Ausgetrocknete Lacken: Schicksalstage im Seewinkel
Als Gewässer ist die Lange Lacke nur noch auf Landkarten zu erkennen. Ihren heutigen Zustand würde die Bezeichnung „Lange Wiese“ eher beschreiben. Die einst größte Lacke im Seewinkel ist ausgetrocknet und droht vollständig zu verlanden.
Im 19. Jahrhundert waren 148 kleine, seichte und salzhaltige Seen mit einer maximalen Wassertiefe von 60 Zentimetern östlich vom Neusiedler See bekannt. Heute liegt ihre Zahl zwischen 30 und 40, Tendenz sinkend. Ihr komplettes Verschwinden würde dramatische Folgen nach sich ziehen.
Denn diese sogenannten Sodalacken sind so etwas wie eine „Tankstelle“ für Hunderte Vogelarten in Mitteleuropa.
Dass viele der Mini-Seen im Sommer austrocknen, ist an sich nicht ungewöhnlich. Dass es gleich alle trifft, hingegen schon. Der Darscho war die letzte Lacke, die im August noch Wasser geführt hat – allerdings nur, weil er mittels zweier Pumpen künstlich dotiert wurde. Nachdem der Grundwasserpegel einen kritischen Wert unterschritten hatte, wurde diese lebenserhaltende Maßnahme abgedreht.
„Das war ein Fehler“, sagt Rudolf Triebl, Ornithologe und Lacken-Beobachter aus Apetlon. Man hätte zumindest diese eine Lacke künstlich erhalten sollen, findet auch der pensionierte Geografie-Professor Alois Wegleitner. Nach dem sommerlichen Worst-Case-Szenario hat der KURIER mit den beiden Experten den Status quo angesehen.
Die Bilanz: In vier Lacken ist wieder ein bisschen Wasser, wenn auch nicht viel. Vielleicht zwei oder drei Zentimeter an den tiefsten Stellen – was aber schon ausreicht, um wieder Vögel anzulocken. Kiebitze, Möwen und Gänse freuen sich über das spärliche Nass.
Nun stellt sich die Frage: Was muss passieren, damit es den Lacken 2023 besser ergeht als im Dürre-Jahr 2022? Ihre Überlebenschancen hängen im Wesentlichen von drei Faktoren ab. Der Reihe nach.
1. Das Grundwasser
Der Zustand der Lacken steht in engem Zusammenhang mit dem Grundwasserspiegel. Dieser sollte eigentlich knapp unter der Erdoberfläche liegen, derzeit ist er um zwei bis drei Meter zu niedrig.
Jene Salze, die den Lackenboden „abdichten“ und das Versickern des Wassers verhindern, stammen aus Meeresablagerungen im Untergrund und gelangen durch den Aufstieg des Grundwassers in die Lacke. Der Schwarze Peter in Sachen Grundwasserpegel wird gerne den Bauern zugeschoben. Die Landwirtschaftskammer weist jedoch darauf hin, dass lediglich ein Viertel der Ackerfläche im Seewinkel bewässert wird.
Eine Hoffnung für eine nachhaltige Anhebung des Grundwasserspiegels liegt in einer Zuleitung aus der Donau, die auch den Neusiedler See befüllen soll. Die Pläne sind umstritten. „Die künstliche Wasserzufuhr alleine ist keine wirkliche Lösung. Vielmehr müssen wir alles daran setzen, dass die Lacken ihren natürlichen Wasser- und Salzhaushalt zurückgewinnen“, sagt Thomas Zechmeister von der biologischen Station Illmitz.
2. Salz-Nachschub
Das für die Lacken so wichtige Natrium-, Bitter- und Glaubersalz kann auch von Menschenhand geliefert werden. Genau das haben WWF und Nationalpark vor zwei Jahren bei der Moschado-Lacke in Apetlon getan. Die Wirksamkeit der Methode ist jedoch umstritten, obendrein ist ein erheblicher Aufwand erforderlich. Fünf Tonnen Salz wurden 2020 in die Moschado-Lacke gekippt. Ausgetrocknet ist sie heuer trotzdem.
