Warum der Neusiedler See kein Ablaufdatum hat
Der extrem niedrige Wasserstand des Neusiedler Sees bleibt weiterhin Thema Nummer Eins im Landesnorden. 114,94 Meter über Adria (müA) wurden am Dienstagnachmittag gemessen, Tendenz weiter sinkend. Seit Beginn der offiziellen Aufzeichnungen im Jahr 1965 war noch nie so wenig Wasser im See. Das befeuert Spekulationen, dass der Steppensee bald vollständig austrocknen könnte, vielleicht sogar schon innerhalb der kommenden Jahre.
„Eine große österreichische Tageszeitung hat geschrieben, dass der See im Jahr 2026 ausgetrocknet sein wird. Das ist Blödsinn und wissenschaftlich nicht haltbar“, sagt Alois Wegleitner. Der Historiker und pensionierte Geografie-Professer aus Illmitz weiß, wovon er spricht – und nimmt sich dabei kein Blatt vor den Mund. Mit dem Steppensee vor seiner Haustür hat er sich in den vergangenen Jahrzehnten so intensiv auseinander gesetzt wie wohl kein Zweiter. Seine historische Betrachtungsweise vermittelt ein Gefühl dafür, wie es derzeit aus seiner – und aus geschichtlicher Sicht um den Neusiedler See bestellt ist.
Historische Perspektive
Eine von Wegleitners neuesten Erkenntnissen betrifft die bisher letzte Austrocknungsphase des Neusiedler Sees. Das sei in den Jahren 1865 bis 1871 der Fall gewesen, ist in vielen Publikationen zu lesen.
Geografisch gibt es im Burgenland deutliche Unterschiede. Vor allem die drei Bezirke Neusiedl am See, Eisenstadt und Mattersburg sind von der anhaltenden Trockenheit stärker betroffen, als das Mittel- und das Südburgenland. Während es im heurigen Juli im Süden im Durchschnitt zwischen 68,8 und 79,8 Millimeter geregnet hat, fielen im Norden nur zwischen 45,4 und 55,1 Millimeter Regen. Im August sind die Messstationen Heiligenkreuz, Glasing, Oberpullendorf und Mattersburg noch knapp über den Mengen des Vorjahres.
Aktuell Tiefststand In Oberwart ist heuer um rund 30 Millimeter weniger Niederschlag gefallen als 2021, in Eisenstadt und Neusiedl am See sogar um bis zu 100 Millimeter. Die Landeshauptstadt ist heuer mit insgeamt 289,5 Millimetern auf dem niedrigstsen Stand seit 1989.
Die Unterschiede machen sich vor allem in der Landwirtschaft bemerkbar. Der Mais im Süden ist bereits rund zwei Meter hoch, jener im Norden reicht gerade bis zur Hüfte.
Der Illmitzer aber widerspricht: „Der See war von 1863 bis maximal 1866 ausgetrocknet. 1867 kann er nicht mehr trocken gewesen sein, denn da hat es 1.900 Millimeter Niederschlag gegeben.“ Für seine Recherchen habe er Daten der ZAMG mit einer geschichtlich genauen Illmitzer Chronik abgeglichen, erklärt Wegleiter.
Eine weitere Erkenntnis des Historikers: „In den vergangenen 800 Jahren ist der See sechs Mal ausgetrocknet“. In den 13.000 Jahren seiner Existenz müsste der Neusiedler See somit schon rund 100 Mal ausgetrocknet sein – im Schnitt einmal alle 130 Jahre. Die letzte Trockenperiode liege nun 156 Jahre zurück.
Mit einer Prognose, wann es die nächste geben wird, sollen aber sogar schon ausgewiesene Experten ordentlich daneben gelegen haben, wie Wegleitner anhand einer Anekdote aus seiner Jugend erklärt: „Professor Kopf, der fähigste Hydrograf in Eisenstadt, hat 1967 zu mir gesagt: Wirst sehen, Alois. In zehn Jahren ist der See weg.“ Spätestens 1977 war klar: Der Professor hatte sich geirrt.
Logik versus Natur
„Wer so etwas behauptet, geht von einer kontinuierlichen Entwicklung aus. Aber die gibt es beim See nicht“, wirft Wegleitners Kollege und Lacken-Experte Rudolf Triebl ein. Die Natur verhalte sich nicht logisch, daher könne man auch kein Austrocknungsdatum berechnen.
Daran, dass der Grund des Neusiedler Sees irgendwann wieder trocken sein wird, besteht für Alois Wegleitner allerdings kein Zweifel – selbst künstliche Zuleitungen könnten das nur verzögern: „Das Charakteristikum eines Steppensees ist, dass er von Zeit zu Zeit austrocknet. Das gehört dazu“, sagt Wegleiter.
Dem See ein „Ablaufdatum“ aufzustempeln, ist für die langjährigen Beobachter bestenfalls „Kaffeesudlesen“ (Triebl), wenn nicht sogar „Panikmache“ (Wegleitner). Die Austrocknung könne in 100 oder auch in 20 Jahren passieren – ohne Wasserzuleitung aber wahrscheinlich früher, sind sich die beiden einig.
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