Zur Madonna im zweiten Anlauf

KURIER-Redakteur auf Pilgerfahrt: Mit einigen Flüchen, die zu zitieren unangebracht wäre
Von Wien bis nach Mariazell – ein KURIER-Redakteur büßt auf der alten Pilgerroute seine Sünden ab.

Das Fleisch war willig, der Geist an sich auch. Die Kurbel aber nicht. Gebrochen bei Kilometer 35. Ist das nun die Frucht, die der Buße würdig ist (frei nach Matthäus 3,2)? So endet der erste Anlauf zum Seelenheil im Wiener Speckgürtel. In der Morgensonne, Müsliriegel kauend und fluchend.

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Beim zweiten Anlauf wird das verflixte Neulengbach nicht zur schicksalhaften, unüberwindbaren Bürde. Dahinter wird die Landschaft weiter, nach Böheimkirchen zeitweise richtig still. Immer dem eigenen Schatten nach also. Der wird jetzt merkbar kürzer. Die Beine tun brav mit. Und die Gartenzwergdichte in den Vorgärten nimmt rasant zu. Über Fahra und durch Phyra geht es nach Ochsenburg. Dann nehme ich heute die Bundesstraße und nicht den Traisen-Radweg.
Den Weg über Traisen nach Lilienfeld vergessen wir mal: Schwerverkehr, Kolonnen an Autos – aber doch rasche Kilometer. Ich glaube, noch mach ich eine recht gute Figur. Noch.

Nach Lilienfeld entlang der Traisen. Immerhin ist der Verkehr deutlich weniger geworden. Ich bin also verschont von Publikum in meinem beginnenden Martyrium. Bis Türnitz ist es zeitweise völlig still. Die Haxen werden jetzt merkbar schwerer – und der Hintern zu einem echten Thema. Nach Türnitz das Schild: Annaberg 14 km. 100 hab ich hinter mir. Und jetzt zieht es sich. Das Tal wird eng, die Straße kurvig. Aber der Annaberg will und will nicht hinter den Mugeln erscheinen. Es geht stetig bergauf, und da ist er dann: Der Feind. Der Annaberg. Erster Gang, ein Schluck Turbowasser (Iso-Getränk, alles legal) und los.

Der Annaberg, ein Hund

Zur Madonna im zweiten Anlauf
KURIER-Redakteur auf Pilgerfahrt: Mit einigen Flüchen, die zu zitieren unangebracht wäre
Aber der Annaberg, der tut nur so heilig mit seinem Kirchlein oben drauf. Der Annaberg, der ist echt steil. Man sieht das Kirchlein am obersten Punkt einige Zeit einmal gar nicht. Und wenn es dann wieder zum Vorschein kommt, scheint es genauso weit oben wie bei der ersten Sichtung. Da brennt es aber schon ordentlich in den Beinen. Mit einigen Flüchen, die zu zitieren unangebracht wäre (glücklicher Weise bin ich, wie schon erwähnt, alleine auf der Straße), rolle ich in Annaberg ein.

Und weiter. Stehend. Bergab. Und immerhin wird die Landschaft jetzt echt fein. Keine engen Täler mehr. Berge mag ich ja eher von oben oder oben drauf sitzend, wobei das Wort „sitzen“ jetzt mit schmerzhaftem Brennen assoziiert ist. Einen Heiland bräucht’s jetzt! Wenigstens werden die Qualen vom Annaberg (dem Hund) durch das nahe Ziel belohnt.

Da ist aber noch der Josefsberg – im Vergleich zum Annaberg (der Fiesling) ein Hügerl. Immerhin wage ich es, ein wenig Gas zu geben. Mittlerweile ist es ohnehin eine Wahl zwischen stehen und schnaufen oder sitzen und schluchzen. Und wieder runter. Am Ziel. Fast. Da kommen aber noch zwei Anstiege, die an sich nicht der Rede wert wären, hätte man da nicht schon 120 km in den Beinen.