3. Das Wetter
Der wichtigste Faktor für den Erhalt der Seewinkellacken ist zugleich jener, auf den der Mensch kurzfristig den geringsten Einfluss hat: das Wetter. Nach der extrem niederschlagsarmen Saison 2021/’22 liegen jetzt alle Hoffnungen auf einem „Winter wie damals“; mit einer dicken Schneedecke und gefüllten Lacken im Frühjahr. 100 Liter Niederschlag würden schon genügen, um den Naturjuwelen eine gute Starthilfe ins Jahr 2023 zu geben, schätzt Alois Wegleitner.
Die Lacken und ihre (falschen) Namen
Rudolf Triebl und Alois Wegleitner haben eine Mission: Die beiden Seewinkel-Kenner bemühen sich seit Jahren darum, Irrtümer über die Bezeichnungen der Salzlacken auszuräumen. Denn noch heute sind erstaunlich viele falsche Namen im Umlauf.
„Wir wollen, dass endlich Klarheit herrscht“, sagt Triebl. „Die Namen sind zum Teil katastrophal verunstaltet worden. Viele Fehler stammen aus der Zeit, als das Burgenland zu Österreich gekommen ist. Die einen haben nicht gescheit Deutsch gesprochen, die anderen hatten Probleme mit Ungarisch.“
Im Laufe der Jahre trugen zahlreiche Überlieferungs- und Schreibfehler dazu bei, dass etwa aus der Kotlacke die „Kotzilacke“ oder aus der Dreibühllacke die „Dreipillenlacke“ wurde. Naheliegend ist auch, dass sich nicht-ortskundige Forscher schwertaten, den Seewinkler Dialekt zu verstehen.
Abhandlung veröffentlicht
Die Motivation, die historisch korrekten Bezeichnungen zu etablieren, geht so weit, dass Wegleitner und Triebl 2016 eine ausführliche Abhandlung über die Namen der Lacken in den „Burgenländischen Heimatblättern“ veröffentlicht haben.
Dem pensionierten Geografie-Professor Wegleitner ist der Darscho ein besonderes Anliegen. Im Volksmund – und seit den 1960er-Jahren auch in zahlreichen Publikationen – hat die Lacke den Beinamen „Warmsee“ bekommen. Wegleitner: „Kein Mensch weiß, wie das zustande gekommen ist. Vielleicht war es an dem Tag warm, als der Forscher da war.“ Tatsächlich bedeutet Darscho so viel wie „Salzsee“.
Dass viele unkorrekte Namen schon seit Jahrzehnten kursieren und vielerorts gebräuchlich sind, lassen Wegleitner und Triebl nicht gelten: „Die falschen Lackennamen bleiben auch dann unrichtig, wenn sie öfter wiederholt werden. Das Namensgut ist ein volkskundlicher Schatz, mit dem man nicht leichtfertig umgehen sollte.“
Wissenswertes
Die Seewinkel-Lacken Sie sind nach der gängigsten Theorie 15.000 bis 20.000 Jahre alt. Demnach sind sie am Ende der letzten Eiszeit durch das Abschmelzen von großen Eislinsen entstanden. Dabei haben sich die Hohlformen der Lackenbecken gebildet.
Chemismus Jede der rund 40 Seewinkel-Lacken verfügt über ihren eigenen Chemismus, also ihre eigene chemische Zusammensetzung. Die Gründe dafür sind noch nicht abschließend erforscht. Es wird zwischen „weißen Lacken“ (hoher Sodaanteil und wenig Vegetation) sowie „schwarzen Lacken“ (viel organisches Material und Vegetation) unterschieden.
Salz-Mix Die Lacken enthalten Soda (Natriumkarbonat), Glauber-, Koch- und Bittersalz.
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