Fünf Jahre danach: Als 71 Flüchtlinge im Lkw ums Leben kamen
Es war ein heißer Spätsommertag, jener 27. August 2015, der ganz Europa veränderte. In einem weißen, unscheinbaren Kühllaster - abgestellt auf einem Pannenstreifen der Ostautobahn A4 bei Parndorf - wurden 71 Leichen entdeckt.
Vier Kinder, acht Frauen und 59 Männer waren in dem luftdicht abgeschlossenen Transporter qualvoll erstickt.
Das Thema Flucht, das man bisher meist nur aus dem Fernsehen kannte, ist an diesem 27. August 2015 auf grauenvolle Weise bei den Menschen in Österreich, in ganz Europa, angekommen.
An jenem 27. August trafen einander die damalige ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und der damalige Polizeidirektor Hans Peter Doskozil an der Grenze in Nickelsdorf. Thema waren die zunehmenden Fluchtbewegungen. Eine anberaumte Pressekonferenz an der Grenze wurde in letzte Minute abgesagt: Die Autobahnpolizei hatte den abgestellten Kühllaster auf der A4 bei Parndorf entdeckt.
Bei einem gemeinsamen Medientermin kurz darauf in Eisenstadt informierten die Innenministerin und der Polizeidirektor, dass in dem Lkw „zahlreiche Tote“ gefunden wurden. Die tiefe emotionale Betroffenheit war den beiden anzumerken. Am nächsten Tag stand fest, dass 71 Menschen aus dem Irak, dem Iran, Afghanistan und Syrien in dem Kühllaster gestorben waren. 71 Menschen waren auf rund 14 Quadratmetern zusammengepfercht gewesen.
Hilferufe ignoriert
Der Kühl-Lkw mit den 71 Flüchtlingen im Laderaum war bereits am 26. August 2015 gegen sechs Uhr in der Früh in Morahalom an der serbisch-ungarischen Grenze gestartet. Die Schlepper hatten den Wagen zuvor in Kecskemet gemietet. Der Laster hatte weder Lüftung noch Fenster, Sitzflächen und Haltegriffe im Laderaum. Die Tür zum Laderaum konnte nur von außen geöffnet werden. Ein 25-jähriger Bulgare lenkte das Schwerfahrzeug mit den 71 Menschen im Laderaum, ein 38-jähriger Landsmann fuhr voraus.
Schon nach kurzer Zeit hatten die Insassen kaum mehr Luft zum Atmen. Sie schrien um Hilfe, hämmerten gegen die Ladewand. Vergebens. Der Fahrer hatte die Anordnung, den Laderaum keinesfalls zu öffnen, wie er später bei der Gerichtsverhandlung aussagte. Beim Übertritt über die Grenze bei Nickelsdorf waren bereits alle Insassen tot, wie die Gerichtsmedizin später feststellte.
Lebenslang für Schlepper
Die Schlepper waren wenige Tage später gefasst. Elf Männer aus Afghanistan, Bulgarien und Libanon wurden angeklagt. Wie sich später herausstellen sollte, waren die ungarischen Ermittler den Schleppern bereits vor der Tragödie bei Parndorf auf den Fersen. Die Telefone der Verdächtigen wurden abgehört. Die Übersetzungen der Abhörprotokolle dauerten aber zu lange, um den qualvollen Erstickungstod der 71 Menschen zu verhindern.
Nach einem zweijährigen Prozessverfahren wurden die Haftstrafen für die vier Haupttäter im Vorjahr nach einer Berufung auf lebenslang erhöht.
Doch auch wenn das gerichtliche Nachspiel rund um die Flüchtlingstragödie bei Parndorf abgeschlossen ist: Das Thema Flucht ist es wohl noch lange nicht. Die Grünen im Burgenland fordern nun „mehr humanitäres Engagement in der internationalen Flüchtlingspolitik“. Die Bundesregierung müsse alles tun, „die Wiederholung von Tragödien wie 2015 bei Parndorf mit 71 Opfern zu vermeiden“, sagte Klubobfrau Regina Petrik. Ein „Zeichen guten Willens“ wäre die Aufnahme Minderjähriger aus Flüchtlingslagern in Griechenland, erneuerte sie eine Forderung der Bundespartei.
"Mahnmal" in Parndorf
Kein Thema mehr sei der Tod der 71 Flüchtlinge hingegen in der nordburgenländischen Gemeinde Parndorf, wie Bürgermeister Wolfgang Kovacs im KURIER-Gespräch erklärt. „Es ist natürlich eine Tragödie. Aber die Menschen sind ja nicht in Parndorf gestorben, sondern außerhalb der Ortschaft.“
Um „die Menschen wachzurütteln“ und quasi als „Mahnmal“ sei jedoch ein Theaterstück in der Gemeinde aufgeführt worden. Unter dem Titel „71 oder der Fluch der Primzahl“ hatte der Künstler Peter Wagner ein Stück über die 71 toten Flüchtlinge mit Texten burgenländischer Autoren und dokumentarischen Interviews inszeniert.
Einen Gedenkstein oder ein Mahnmal in jener Pannenbucht aufzustellen, bei der der Lkw mit den 71 Toten gefunden wurde, hält Kovacs nicht für sinnvoll. „Wenn ich dort einen Stein hinlege, hat der nicht einmal einen symbolischen Wert.“
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