Sollte dieser tote Hund meinem Herrn, dem König, fluchen? Ich will hingehen und ihm den Kopf abreißen, heißt es bei Samuel 16,9. Tot bin ich. Aber noch nicht so tot wie die zwei Dutzend platt gefahrenen Igel auf den Straßen. Gezürnt habe ich nur wehen Stellen, keinem König. Und der Kopf ist auch (noch) dran.
„Unglaubliche Kräfte“Vor meiner Abfahrt habe ich mir an sich eine TV-taugliche Zieleinfahrt ausgemahlt, strotzend vor Kraft. Sagen wir einmal, ich war nah dran. Statt Jubel gab es ein Feuerwehrbegräbnis – deuten will ich das jetzt lieber nicht.

Kitschiges Happy End

Zur Madonna im zweiten Anlauf
Mariazell-Tour
Belohnt werde ich ganz am Ende meiner Pilgerradfahrt mit einer kitschigen Madonna, die – so die sehr glaubhaft klingende Bekundung der Verkäuferin – „unglaubliche Kräfte“ hat und alle Wehwehchen wieder gut macht. Also auch solche an unaussprechlichen Körperstellen, so hoffe ich.

Die Etappen 1 bis 10 als GPS-Track zum Download

Einkehrmöglichkeiten

Lilli’s Gastwirtschaft in St. Pölten: Rathausplatz 15, 02742 / 213 72; www.lillis-gastwirtschaft.at

Wirtshaus Leopold in Lilienfeld, Marktl 27, 02762 / 20 200; www.wirtshaus-leopold.at

Gasthof Zum Blumentritt in St. Aegyd/Neuwalde: Markt 20, 02768 / 22 771; www.zumblumentritt.at

Übernachtungsmöglichkeiten

Gasthof Franzl in Wilhelmsburg: Bahnhofstraße 27, 0676 / 931 61 00; www.gasthof-franzl.com

Aktivhotel „Weißer Hirsch“ in Mariazell: Wienerstraße 6, 03882 / 31076; www.weisser-hirsch.at

Hotel „Drei Hasen“ in Mariazell: Wiener Straße 11, 03882 / 2410; www.dreihasen.at

Sehenswürdigkeiten

Basilika Mariazell – das alte Ziel der Pilger: www.basilika-mariazell.at

Kameltheater Kernhof – weltweit einzig: www.kameltheater.at

Allwetterrodelbahn Eibl-Jet bei Türnitz: www.tuernitz.at

Stift Lilienfeld: www.stift-lilienfeld.at

Stift Herzogenburg: www.stift-herzogenburg.at

01. ETAPPE / 17. JULI 2016
Prolog: Race Across Steiermark.

02. ETAPPE / 20. JULI 2016
Mit Kindern auf dem Steyrtalradweg.

03. ETAPPE / 24. JULI 2016
Auf dem Schrammelradweg im Waldviertel.

04. ETAPPE / 27. JULI 2016
Rad, Boot, Bahn: Die Wolfgangsee-Trilogie.

05. ETAPPE/31. JULI 2016
Opa, Papa, Sohn: Rund um den Bodensee.

06. ETAPPE/ 03. AUGUST 2016
Transalp-Tour: Von Krimml nach Bruneck.

07. ETAPPE/ 07. AUGUST 2016
Dem Veltliner auf der Spur im Weinviertel.

08. ETAPPE / 10. AUGUST 2016
Um den Wörther See radeln – und chillen.

09. ETAPPE / 14. AUGUST 2016
Adrenalin! Im Ötztal Radmarathon fahren.

10. ETAPPE / 17. AUGUST 2016
Nach Süden! Entlang von Mürz und Mur.

11. ETAPPE / 21. AUGUST 2016
Gott! Radpilgern von Wien nach Mariazell.

12. ETAPPE / 24. AUGUST 2016
Die Hohen Tauern zum Auspowern.

In all den Jahren auf dem Rennrad konnte der inzwischen 34-jährige Radprofessional Christoph Strasser viel Erfahrung sammeln. Auch in punkto leichtes Reisegepäck und Wegzehrung. Hier eine Auflistung jener nützlichen Dinge, die Strasser on tour immer dabei hat:

