Die Schlacht von Gallipoli

Die Schlacht von Gallipoli

Es war ein mit ungeheuren Opfern ertrotzter Sieg eines längst untergegangenen Imperiums – und auch der war zuletzt sinnlos. Doch der türkische Premier Ahmet Davutoglu ließ auch zum 100. Jahrestag des Beginns der Gallipoli-Schlacht keinen Zweifel daran, dass dieser Sieg für die moderne Türkei weit mehr ist als ein historisches Ereignis. "Ein Vermächtnis der Brüderlichkeit für viele Generationen" hätten die Soldaten, die hier am Eingang der Dardanellen starben, hinterlassen, meinte der enge Vertraute des allmächtigen Staatschefs Erdogan, der selbst gerne von einer neuen Großmacht-Rolle der Türkei im Nahen Osten schwärmt. Unter der Führung von Mustafa Kemal sei an dieser Stelle die Saat für die moderne Türkei gesät worden.

Ein Blutbad reiht sich ans nächste

Ein Blutbad also steht im Bewusstsein vieler Türken am Beginn ihrer Nation. Für sie ist Gallipoli nur der Beginn eines Abwehrkampfes, den man gegen eine Übermacht, die von allen Seiten über das zerfallende Osmanische Reich herfiel, zu kämpfen hatte – und schließlich gewann. Alles, was danach geschah, wird daher in dieses Bild vom Abwehrkampf eingefügt – und wird somit zur tragenden Säule im Fundament der Türkei. Schlachten, Vertreibungen, Massenmord: Bis der Staat mit dem Offizier Mustafa Kemal – später Atatürk – 1923 an der Spitze endgültig Gestalt annehmen sollte, reiht sich ein Blutbad an das nächste.

Die Vertreibung der Armenier

Und das Schlimmste von all diesen brach schon wenige Wochen nach dem Beginn der Gallipoli-Schlacht über eine ganze Volksgruppe herein. Mitte April begannen mit den Massenverhaftungen der führenden Köpfe der armenischen Gemeinde der Massenmord und die Vertreibung der türkischen Armenier. Bis zu 1,5 Millionen Menschen sollen Opfer dieser Aktionen geworden sein, die Historiker heute fast übereinstimmend als den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnen. Für die Türkei aber und ihre offizielle Geschichtsschreibung sind all diese Verbrechen bis heute nichts als Maßnahmen, die der Krieg notwendig machte. Ein Krieg, der, wie eben zuvor schon in Gallipoli, vor allem ein Abwehr- und Überlebenskampf war.

Und weil ein Gründungsmythos einer Nation nicht so einfach umgestoßen werden kann, müssen sich auch die Verbrechen an den Armeniern in dieses Bild einreihen. Wer sich, vor allem mit überzeugten Anhängern Atatürks, auf eine Diskussion darüber einlässt, erfährt von der Verschwörung des feindlichen Russland mit den Armeniern, von den Terroranschlägen, die diese als Handlanger einer ausländischen Macht in der Türkei verübt hätten, von der Unterdrückung türkischer Bevölkerung durch mächtige Armenier. Eine Darstellung, die den rassistischen Hass gegen die Armenier, der schon über Jahrzehnte eine blutige Spur durch das damalige Osmanische Reich gezogen hatte, ausblendet.

Neue Sichtweise

Allmählich formiert sich auch unter türkischen Historikern eine Gruppe, die ein neues Bild, eine neue Auseinandersetzung mit diesen Verbrechen verlangt. Doch dem stellt sich übergroß der Gründungsmythos der Türkei entgegen – und der beginnt so blutig wie alles, was danach folgen sollte: in Gallipoli.

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