„Ich schütze mich vor Raunzern“

Helmut Schulte im KURIER-Interview über Vereinstreue, Fußball-Philosophie und Populismus.

KURIER: Sie haben ein Land verlassen, in dem der Spitzenfußball zu Hause ist. Warum haben Sie sich also für Rapid Wien entschieden?
Helmut Schulte:
Ich war in keinem anderen Land so oft wie in Österreich. Meistens zum Skilaufen. Rapid ist für meine Vita eine tolle Herausforderung. Ich glaube, dass ich beim größten und interessantesten Verein des Landes noch viel lernen kann.

Wie erleben Sie als Deutscher den österreichischen Fußball?
Es gibt eine Konkurrenzsituation, bei der man nie vergessen darf, dass einander ein Land mit 80 Millionen und eines mit acht Millionen Einwohnern gegenüberstehen. Alleine durch die Gaußsche Normalverteilung ist die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass man in Deutschland mehr gute Spieler abschöpfen kann. Ich sehe es eher als Bereicherung, die Unterschiede zwischen den Mentalitäten festzustellen. Ein genereller Vergleich wäre mir ohnehin zu blöd.

Welche Mentalitätsunterschiede haben Sie in Wien entdeckt?
Ich erkenne in diesem speziellen Schmäh den Zug, das Leben etwas leichter zu nehmen. Tormanntrainer Raimund Hedl hat mir schon erklärt, was ein Raunzer ist: Der sieht alles negativ. Ein Grantler wie Ernst Happel hat hingegen nur schlechte Laune. Der große Unterschied wird sein: Ich schütze mich vor Raunzern.

Warum haben Sie einen Einjahres-Vertrag akzeptiert?
Wenn das Präsidium überzeugt von mir ist, wird der Vertrag von ganz alleine verlängert. Wenn nicht, ist es auch okay. Diese Gelassenheit habe ich mir mit meinen 55 Jahren erarbeitet. Ich hatte schon nach dem Hearing die innere Ruhe, einfach zu warten, ob sie sich für mich entscheiden. Mit 35 oder 40 hätte ich das nicht gekonnt.

Haben Sie in Ihrer Spielerkarriere das Maximum herausgeholt?
Mitte 20 war ich diplomierter Sportlehrer, als die Anfrage von St. Pauli kam, ob ich noch Profispieler in der zweiten Liga werden will. St. Pauli ist aber ein chaotischer Verein, deshalb haben sie die Anmeldung zu spät abgegeben. Ich hab’ dann einmal „Scheiße“ gesagt und bin zur Tagesordnung übergegangen. Meine Profikarriere ist erst als Trainer losgegangen.

Beschreiben Sie bitte Ihre Fußball-Philosophie.
Warum gibt es überhaupt Fußball? Weil es ein wunderbares Spiel ist, das große Ähnlichkeiten mit den Abläufen des richtigen Lebens hat. Nur viel intensiver und geballter. Deshalb ist es so interessant. Manchmal verkommt dieser Wettkampf zum Krieg. Aber grundsätzlich geht es ums Gewinnen. Das funktioniert mit den besten Spielern. Dafür braucht man wiederum das meiste Geld – die klassische Idee des Profifußballs. Daraus resultierte der Gedanke: Man muss alles vermarkten, was nicht schnell genug auf dem Baum ist.

Und wie stehen Sie dazu?
Bei St. Pauli durfte ich ein Gegenmodell miterleben: Es geht nicht nur ums Gewinnen, sondern auch ums Anpassen an Gegebenheiten. Und es geht um Spaß. Fußball wird von vielen viel zu ernst genommen. Weil es um so viel Geld geht. Ich kämpfe um diese Leichtigkeit.

Welchen Fußball wollen Sie auf dem Feld sehen?
Ich laufe nicht dem Mainstream nach und sage, nur Offensivfußball ist gut. Ich finde viele interessante Details an einem 1:0, bei dem die Defensive gut gearbeitet hat. Aber das kann man der breiten Masse schwer verkaufen, außer man ist Abstiegskandidat. Ich weiß, bei Rapid geht’s immer ums Gewinnen. Dieser Ausgangslage müssen wir uns stellen.

Das heißt, Sie sind im Fußball ein Pragmatiker?
Auf jeden Fall.

Es klingt bei Ihnen aber auch ein Idealist durch.
Ein schönes Wort. Traditionalist trifft es eher, da bin ich romantisch. Okay: Ich bin ein pragmatischer Romantiker.

Ist auch Trainer Schöttel als Pragmatiker zu bezeichnen?
Das könnte sein. Was ich schon sicher weiß: Er hat einen sehr guten Schmäh und arbeitet hervorragend.

