Czernohorszky: "Müssen mehr gegen Gewalt an Schulen tun"
Von Bernhard Ichner
„Verändern wir die Welt“, steht in Leuchtschrift an der Wand neben Jürgen Czernohorszkys Schreibtisch. Als SPÖ-Bildungsstadtrat bemüht er sich, zumindest für Schüler und Lehrer Veränderungen zum Positiven herbeizuführen – und fordert daher nicht erst, seit in der HTL Ottakring ein Lehrer und eine Handvoll undisziplinierter Schüler aneinander gerieten, mehr Mittel vom Bund.
Im Gespräch mit dem KURIER erklärt Czernohorszky, welche Maßnahmen im Kampf gegen Gewalt an Schulen Erfolg versprechen würden. Und warum die Zurufe der FPÖ kontraproduktiv seien.
KURIER: Herr Stadtrat, in Wien gab es heuer bereits 167 Suspendierungen – während es im ganzen Vorjahr 278 waren. Wie erklären Sie sich die Zunahme? Werden die Schüler undisziplinierter oder ist die Zündschnur der Lehrer kürzer geworden?
Jürgen Czernohorszky: Da würde meine Sozialwissenschaftlerseele aufschreien, wenn man aufgrund zweier Zahlen eine Entwicklung über mehrere Jahre interpretieren würde. Ich hab dazu mit vielen Experten gesprochen und die meinen: die Zahlen reichen einfach nicht aus, um zu sagen, es sei ein ansteigendes Phänomen oder es gebe da Unterschiede in den einzelnen Bundesländern.
Was die Zahlen aber schon hergeben – und das ist alarmierend – ist die Tatsache, dass es in Österreich das Thema Mobbing gibt. Und zwar in größerem Ausmaß, als in anderen Ländern. Deshalb müssen wir insgesamt mehr tun, um dagegen aufzutreten. Die Experten hätten die dafür nötigen Konzepte.
Was wäre nötig, um diese flächendeckend in allen Schulen umzusetzen?
Das ist des Pudels Kern: Bei der Unterstützung der Pädagogen, bei der Umsetzung solcher Programme und beim notwendigen Personal gibt es noch viel Luft nach oben. Und das ist mein Plädoyer an alle Handelnden: Ziehen wir an einem Strang.
Sie sprechen die finanzielle Unterstützung durch den Bund an. Was müsste dieser beisteuern?
Was alle Experten und auch Lehrerinnen und Lehrer sagen, ist: keine Gießkanne. Viele Schulen sind gut ausgestattet. Aber es gibt auch Standorte, die vor größeren Herausforderungen stehen. Und genau dort braucht es mehr Unterstützung: mehr Schulpsychologen, mehr Schulsozialarbeiter, eine Bildungsombudsstelle wie wir sie in Wien geschaffen haben – die sich intensiv mit dem Thema Mobbing beschäftigt und weisungsfrei den Kindern und Jugendlichen zur Verfügung steht oder auch ein Soforthilfetelefon. Minister Fassmann hat bereits signalisiert, dass er so einen Chancenindex als sinnvoll erachtet. Meine Hoffnung ist, dass das auch passiert.
Kann man das quantifizieren? Wie viel mehr bräuchten Wiener Schulen an Bundesunterstützung?
Primär wichtig wäre, dass man in dem Bereich nicht weiter kürzt. Mit dem Integrationspaket, das die letzten drei Jahre da war und nur solchen Schulstandorten mit besonderen Herausforderungen zusätzliche Ressourcen gegeben hat, gab es für Wien 43 Schulsozialarbeiter und 300 Begleitlehrer für den Bereich Integration und Sprachförderung. Zudem waren mobile Teams aus Schulpsychologen, -pädagogen und Sozialarbeitern im Einsatz. Die bräuchte es jetzt dringend. Zudem ist der Bedarf an Schulpsychologen riesengroß. In den vergangenen Jahrzehnten stagniert die Anzahl, die der Bund für die Wiener Schulen zur Verfügung stellt bei 25 – obwohl Zigtausende Schüler dazugekommen sind. 14 Schulpsychologen finanziert die Stadt.
Also: Der erste Schritt wäre, außer Streit zu stellen, dass das, was an den Schulen bereits zur Verfügung stand, weiterhin zur Verfügung steht – mit mehr Unterstützung dort, wo die Herausforderungen besonders groß sind. Wir haben da die Hand ausgestreckt. Schon vor Monaten hat der Bürgermeister dem Bildungsminister Faßmann ein Aufteilen beim Mehr angeboten.
