Brasiliens Revanche für die große Schmach

Brasiliens Fußballer treffen heute im Endspiel auf Deutschland. Erinnerungen an die Heim-WM werden wach.

Wenn Brasilianern das Caipirinha-Glas vom Tisch rutscht, kann es sein, dass sie laut Gol da Alemanha rufen – Tor für Deutschland. Haben sie beim Mensch-ärgere-dich-nicht noch keine ihrer Figuren ins Zielfeld bringen können, passiert es nicht selten, dass der Gewinner sete – um schreit – 7:1.

Seit zwei Jahren haben sich diese Ausdrücke in den brasilianischen Sprachgebrauch geschummelt. Seit jener folgenschweren Nacht von Belo Horizonte – eine Nacht mit viel Fußball und noch mehr Tränen.

Schwacher Trost

1:7 hatte damals aus Sicht der Brasilianer das Halbfinale bei der WM gegen Deutschland geendet. Heute, Samstag, gibt es die Möglichkeit zur Revanche: Im Finale des olympischen Männer-Turniers treffen die U-23-Auswahlen der beiden Nationen aufeinander (22.30 Uhr MESZ). Olympia-Gold wäre nur ein schwacher Trost für die Brasilianer, aber er wäre bitter nötig für den Fußball-Rekordweltmeister: Nach der Schmach bei der Heim-WM war die Seleção heuer bei der Copa América Centenario krachend bereits in der Vorrunde gescheitert.

Schauplatz des Endspiels ist heute das legendäre Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro, jener Ort, an dem sich Fußball-Deutschland vor zwei Jahren den WM-Titel abholte und den Brasiliens Team bei der Weltmeisterschaft nie betreten hat.

Großes Schweigen

Das Maracanã sollte im Endspiel das krönende Ende einer eindrucksvollen Reise durch das eigene Land werden. Die Brasilianer spielten in São Paulo, in Fortaleza, in Brasília und eben in Belo Horizonte. Das dortige Stadion Minerão wurde zum Schicksalsort, der ebenfalls im Sprachgebrauch angekommen ist: Mineiraço bedeutet so viel wie "Schock von Minerão".

Damals von der Tribüne aus mitgelitten hat Neymar. Der brasilianische Star musste verletzt für das WM-Halbfinale passen, für ein Antreten bei den olympischen Heim-Spielen verzichtete der Angreifer sogar auf die Teilnahme an der sportlich wertvolleren Copa América.

Dass es im Finale nun ausgerechnet gegen Deutschland geht, macht die Angelegenheit auch für den Barcelona-Profi noch pikanter. Wie es in ihm selbst aussieht vor dem prestigeträchtigen Endspiel, weiß die Öffentlichkeit allerdings nicht. Neymar schweigt seit dem Ende der Vorrunde beharrlich.

Heftige Kritik

Ein Grund für das Schweigegelübde ist die heftige Kritik, der sich die Auswahl zu Beginn des olympischen Turniers ausgesetzt sah. Nach zwei torlosen Remis zum Auftakt urteilte etwa der frühere Nationalspieler Zico über Neymar: "Der Kapitän unserer Mannschaft bringt nicht die Voraussetzung dafür mit, Kapitän zu sein."

Das Publikum agierte ebenfalls nicht zimperlich und verhöhnte die jungen brasilianischen Nationalspieler mit "Marta"-Rufen. Marta ist die populärste Fußballspielerin des Landes. Doch im Gegensatz zu den Herren blieb Brasiliens Damen nach der Halbfinalniederlage gegen Schweden nur das "kleine Finale" um die Bronzemedaille.

Im Herren-Endspiel am Samstag kann die Seleção aber wieder auf die volle Unterstützung der Anhänger zählen. Das wissen auch die Deutschen: "Ich finde, dass es ein sehr geiles, anspornendes Gefühl ist, wenn man von 80.000 ausgepfiffen wird, wenn die ganze Nation gegen einen ist", sagt Mittelfeldspieler Julian Brandt von Bayer Leverkusen.

Doch auch für eindrucksvolle Gegner haben Brasilianer einiges über. In Rio de Janeiro sieht man dieser Tage Dutzende Cariocas mit Deutschland-Trikots durch die Straßen laufen. Sportliche Ausnahme-Leistungen wissen sie zu schätzen und entsprechend zu würdigen.

Eine schöne Geste, die in Österreich gänzlich unbekannt ist. Es gibt wohl nicht viele Rapid-Fans, die sich unlängst ein Trikot des FC Valencia zugelegt haben.

Kommentare