Ihre Vereinstreue zu St. Pauli ist herausragend. Ist das auch romantisch?
Schon komisch, dass mir drei Mal die Tür gewiesen wurde. Und dieser Idiot kommt zwei Mal gerne zurück. Ich hatte immer noch eine Rechnung offen, ich wollte noch was gutmachen.

Wann wird Ihr Buch über St. Pauli veröffentlicht?
Im Frühjahr. Ein Freund wollte mit mir über die „Drei St. Pauli-Leben“ eine Anekdotensammlung machen. Die Unterzeile ist „Ergebnisse, Erlebnisse, Erkenntnisse – eines Punktelieferanten“, weil ich ja Punkte liefere.

Was werden Sie als Sportdirektor konkret entscheiden?
Ich habe die Verantwortung für das Budget und das Personal bei den Profis, im Nachwuchs und im Scouting. Das heißt: Es wird keine Personalentscheidung ohne mich geben. Aber ich entscheide nicht alleine. Wenn das Präsidium meinen Vorschlägen folgt, ist alles gut. Wenn Sie drei Mal nein sagen, müssen wir uns überlegen, ob ich doch besser etwas anderes mache.

„Ich schütze mich vor Raunzern“
APA10723428-2 - 20122012 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT SI - Der neue Sportdirektor von Rapid Wien, Helmut Schulte (l.) und Trainer Peter Schöttel während einer PK anlässlich der Vorstellung Schultes am Donnerstag, 20. Dezember 2012, in Wien. APA-FOTO: ROLAND SCHLAGER
Wie läuft das Zusammenspiel mit Trainer Schöttel ab?
Ich weiß, es ist der größte Fehler, anderen nichts zuzutrauen. Deswegen wird bei jeder Entscheidung zumindest derCheftrainer miteinbezogen. Ein Spieler, den nur ich, oder nur er will und der jeweils andere nicht, wird auch nicht kommen.

Was ist für Sie bei einem Spieler ein absolutes No-go?
Unehrlichkeit, Hinterhältigkeit, schlecht zu anderen sein. Es gilt: Wenn einer Mist baut, gibt’s eine Ermahnung. Beim zweiten Mal tut’s weh im Portemonnaie. Beim dritten Mal gibt’s die Trennung.

Können Sie tatsächlich richtig streng sein?
Schon. Aber der Aufwand dafür ist beträchtlich.

Schöttel meint, dass sein Realismus bei einem oft populistischen Verein wie Rapid guttut. War das Zurückholen von Boskovic populistisch?
Nein. Ich hasse Populismus. Ich versuche Entscheidungen so zu treffen, dass sie aus meiner Sicht für den Verein gut sind. Das kann von außen auch mal als Populismus missverstanden werden. Es ist immer gut, wenn jene, die Verantwortung tragen, auch die Entscheidungen treffen. Und nicht jene Leute, die keine Verantwortung tragen, und sich nur etwas wünschen. Man sollte Entscheidungen nicht für die Stimme des Volkes treffen.

Sie wirken tatsächlich sehr gelassen. Eine Folge Ihres schweren Unfalls beim Orkan Kyrill?
Dass die Buche vor sechs Jahren auf mich gefallen ist, hat mich schon in diese Richtung gebracht. Plötzlich konnte ich nur noch auf dem Rücken liegen und musste mich wieder zurückkämpfen. Für mich war scheinbar noch nicht die Zeit zu gehen. Ich sehe es vor mir: Knapp bevor ich die Äuglein ganz zumache, werd’ ich daran denken, was ich danach noch erreicht habe: Aufstieg mit St. Pauli – geil! Abstieg mit St. Pauli – scheiße! Und dann nach Wien, am ersten Tag gleich Kontakt mit der Hofreitschule – ich hätte fast einen Gaul umgefahren.

Tatsächlich?
Ich bin scheinbar wohin gefahren, wo nur Fiaker hindurften. Was wäre das für ein Einstand gewesen, wenn ich nicht noch gebremst hätte?

Sie fühlten sich bei St. Pauli sehr wohl. Sind sie auch politisch betrachtet ein Linker?
Politik ist die Grundlage, das Zusammenleben zu organisieren. Wer mich kennt, kann mich zuordnen, aber das ist nicht öffentlich. Nur so viel: Andersartigkeit erlebe ich als Bereicherung, nicht als Bedrohung.

Warum achten Sie bei Fotos darauf, nur von einer Seite fotografiert zu werden?
Meine Nase ist nicht gerade. Weil sie so besser aussieht, lasse ich nur meine linke Seite fotografieren. Das ist meine ganz kleine Eitelkeit.

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