Die FPÖ meint, Ursache für die Gewalt an Schulen wäre die rot-grüne Migrationspolitik. Hat Wien tatsächlich ein größeres Problem als andere Bundesländer?
Wien hat natürlich größere Herausforderungen beim Thema Integration – weil in den Ballungsraum deutlich mehr Menschen unterschiedlicher Herkunft kommen. Experten verweisen aber auf mehrere Studien, die eindeutig sagen: Integration und Sprachvermittlung sind eine Herausforderung für das Bildungssystem und auch Mobbing und Gewalt sind eine Herausforderung – nur das eine hat zum anderen keinen kausalen Zusammenhang. Es mag für die politische Analyse einfacher sein, aber wir lösen keine Probleme, wenn wir Dinge verbinden, die miteinander nichts zu tun haben. Bildungspolitische Vorschläge der FPÖ haben eines gemeinsam: Sie drehen tendenziell an der Eskalationsschraube.
Ein Beispiel, bitte.
Denken wir doch an Herrn Landbauer (FP-Landespartei- und Klubobmann in Niederösterreich, Anm.), der vorgeschlagen hat, Eltern von Schülern mit disziplinären Schwierigkeiten die Familienbeihilfe zu streichen. Angenommen, ein Jugendlicher, der im Elternhaus Gewalt erlebt hat, kommt mit einem Klassenbucheintrag heim und sagt dem Vater, dass er im nächsten Monat weniger Geld bekommt. Ich glaub nicht, dass dieser Vater dann zu allererst einmal einen Antigewalt-Workshop startet oder Sozialarbeiter einlädt, um den Buben aus der Gewaltspirale rauszubekommen.
Ich glaub eher, dass er ihm kalt-warm gibt, dass der Jugendliche am nächsten Tag wieder frustriert in die Schule kommt und die Eskalationsspirale weitergeht. Das ist ein klassisches Beispiel für ein Drehen am Eskalationsrad und damit eine Art der Brandstiftung.
Die FPÖ schlägt auch Erziehungscamps für undisziplinierte Schüler vor. Was halten Sie davon?
Ich halte den Griff in die pädagogische Mottenkiste für ausgesprochen ungeeignet, um Probleme der Gegenwart zu lösen. Die aktuelle Herausforderung ist, dass die Schüler nicht nur schreiben, lesen und rechnen lernen, sondern auch ein respektvolles Miteinander. Und das Wegsperren und in Bootcamps schicken einzelner Kinder leistet da sicher keinen Beitrag. Diese Vorschläge lassen immer außer Acht, dass es in der pädagogischen Praxis eine Fülle von Beispielen gibt, wie es wirklich funktioniert.
Nach dem Vorfall an der HTL Ottakring thematisiert der Unterrichtsminister einmal mehr Time-out-Klassen. Ist das in Wien bald spruchreif?
Der Minister schlägt ja Time-out-Gruppen vor, in denen sich Schüler in schwierigen Situationen vorübergehend aufhalten, bevor sie zurück in den Klassenverband kommen. Dazu muss man wissen, dass es in Wien 200 Beratungslehrer gibt, die Schulstandorte bei Bedarf unterstützen. Darüber hinaus gibt es weitere Beratungslehrer, die bei Eskalationen sozusagen als Feuerwehr dienen. Und weiters gibt es bei deutlich komplexeren Herausforderungen – bis hin zur psychologischen oder psychiatrischen Begleitung der Schüler – noch Förderklassen.
Kurz gefasst: Es gibt das System schon. Schwierig wird es, wenn der Minister vorschlägt, das auszubauen, ohne einen einzigen Lehrer zusätzlich zu finanzieren. Wenn man nämlich von gleich wenig Ressourcen spricht, kann das nur bedeuten, dass bei den anderen Systemen Ressourcen abgezogen werden. Dann wäre gerade bei der Prävention weniger Hinschauen möglich. Genau dort brauchen wir mehr Mittel für die Pädagogen, damit es erst gar nicht zur Eskalation kommt.
Themenwechsel. Nach dem Vorwurf, in einem Meidlinger Kiwi-Kindergarten seien Kinder in den Waschraum gesperrt worden, leitete die MA11 Ermittlungen ein. Gibt es bereits Ergebnisse und Konsequenzen?
