Wirtschaftskammer-Boss: "Energieunabhängigkeit bis 2030 ist unmöglich"
Der neue Wirtschaftskammerpräsident Andreas Wirth über ehrgeizige Ziele des Landes, den Mindestlohn und die Unverzichtbarkeit ungarischer Arbeitnehmer.
Der Steinbrunner Andreas Wirth (39) steht seit einem Monat an der Spitze der Wirtschaftskammer, die rund 20.000 Unternehmen vertritt.
KURIER: Ihr Vorgänger Peter Nemeth ist Autohändler, Sie führen neben einem Elektrobetrieb auch noch einen Dorfladen, sind also breit aufgestellt. Ein Kulturwandel auch in der Kammer?
Andreas Wirth: Ich bin sehr flexibel, versuche neue Wege zu gehen und kreativ zu sein. Nachhaltigkeit und Regionalität sind mir sehr wichtig. Ich möchte erreichen, dass man das auch in der Wirtschaftskammer lebt.
Vor 20 Jahren wären Sie wohl nie und nimmer Kammerpräsident geworden?
Meine Wahl ist auch ein Signal im 100-Jahr-Jubiläum: Die Kammer geht mit der Zeit.
Eine Tür haben Sie schon geöffnet und Harald Schermann zum neuen Kammerdirektor gemacht. Gibt es weitere personelle Änderungen?
Aktuell überarbeiten wir die Struktur der Kammer. Es wird wohl noch zwei oder drei überschaubare Anpassungen geben.
Ist die Kammer verstaubt?
Nicht verstaubt, aber vielleicht muss man zwei Mal drüberwischen, damit sie wieder glänzt. Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Regionalität sind wichtig, das soll sich auch im Aufbau der Kammer wiederfinden.
Als unzeitgemäß empfinden Kritiker die Kammerumlage. Gilt die 12-prozentige Senkung ab 2024 auch für burgenländische Betriebe?
Ja, selbstverständlich.
Bleiben wir beim Geld: Als Bundesinnungsmeister waren Sie oft bei Lohnverhandlungen der Metaller dabei. Aktuell fordert die Arbeitnehmerseite 11,6 Prozent mehr. Was würde das für Ihren Betrieb bedeuten?
Massive finanzielle Einbußen bei laufenden Aufträgen. Auch ich müsste wohl manche meiner 68 Mitarbeiter abbauen, weil die Firma das finanziell nicht schafft. Das BIP ist derzeit sehr schwach, wir stehen vor einer Rezession. Die Prognosen für die nächsten Monate sind nicht die besten. Die Wirtschaft kann das Geld für überbordende Lohnerhöhungen ja nicht stehlen.
Die 2,5 Prozent der Arbeitgeber sind aber auch nicht einzementiert, oder?
Meist trifft man sich in der Mitte. Ich halte sehr viel von der Sozialpartnerschaft, man wird einen gangbaren Weg finden.
Die Partnerschaft mit dem Land wurde zuletzt durch den Mindestlohn von derzeit rund 2.000 Euro netto in Landesbetrieben auf eine harte Probe gestellt.
Ich sehe den Mindestlohn sehr kritisch, das habe ich dem Landeshauptmann (Hans Peter Doskozil, SPÖ, Anm.) auch persönlich gesagt. Im Gegensatz zur Politik müssen private Unternehmen das Geld selbst erwirtschaften, das sie nachher ausgeben. Das betrifft auch Löhne und Gehälter. Jeder Unternehmer würde gerne mehr zahlen, wenn die Möglichkeit besteht. Die Frage ist nur, ob wir uns das leisten und die Mehrkosten ausgleichen können. Eine Lohnerhöhung um 30 Prozent würde zu einer katastrophalen Schieflage der Unternehmen führen. Übrigens gibt es auch Mitarbeiter, die gern mehr arbeiten wollen, um sich etwas aufzubauen. Für Überstunden muss es einen Steuerfreibonus geben, statt Mitarbeiter mit Steuern und Abgaben zu schröpfen.
Das Land gründet auch Gesellschaften, die Privaten Aufträge streitig machen könnten, im Wohnbau oder im Transportgewerbe.
Ich glaube, dass öffentlich finanzierte und gestützte Konkurrenz gegen die Privatwirtschaft im eigenen Land nicht gut ist. Eigentlich müssten Land, Politik und Wirtschaft zusammenarbeiten. Ich möchte diese Zusammenarbeit wieder aufbauen. Es geht auch um ein vernünftiges Verhalten und Agieren der Politik. Hier möchte ich meinen Beitrag leisten.