Zwei große gefüllte Trinkflaschen und Elektrolytgetränkepulver (eine Flasche pro gefahrene Stunde gilt als Faustregel), eine Banane, eine Packung Flüssignahrung, Reserveschlauch, Luftpatrone, Werkzeug für unterwegs, 5 Euro, Bankomatkarte, E-Card, Mobiltelefon, Rad-Navi am Lenker. Für den Fall, dass es unterwegs dunkel wird, hat er am Rad auch ein fixes Rücklicht montiert.

Zur Madonna im zweiten Anlauf
Andreas Röderer Radfahrer Radmechaniker
Im Laufe der Jahre und unzähliger Radtouren hat auch der erfahrene Radmechaniker Andreas Röderer viel Erfahrung gesammelt. Hier eine Auflistung jener Dinge, die er immer in seine Packtaschen stopft:

Für das Rad: Ersatzschlauch, Luftpumpe und Werkzeug.

Für den Körper: Sonnenschutz, Creme für die Weichteile, Zahnbürste, Waschzeug, Waschlappen, mittelgroßes Handtuch und Helm (dient nebenbei auch als Sonnen- bzw. Regenschutz).

Zum Anziehen: Knickerbocker, kurze Sporthose, dünne lange Hose, Trikot aus Merinowolle (atmungsaktiv), helles, knitterfreies Hemd, leichter Fleece-Pulli mit Zipp, leichte atmungsaktive Regenjacke, Unterhosen, Badehose sowie Radhandschuhe.

Schuhwerk: Radschuhe für SPD-Pedale, leichte Flipflops oder Espadrillos sowie dünne kurze Baumwollsocken.
Packtaschen: Zwei wasserdichte Taschen (40 Liter), Lenkertasche für Handy, Fotoapparat, Geldbörse, Dokumente und Radkarte.

Rodingersdorf im Waldviertel. Dort, in einem alten Bauernhof, ist der Salzburger Roland Esterbauer heute zu Hause. Und auch sein Verlag. Den kleinen Ort in der Nähe von Sigmundsherberg muss man auf der Karte suchen. Ein Glück, dass Esterbauer ebensolche produziert. Der Verlag Esterbauer ist eine österreichische Erfolgsgeschichte – und ein Exportschlager, speziell in Deutschland. Vor allem jene erste große Karte des Verlags, die gute Orientierung auf dem Donauradweg bietet, wurde zum absoluten Klassiker für deutschen Radtouristen. Deshalb arbeiten neben den 16 Mitarbeitern in Rodingersdorf weitere sieben in einem Stadtbüro in Berlin.

Zur Madonna im zweiten Anlauf
Roland Esterbauer, Verlag Esterbauer, Rodingersdorf
Eigentlich wollte Roland Esterbauer mit dem Erstellen einer Niederösterreich-Radkarte sein Studium an der Technischen Universität in Wien finanzieren. Aus dem Ferialjob wurde seine Berufung. Das war Mitte der 1980er-Jahre. In den vergangenen dreißig Jahren haben seine Leute 470 Titel erarbeitet, neben Radtourenbücher und -karten auch Mountainbike- und Wanderführer. „In der Zwischenzeit haben wir Material zu den interessantesten Rad- und Wanderregionen Europas“, erzählt Esterbauer stolz. Die Schwerpunkte hat er in Deutschland und in Österreich gesetzt.

Die Vermessung der Welt bzw. von Radwegen ist heute ein aufwendiges Unterfangen: Redakteure des Verlags fahren jede Tour vorab mit dem Rad und dem Auto ab. Ihre Erfahrungen und GPS-Daten werden in die Karten (auch online) eingetragen. Von ihrem Know-how profitiert in den nächsten Tagen auch der KURIER. Drei der zwölf Touren werden von Esterbauers Leuten vorgestellt.

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