Die Mitarbeiterinnen wurden entlassen und der Fall an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Die Kinder- und Jugendhilfe hat sich das genau vor Ort angesehen und den Betreibern vorgeschrieben, das Personal in zusätzlichen Schulungen punkto Kindergartengesetz, Bildungsplan und Kinderrechte zu unterweisen. Was mich freut, ist die Kooperationsbereitschaft des Betreibers, der die durchaus herausfordernden Maßnahmen freiwillig an allen Standorten umsetzt, um sicherzugehen, dass so etwas nicht mehr passiert. Der Betreiber ist ein guter Partner der Stadt.
Sie sind ja auch Stadtrat für Diversität. In Form der EuroPride wird Wien wird Anfang Juni für zwei Wochen die Homo-, Bi- und Transsexuellen-Hauptstadt Europas. Wir wichtig ist die Veranstaltung für die Stadt?
Die EuroPride soll mehr sein, als bloß eine riesengroße Party mit einer Million Teilnehmern und der größten Regenbogenparade, die Wien je gesehen hat – mit bis zu 500.000 Teilnehmern. Sie soll ein starkes politisches Zeichen sein – für eine Gesellschaft, die nicht bevormundend ist, die keine Grenzen setzt, sondern die sicher stellt: Egal, wie du bist; wie du lebst und wen du liebst – Wien liebt dich.
Das wollen wir bei der Regenbogenparade in die Welt hinaustragen, denn es ist aktueller denn je. Gerade die Pride in Wien hat eine große Solidaritätsfunktion für die Communitys in Osteuropa, die immer stärker unter rechtskonservativen Regierungen unter Druck geraten und gesellschaftspolitische Rückschritte erleben müssen. Hier geht es darum, zu sagen: Wir sind auf eurer Seite. Dazu wird es auch eine internationale Konferenz geben. Und drum herum wird die Stadt selber nicht nur Standort, sondern Partner sein.
Sehen Letzteres in der SPÖ Wien alle so? Mit der Unterstützung der LGBTIQ-Community könnte man Wähler, die sich bei der Gemeinderatswahl zwischen SPÖ und FPÖ entscheiden, eher vergrämen.
Das könnte sein. Aber trotzdem sehen das in der SPÖ alle so, weil Gleichstellungsfragen Grundrechtsfragen sind, und Grundrechtsfragen Menschenrechtsfragen, und Menschenrechte keine Frage von Wahltaktik sein dürfen. Kein Sozialdemokrat würde sich über Grundrechte und die Erkenntnis stellen, dass alle Menschen gleich an Würde sind – so wie Minister Kickl es tut.
Ein anderes Flagschiff der Regenbogen-Community – der Life Ball – steht ja vor dem Aus, wie Organisator Gery Keszler verkündet hat. Wäre es sinnvoll, die 900.000 Euro Förderungen, die dieser jährlich erhielt, nun in die Pride zu investieren?
Jedenfalls macht es mich sehr traurig und betroffen, dass Gery Keszler diese Entscheidung getroffen hat. Unabhängig davon, was weiter sein wird, muss gesagt werden: Die Stadt und die Welt müssen dankbar sein für das, was da ermöglicht wurde. Das darf aber natürlich nicht bedeuten, dass man nicht mit viel Hirnschmalz darüber nachdenken kann, wie wir diesem Geist entsprechend in eine bessere Gesellschaft investieren können. Das wird diese Stadt immer machen. Die EuroPride wird natürlich ebenfalls unterstützt, aber wenn Wien nicht EuroPride-Standort ist und eine normale Regenbogenparade stattfindet, ist natürlich auch die Unterstützung in einem anderen Rahmen. Ich glaub es ist zu früh, um zu sagen, was nach dem diesjährigen Life Ball kommt.
Zur Person
Der 42-jährige Jürgen Czernohorszky wuchs in Wien und Hartberg in der Steiermark auf, wo er auch maturierte. Das Thema Bildung begleitet den verheirateten Vater zweier Mädchen seit seiner Jugend: Er engagierte sich als Schulsprecher, in der Österreichischen Hochschülerschaft, als Wiener Gemeinderat im Bildungsausschuss, beim ehrenamtlichen Aufbau einer Kinder- und Jugendgruppe und als Fraktionsführer im Stadtschulratskollegium für die Bildung.
Sein Studium der Soziologie an der Universität Wien schloss er 2008 ab. Czernohorszky war seit 2011 als Bundesgeschäftsführer der Kinderfreunde, der größten Kinder- und Familienorganisation Österreichs, tätig. Von 2016 bis 2017 war er amtsführender Präsident des Wiener Stadtschulrates. Seit Jänner 2017 ist er Wiener Stadtrat für Bildung, Jugend, Integration und Personal.