Glauben Sie, dass sich das Land die vielen Investitionen leisten kann?
Ohne die Bücher zu kennen, muss man davon ausgehen, dass es sich in der Landesholding nur mit Querfinanzierungen ausgehen kann.
Ihre Firma installiert viele Photovoltaikanlagen. Das Land möchte bis 2030 energieautark werden. Kann sich das ausgehen?
Unmöglich. Das hieße, 365 Tage im Jahr und 24 Stunden pro Tag autark zu sein. Wir sind aber auf einem guten Weg.
Dafür soll es ja die Stromspeicher geben, um Überschüsse in Zeiten ohne Wind und Sonne zu nutzen.
Ich habe noch keinen Speicher in dieser Größenordnung gesehen. Wir werden das Gas nicht ganz abschalten können, so ehrlich muss man sein.
Sind aus Ihrem Betrieb schon Mitarbeiter zum Land abgewandert?
Nein. Wenn das Umfeld passt, gibt‘s keine Abwanderung. Meine Mitarbeiter können von mir alles haben, wenn es die Umstände erlauben. Diese Menschlichkeit schätzen sie.
Gibt es in Ihrer Firma einen Betriebsrat und gab es im Zuge der aktuellen Lohnverhandlungen eine Betriebsversammlung?
Es gibt einen Betriebsrat, von Betriebsversammlungen hätte ich nichts mitbekommen. Das liegt vielleicht daran, dass der Betriebsrat merkt, dass die Firma in Ordnung ist und der Chef den Mitarbeitern wohlwollend gegenübersteht.
Sie haben nach Ihrer Wahl Lehrlingsausbildung und Facharbeitermangel als große Herausforderungen genannt. Warum?
Auch wenn es jetzt nicht so ausschaut, aber es werden wieder goldene Jahre kommen. Die großen Bauträger verschieben derzeit vielleicht Projekte um ein oder zwei Jahre. Aber nach dieser Konjunkturdelle werden wir wieder Hilfs- und Fachkräfte brauchen.
Und wie schaut es bei Fachkräften aus? Unter Rot-Blau sollte der Anteil ausländischer Arbeitnehmer sinken, stattdessen ist er gestiegen. Ohne ungarische Nachbarn würde es auf dem burgenländischen Arbeitsmarkt schlecht ausschauen, oder?
In meinem Betrieb kommen nur rund fünf Prozent der Fachkräfte aus Ungarn. Aber insgesamt würde die burgenländische Wirtschaft ohne ungarische Mitarbeiter nicht funktionieren. So ehrlich muss man sein. Ich würde das auch nicht schlechtreden, sondern positiv sehen. Denn das bedeutet ja auch, dass die Burgenländer gut versorgt sein dürften, sonst würden ja mehr auf den Arbeitsmarkt drängen. Es gibt etwa genug ungarische Reinigungskräfte, die um den Landes-Mindestlohn beim Land angestellt sind.
Ist das der Sinn der Sache?
Das muss man andere fragen.
Wären Sie dafür, dass Asylwerber von Anfang an arbeiten dürfen?
Auf jeden Fall. In Steinbrunn gibt es eine Flüchtlingsunterkunft, wo ich bisher nur gestandene Männer gesehen habe. Wenn sie schon hier sind und die Möglichkeit hätten sich zu betätigen, warum nicht.
Beim Empfang als neuer Kammerpräsident in Ihrer Heimatgemeinde ist aufgefallen, dass Sie keine Berührungsängste zu roten Politikern haben.
Wo ich hingehöre, ist ja kein Geheimnis. Aber ich bin allen politischen Parteien gegenüber offen und gesprächsbereit. Astrid Eisenkopf kenne ich seit dem Kindergarten. Als sie Landeshauptmannstellvertreterin wurde, habe ich als Tourismusobmann den Empfang für sie organisiert. Da kann man schon stolz sein, wenn die LH-Stellvertreterin aus der eigenen Ortschaft kommt. Im Gegenzug hat sie mit der Gemeinde den Empfang für mich organisiert.
Gibt‘s in der Familie einen Nachfolger für den Betrieb?
Ich habe drei Buben: 9, 11 und 13 Jahre. Der Älteste will Fleischhacker werden, der Mittlere zur Rettung. Da hat der Jüngste zu mir gesagt: ,Papa, dann bleibt mir nichts übrig, ich mach den Strom‘.
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