Einen solchen Zeitzeugen wird man nie wieder finden. Otto Habsburg wurde als Kind noch von Kaiser Franz Joseph empfangen, er war Thronfolger Österreich-Ungarns, hat die Krönung seines Vaters miterlebt, aber auch den Zusammenbruch der Monarchie und zwei Weltkriege. Er hat sich offen gegen Hitler gestellt und war Abgeordneter im Europäischen Parlament. Otto Habsburg, der beinahe ein Jahrhundert erlebt hat, ist heute vor zehn Jahren gestorben. Meine Erinnerungen an einige Begegnungen mit ihm.
Zwei Jahre Thronfolger
„Als ich drei Jahre alt war, habe ich in Begleitung meiner Mutter den alten Kaiser Franz Joseph in der Hofburg besucht“, erzählte er. „Der Eindruck, den er mit seinem weißen Bart und der Uniform auf mich hinterließ, war enorm.“ Ein Jahr später war Franz Joseph tot, Ottos Vater wurde als Karl I. Kaiser und er selbst Thronfolger. Jedoch nur für zwei Jahre, dann war’s vorbei mit der Donaumonarchie.
Wie schwer es tatsächlich für ihn war, nach 600 Jahren Habsburg als erster Thronfolger nicht Monarch geworden zu sein, werden wir wohl nie erfahren. Er selbst hat es so beschrieben: „Wissen Sie, eine Krone zu tragen, ist eine so furchtbare Aufgabe, dass man sie wohl als Verpflichtung annehmen würde. Aber wünschenswert ist so etwas nicht. Ich muss Ihnen daher ehrlich sagen, ich bin mit dem Leben, wie ich es führe, weitaus glücklicher, als ich es im anderen Fall gewesen wäre.“
Dann schmunzelte er und fügte hinzu: „Es hat noch einen Vorteil, kein Kaiser zu sein. Wenn ich heut’ einen besonders dummen Menschen sehe, kann ich ihn einen Esel nennen. In der Rolle als Kaiser hätte ich vielleicht Exzellenz zu ihm sagen müssen.“
Eine andere Politik
Dass er Humor hatte, gehörte vielleicht nicht zu den Eigenschaften, die man im ersten Moment vermutet hätte, aber manchmal neigte er zu pointierten Aussagen. Allerdings boten die großen Themen seines Lebens wenig Anlass zu Heiterkeit. Natürlich versuchte er stets die historische Bedeutung der Monarchie hervorzuheben, er hatte aber auch Verständnis für eine kritische Auseinandersetzung. Als ich ihn fragte, ob Franz Joseph nicht die Unterschrift hätte verweigern müssen, die zum Ersten Weltkrieg geführt hat, antwortete er: „Sicher, jeder Mensch, der handelt, begeht Fehler. Man muss zugeben, dass 1914 eine andere Politik gegen Serbien zielführender gewesen wäre.“ Eines könne er dazu aber mit Bestimmtheit sagen: „Wäre mein Vater bereits Kaiser gewesen, hätte er diesen Krieg nicht begonnen, weil er die Situation als fatale Entwicklung, die zur Katastrophe Österreichs führen musste, betrachtet hat. Und zwar schon am Tag der Kriegserklärung.“
Dennoch bat er um Verständnis für seinen Ur-Großonkel Franz Joseph: „Er war in dem Moment doch ein sehr alter Herr, der dem Druck seiner kriegsbegeisterten Umgebung ausgesetzt war. Kaiser Karl hat dann alles versucht, den Krieg zu beenden, nur war es leider schon zu spät.“
An seinen Vater, der 1922 mit 34 Jahren auf Madeira an einer Lungenentzündung verstarb, konnte sich Habsburg gut erinnern, „allerdings bin ich ihm erst im Exil wirklich nahegekommen, da er während des Krieges meist an der Front war. In den letzten Wochen seines Lebens hat er dann versucht, offensichtlich im Gefühl, dass er nicht mehr lange bei uns sein wird, mich in seine Gedanken einzuführen. Er war ausgeglichen, gütig und ein tiefgläubiger Mensch.“
Die Zeit zurückdrehen
Als ich Otto Habsburg ein anderes Mal fragte, ob er der Institution der Monarchie nachtrauere, meinte er: „Ich habe der Republik Österreich 1961 eine Loyalitätserklärung abgegeben, an die halte ich mich. Und das war richtig so, denn ohne sie hätte ich meine ganze europäische Arbeit nicht machen können.“
Dass er „froh“ war, nicht an die Macht gekommen zu sein, galt allerdings erst in seiner zweiten Lebenshälfte, denn als junger Mann träumte er sehr wohl davon, die Zeit zurückdrehen zu können. Noch im Frühjahr 1938 forderte er Bundeskanzler Schuschnigg auf, ihm angesichts der drohenden Nazi-Gefahr die Kanzlerschaft zu übertragen, was Schuschnigg ablehnte.
Wenige Tage danach marschierten deutsche Truppen in Österreich ein – wohl nicht ganz zufällig unter dem Decknamen „Unternehmen Otto“. Wenn es um den Nationalsozialismus ging, war Habsburg unerbittlich: Er war strikt gegen Hitler – und wurde nach dem „Anschluss“ in Abwesenheit wegen Hochverrats angeklagt. Die Nazizeit verbrachte er großteils in den USA.
Im Herbst 1996 schrieb ich das Drehbuch zu einer ORF-Dokumentation über die Kapuzinergruft und bat Otto Habsburg zum Interview. Er erzählte von seinen Ahnen und auch von den Kapuziner-Mönchen, die die Begräbnisstätte der Habsburger seit Jahrhunderten betreuen. Als die Scheinwerfer dann abgedreht waren, sagte er, dass er gar nicht gerne in die Kapuzinergruft ginge.
„Warum?“, fragte ich.
„Wissen Sie“, lächelte Otto Habsburg, „immer wenn ich dort hinkomme, habe ich den Eindruck, die Patres schauen mich ganz genau von oben nach unten an, um schon einmal Maß zu nehmen – für später dann!“
Die letzte Ruhe
Otto Habsburg hielt bis in sein hohes Alter Vorträge und schrieb Bücher, ehe er im Sommer 2009 über eine Treppe seines Hauses im bayerischen Pöcking stürzte und schwere Verletzungen erlitt, von denen er sich nicht mehr erholte.
Heute vor zehn Jahren, am 4. Juli 2011, ist er dann – ein Jahr nach seiner Frau Regina – im 99. Lebensjahr verstorben. Danach fand er als letzter Thronfolger Österreich-Ungarns in der Kapuzinergruft seine letzte Ruhe.
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