische Auseinandersetzung. Als ich ihn fragte, ob Kaiser Franz Joseph nicht die Unterschrift hätte verweigern müssen, die zum Ersten Weltkrieg führte, sagte er offen: "Sicher, jeder Mensch, der handelt, begeht Fehler. Man muss zugeben, dass 1914 eine andere Politik gegen Serbien zielführender gewesen wäre." Eines könne er mit Bestimmtheit sagen: "Mein Vater, Kaiser Karl, wäre nicht in diesen Krieg gezogen, und zwar trotz des massiven Drucks der Öffentlichkeit. Er hätte es sicher nicht zum Ersten Weltkrieg kommen lassen."
"
Woher wissen Sie das?", fragte ich nach. "Meine Mutter, Kaiserin Zita, hat mir erzählt, dass mein Vater die Situation als fatale Entwicklung, die zur Katastrophe Österreichs führen musste, betrachtet hat. Und zwar schon am Tag der Kriegserklärung."

Alter Herr

Um seinen Urgroßonkel, Franz Joseph, besser verstehen zu können, führte Habsburg noch an, "dass er in dem Moment doch ein sehr alter Herr war, der dem Druck seiner kriegsbegeisterten Umgebung ausgesetzt war."

Kritik

"Wenn Sie sagen, der Kaiser war ein alter Herr", erwiderte ich, "dann ist das doch eine Kritik an der Institution der Monarchie, denn das demokratisch gewählte Oberhaupt einer Republik hätte mit 84 Jahren wohl kaum über Krieg und Frieden zu entscheiden gehabt."

"Auch in einer Republik regieren Gott sei Dank alte Leute", ließ er sich nicht aus der Fassung bringen. "Aber mein Vater hat dann alles versucht, den Krieg zu beenden, nur war es leider schon zu spät. Vielleicht hätte er etwas verändern können, wenn er früher drangekommen wäre, aber das sind natürlich Spekulationen, Sandkastenspiele der Geschichte."

An seinen Vater, der 1922 mit 34 Jahren an einer Lungenentzündung auf Madeira verstorben war, konnte er sich gut erinnern, "allerdings bin ich ihm erst im Exil wirklich nahe gekommen, da er während des Krieges meist an der Front war. In den letzten Wochen seines Lebens hat er dann versucht, mich in sei-ne Gedanken einzuführen. Er war gütig, ausgeglichen und ein tiefgläubiger Mensch."

Weltfremd

Dass Kritiker seinen Vater auch als schwach und weltfremd bezeichneten, ließ Otto Habsburg so nicht gelten: "Wissen Sie, er hatte eine Aufgabe zu bewältigen, die fast unlösbar gewesen ist, er selbst hat die eigenen Chancen ganz richtig als extrem gering beurteilt. Also weltfremd war er nicht."

Als ich ihn ein ander Mal fragte, ob er der Monarchie nachweinte, sagte Habsburg: "Ich habe der Republik eine Loyalitätserklärung abgegeben, an die halte ich mich. Und das war richtig so, denn ohne sie hätte ich meine ganze europäische Arbeit nicht machen können."
Auf die Frage, ob er das Kapitel Monarchie ein für alle Mal für beendet hielt, ließ er sich noch ein Schlupfloch offen: "Da bin ich zu sehr Historiker, um irgendetwas je als abgeschlossen zu betrachten. Monarchien und Republiken haben einander immer wieder abgewechselt. Aber Habsburg ist nicht gleich Monarchie. Was mit meiner Familie ist, weiß ich nicht. Etwas anderes ist die Staatsform, die Monarchie als solche. Die kann wiederkommen."

Kapuziner

Im Herbst 1996 schrieb ich das Drehbuch zu einer ORF -Dokumentation über die Kapuzinergruft und bat Otto Habsburg zum Interview. Er erzählte von seinen Ahnen und auch von den Kapuziner-Mönchen, die die Begräbnisstätte der Habsburger seit Jahrhunderten betreuen. Als die Scheinwerfer dann abgedreht waren, sagte er, dass er gar nicht gerne in die Kapuzinergruft ginge.

Warum, wollte ich wissen. "Wissen Sie", lächelte Otto Habsburg, "immer wenn ich dort hinkomme, habe ich den Eindruck, die Patres schauen mich ganz genau von oben nach unten an, um schon einmal Maß zu nehmen - für später dann!"
Es war wieder einer der Momente, in denen er seinen Humor zeigte.

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