Die Renaissance der Schilfschneider vom Neusiedler See

Schilfschneider am Neusiedler See
Lange wurde das burgenländische Schilf nur ins Ausland exportiert. Jetzt wird der Naturbaustoff auch hierzulande wiederentdeckt.

Wenn bei anderen der Wecker läutet, steht er schon längst knöcheltief im matschigen Boden des Schilfgürtels. Für Jacobus van Hoorne aus Weiden am See ist wieder die arbeitsreichste Zeit des Jahres angebrochen. Er ist Dachdecker und Schilfschneider von Beruf. Letztere haben im Nordburgenland von Jänner bis März Hochsaison.

Während der Haupterntezeit wird jede kostbare Minute Tageslicht genutzt: Der Arbeitstag dauert von Sonnenauf- bis -untergang. Pausiert wird nur, wenn es stark regnet oder schneit. Mit Pistenraupen, die zu Erntemaschinen umgebaut wurden, geht es hinein in den Schilfgürtel. Die Gefährte werden Skiliftbetreibern gebraucht abgekauft – allerdings nur ältere Modelle mit zirka 200 PS. „Die neuen Pistenraupen mit 600 PS sind viel zu schwer. Die würden hier versinken“, erklärt Jacobus van Hoorne beim Besuch des KURIER zwischen den Schilfhalmen.

Die Renaissance der Schilfschneider vom Neusiedler See

Der Mittdreißiger hat vor fünf Jahren eine vielversprechende Physiker-Karriere am CERN gegen die Arbeit am Neusiedler See getauscht. Bereut hat er den Schritt nie – als „Mann der Praxis“ habe es ihn gestört, dass er in der Schweiz zuletzt hauptsächlich am Schreibtisch gesessen sei. Sein Vater, Arie van Hoorne, ist einst aus Holland ins Burgenland gekommen, um hier seinen erlernten Beruf als Schilfdachdecker auszuüben. Seither hat sich die Branche mehrmals stark verändert.

In früheren Zeiten, als Schilfdächer im Nordburgenland die Norm waren, war das Schilfschneiden eine Art Volkssport. Brandschutzvorschriften verdrängten diese Bauweise im 20. Jahrhundert jedoch zusehends aus den pannonischen Dörfern. Die Burgenländer fanden für ihre Ware neue Abnehmer in Nordeuropa, wo Schilfdächer nie aus der Mode gekommen sind. Das Geschäft lief gut – bis vor etwa 20 Jahren China mit dem Export von Billig-Schilf in großem Stil begonnen hat – was die Branche erneut in Bedrängnis brachte.

Einer von fünf

Heute sind nur noch fünf schilfschneidende Betriebe am Neusiedler See übrig geblieben. Sie bewirtschaften riesige Flächen. Jacobus van Hoorne arbeitet sich im Laufe der Saison von Weiden am See bis nach Oggau, eine zirka 25 Kilometer lange Strecke. In einer guten Saison erntet er um die 1.000 Tonnen Schilf - genug, um eine Dachfläche von 20.000 m2 zu decken.

Die Renaissance der Schilfschneider vom Neusiedler See

Klingt nach viel? Angesichts der Ausmaße der 180 km2 großen Schilfwildnis rund um den berühmten Steppensee fällt die jährliche Ernte der Schilfschneider nicht stark ins Gewicht. Beerntet werden laut van Hoorne ohnehin nur ungefähr zehn Prozent des Schilfgürtels. Fast das gesamte am Neusiedler See geschnittene Schilf geht in den Export nach Skandinavien und Holland. Nach den Lieferkettenschwierigkeiten bei chinesische Waren stieg die Nachfrage nach pannonischem Schilf zuletzt wieder an.

Van Hoorne ist der einzige Schilfschneider am Neusiedler See, der einen Teil seiner Ernte selbst verarbeitet. Aufträge bekommt er regelmäßig von Freilichtmuseen – und zuletzt auch vom neuen Hotel am Strand von Weiden am See.

Vor- und Nachteile des Schilfdachs

Dass in Zukunft auch wieder mehr Privathäuser mit Schilf gedeckt werden, davon ist Jacobus van Hoorne überzeugt. Er selbst hat mit seinem neuen Haus in Weiden am See dafür Pionierarbeit geleistet: „Es hat zwei Jahre gedauert, bis ich die Bewilligung bekommen habe, aber ich habe mich durchgekämpft“. Da sein Bewilligungsverfahren nun als Referenz herangezogen werden kann, dürften neue Bauansuchen für Schilfdächer wesentlich schneller abgewickelt werden.

Was für diese Bauweise spricht? Laut dem Schilfschneider vom Neusiedler See Folgendes: „Unser Schilf ist ein komplett unbehandelter Naturbaustoff mit sehr geringem Energiebedarf, im Gegensatz zu einem Ziegel, der gebrannt wird. Ein Schilfdach mit einer Stärke von 30 Zentimetern dämmt so gut wie 20 Zentimeter Styropor. Am Ende der Lebensdauer des Daches – nach 40, 50 Jahren – kommt das Schilf einfach auf den Kompost. Viele Leute finden das Schilf auch ganz einfach optisch sehr ansprechend.“

Die Renaissance der Schilfschneider vom Neusiedler See

Jacobus van Hoorne vor seinem Haus mit Schilfdach.

Der Preisunterschied zwischen Schilf- und Ziegeldach habe sich laut van Hoorne zuletzt angeglichen. „Wenn man unbedingt einen Nachteil finden will, dann ist es wahrscheinlich die Wartungsintensität. In den ersten 15 Jahren hat man aber normalerweise keine Probleme. Danach schaut man alle zehn Jahre mal drüber“, erklärt der Schilfdachdecker.

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